(Un-)Heiliger Krieg? Die Welt steht in Flammen, die Zahl der bewaffneten Konflikte nimmt zu. Bild: Fotolia/Oleg Zabielin
Gastkommentar

Der neue Ernstfall

Kommentar Die Barbaren vor den Toren, und rechts und links keine Mauern: Es ist leicht von Verantwortung zu reden. Aber was ist der deutsche Beitrag, um die Flammen zu löschen, die das europäische Haus bedrohen?

Erschienen am: 30. August 2014 Artikel aus Rubrik: Gastkommentar

Es ist noch nicht lange her, da sprachen auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 Bundespräsident Gauck, Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Steinmeier in schöner Einigkeit von der gewachsenen deutschen Verantwortung, und wie diese durch politische Führung auszufüllen sei. Geschehen ist seitdem lange nichts oder nicht viel, obwohl der arabische Krisenbogen in Flammen steht und in Osteuropa Russland die Landkarten mit scharfen Waffen und grünen Männern umzeichnet, von ferner liegenden Konflikten wie dem wachsenden Machtanspruch Chinas, der Nuklearpolitik des Iran und den unbestimmten Übergängen von Cyberspace in Cybercrime und Cyberwar nicht zu reden.

Was ist der deutsche Beitrag, um die Flammen zu löschen, die das europäische Haus bedrohen? Die Mehrheit der Deutschen, rund 74 Prozent, war bis gestern gegen jedes auch noch so schwache Engagement. Die Bundesregierung versuchte, mit fadenscheinigen rechtlichen Begründungen jeder Entscheidung über Waffen an die Peshmerga der Kurden auszuweichen. Aus dem Kanzleramt war Führung nicht zu bemerken. Dann wurde laut nachgedacht über „nicht-tödliche“ Ausrüstung, bis sich herausstellte, dass Nachtsichtgeräte, Schutzwesten und Halblaster kaum zur Verfügung stehen. Unterdessen wuchs der Außendruck. Während die Unions-Minister sich bedeckt hielten und die Verteidigungsministerin vor heroischer Kulisse eine Photo-Op absolvierte, übernahm Außenminister Steinmeier die Führung. Seitdem wird verstärkt über Waffen nachgedacht, wobei es sichtbar an Vorbereitung, Einsatz- und Transportplänen mangelt. Auch Einweisung der Peshmerga-Kämpfer und Ausbildung sind ungeklärt. Jedenfalls ist es sinnvoll, dass der Bundestag die anstehenden Entscheidungen debattiert – schon aus volkspädagogischen Gründen.

Deutschlands Sicherheit und Interessen enden nicht an den Landesgrenzen

Dabei werden schöne Worte, wie gehabt, so wenig nützen wie die Glaubensbekenntnisse des bundesdeutschen Ohne-Mich-Pazifismus oder das Selbstlob der „Kultur der Zurückhaltung“ – was alles von Opportunismus nicht frei war. Es wird nicht nur unverbindlich von Verantwortung die Rede sein müssen, sondern konkret von Sicherheit und Interessen. Diese enden nicht an den Landesgrenzen, nicht einmal an denen des nordatlantischen Vertragsgebiets, sondern erinnern an die dunkle Seite der Globalisierung. Der Feind, der heute im Zweistromland Christen und Jessiden massakriert und Köpfe abschneidet, kann morgen – so warnt Premierminister Cameron – desgleichen auch in London versuchen. Und warum nicht in München oder Berlin?

Die Lage ist bestimmt durch Krieg von niedriger Intensität, überall und nirgends. Der deutsche Bundestag muss sich von militärischer Feinsteuerung fernhalten. Aber er wird sich der Mühe unterziehen müssen, den neuen Ernstfall beim Namen zu nennen.