Von Untergangsstimmung wie hier in Venedig keine Spur: Trotz monumentaler Herausforderungen schummelt sich Italien durch die Krise. (Bild: Imago/Westend61)
Italien

Von Staatsschulden und maroden Banken

Italien hat mit die höchste Staatsverschuldung in Europa – und zugleich die marodesten Finanzinstitute. Damit die taumelnden Banken trotzdem weiterhin den Staat finanzieren können, will der überschuldete Staat sie jetzt mit einem 150-Milliarden-Fonds retten und dafür EU-Regeln zumindest stark dehnen. Die EU-Kommission lässt es sich offenbar gefallen. Den Schaden haben die Steuerzahler.

„Wie zwei Betrunkene, die sich aneinander lehnen, um überhaupt aufrecht zu bleiben …“ Mit dem so anschaulichen wie zutreffenden Vergleich beschrieb im Oktober 2009 die Londoner Wochenzeitung The Economist das schwierige, symbiotische Verhältnis zwischen Banken und Regierungen in der großen Finanz- und Staatsschuldenkrise: Marode Banken brauchen Rettungsmilliarden von ohnehin überschuldeten Regierungen. Und die überschuldeten Regierungen halten an den taumelnden Banken fest und stützen sie, damit diese weiter Staatsanleihen kaufen können und so Staatsschulden finanzieren.

Daran hat sich seit der Finanz- und Schuldenkrise mancherorts nicht viel geändert. Besonders wenig in Italien, wo der Staat und die Banken, um bei dem schönen Economist-Bild zu bleiben, halt noch immer besonders betrunken herumtaumeln: Auf 132,7 Prozent beläuft sich Roms Staatsverschuldung inzwischen – nach Griechenland (176,9) der zweithöchste Wert im Euroraum. Zum Glück bei – noch – rekordniedrigen Zinssätzen: Für zehnjährige Anleihen muss Rom derzeit 1,36 Prozent geben (Deutschland: 0,05). Besonders wichtiger Staatschulden-Finanzier sind Italiens Banken, die Staatsanleihen über 400 Milliarden Euro halten – etwa 21,6 Prozent der übergroßen italienischen Staatsschulden, die zu normalen Zinsbedingungen längst nicht mehr finanzierbar wären.

Marode Kredite für 360 Milliarden Euro

Problem: Italien hat mit die höchsten Staatsschulden in Europa und zugleich die marodesten Banken. Italiens Banken sitzen auf notleidenden und ausfallgefährdeten Krediten über sage und schreibe 360 Milliarden Euro – was etwa 20 Prozent der jährlichen italienischen Wirtschaftsleistung entspricht. 2014 kam bei einem EU-weiten Banken-Stresstest heraus, dass neun von 15 getesteten italienischen Banken gefährdet waren – mehr als ein Drittel der 25 bedrohten Banken in Europa. Von „Roms Zombiebanken” schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Besonders betroffen ist nach diesem Bericht etwa Italiens drittgrößte und mit dem Gründungsdatum 1472 zugleich älteste Bank der Welt, die Großbank Monte dei Paschi di Siena (MPS). Allein dieses Bankhaus sitze auf faulen Krediten über etwa 47 Milliarden Euro – 40 Prozent seines gesamten Kreditvolumens. Dieser Tage ist die Europäische Zentralbank ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen und hat die Traditionsbank aus der Süd-Toskana aufgefordert, bis 2018 den Umfang ihrer notleidenden Kredite auf etwa 20 Prozent des Kreditvolumens zu reduzieren.

Roms Zombiebanken.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Was leichter gesagt und gefordert ist, als getan. Am liebsten würde die Mittelinks-Regierung von Premierminister Matteo Renzi Italiens marode Banken mit Staatsgeldern retten. Problem: Nach jüngstem EU-Reglement und europäischem Rekapitalisierungsrecht müssten sich bei einer solchen Bankenrettung Bankeigner – also die Aktionäre – und die Gläubiger an den Rettungskosten beteiligen. Die Aktionäre würden ihre Bankaktien geteilt, gedrittelt oder geviertelt sehen, Bankgläubiger müssten auf Forderungen verzichten. Es würde die kleinen Anleger treffen, die Wähler. Das aber will Renzi in Italiens aktueller politischer Lage auf keinen Fall: Eine frische Umfrage sieht die linkspopulistische 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo mit 32 Prozent Zustimmung vor Renzis Partito Democratico (PD), die nur 30 Prozent erreicht. Aber im Oktober will Renzi per Referendum die Verfassung ändern lassen und hat seine politische Zukunft mit dem Abstimmungsergebnis verknüpft.

Kaschierter Bankenrettungsfonds über 150 Milliarden Euro

Im vergangenen April hat Rom darum die Banken angestoßen, einen eigenen kleinen Bankenrettungsfonds zu gründen. Für den privaten Rettungsfonds mit dem Namen Atlante – Atlas – brachten Italiens Finanzkreise immerhin fünf bis sechs Milliarden Euro zusammen – jeweils eine Milliarde sollten alleine von den beiden größten Kreditinstituten Unicredit und Intesa Sanpaolo kommen, berichtete die Neue Zürcher Zeitung.

Renzi drängt auf Lockerung der EU-Vorschriften zu öffentlichen Ausgaben und Staatshilfen für Unternehmen.

Weil angesichts des Riesenberges fauler Bankkredite das Volumen des Atlante-Rettungsfonds niemanden mehr beeindruckt, sucht Rom nach weiteren Lösungen. Und es wird eilig: Ende Juni will Brüssel das Ergebnis des jüngsten Bankenstresstest verkünden. Die EZB-Botschaft an die Problembank MPS lässt Böses ahnen. Wenn Italiens Banken wieder schlecht abschneiden, fallen die Bank-Aktien noch weiter in den Keller – und könnten Finanzaktien EU-weit mitziehen. Vergangene Woche kündigte Premierminister Renzi an, den Banken Staatshilfen über 40 Milliarden Euro zukommen lassen zu wollen. Auf dem jüngsten Brüsseler EU-Gipfel drängte er darum auf Lockerung der EU-Vorschriften über öffentliche Ausgaben und Staatshilfen für Unternehmen. Als Grund für die Ausnahmereglungen sollte eine durch das britische Brexit-Votum hervorgerufene Ausnahmesituation herhalten. Aber Renzi erhielt in Brüssel keinen Dispens und nahm wieder Abstand von seinem 40-Milliarden-Plan. Vorerst. Denn inzwischen hat er offenbar mit der EU-Kommission etwas Neues ausgehandelt: Rom will einen Fonds bereitstellen, der es solventen − oder noch solventen − Banken erlauben soll, neue Anleihen aufzunehmen, die dann indirekt vom Staat garantiert werden. Dieser kaschierte Backenrettungsfonds soll ein Volumen von 150 Milliarden Euro haben.

Den Schaden hat Italiens wirtschaftliche Entwicklung

Das könnte reichen. Aber wieder steht der Steuerzahler ein, nicht die Banken, ihre Aktionäre und ihre Gläubiger. Aus Römischer Sicht ist die Hauptsache, dass die Banken in der Lage bleiben, italienische Staatsanleihen zu kaufen und den überschuldeten italienischen Staat aufrecht zu erhalten. So wie es The Economist 2009 beschrieb: Der Staat garantiert Bank-Kredite, mit denen die Banken dann wieder Staatsschulden finanzieren können. Ein echter Teufelskreis.

 Italiens Wirtschaft erreichte im vergangenen Jahr kaum 80 Prozent der Wirtschaftsleitung des Vorkrisenjahres 2008.

Was Kosten hat für Italien: Die Banken erhalten neues Kapital und stehen besser da, zumindest auf dem Papier. Aber die faulen Kredite werden dabei wohl nicht abgewickelt. Die Banken geben weiterhin dem überschuldeten Staat Kredit – wofür sie kein Eigenkapital brauchen –, aber nicht den Unternehmen. Was die Ursache dafür ist, dass Italiens Wirtschaft seit Jahren entweder in der Rezession verharrt oder fast still steht: Im vergangenen Jahr erreichte das Land kaum 80 Prozent der Wirtschaftsleistung des Vorkrisenjahres 2008. 2015 wuchs Italiens Wirtschaft gerade einmal um 0,7 Prozent. Für 2016 wird − noch − ein Wachstum von einem Prozent prognostiziert. Unterdessen liegt Italiens Arbeitslosenrate bei 11,7 Prozent. Hoffnung ist nicht wirklich in Sicht.