Präsidentenwahl annulliert
Österreichs Stichwahl um die Präsidentschaft muss wiederholt werden. Das hat jetzt der Verfassungsgerichtshof in Wien entschieden. Nach 90 Zeugen-Anhörungen blieb den Richtern keine Wahl: 570.000 von 760.000 Briefwahlstimmen sind bei der Auszählung schlampig oder gar gesetzeswidrig behandelt worden. Neuer Wahltermin vermutlich Ende September oder Anfang Oktober.
Österreich

Präsidentenwahl annulliert

Österreichs Stichwahl um die Präsidentschaft muss wiederholt werden. Das hat jetzt der Verfassungsgerichtshof in Wien entschieden. Nach 90 Zeugen-Anhörungen blieb den Richtern keine Wahl: 570.000 von 760.000 Briefwahlstimmen sind bei der Auszählung schlampig oder gar gesetzeswidrig behandelt worden. Neuer Wahltermin vermutlich Ende September oder Anfang Oktober.

Das ist eine Sensation für Österreich, aber keine schöne, sondern eine ziemlich peinliche: Die so dramatische wie knappe Stichwahl um die Nachfolge von Bundespräsident Herbert Fischer muss wiederholt werden. Das hat jetzt der österreichische Verfassungsgerichtshof entschieden. Das höchste Gerich gibt damit der Beschwerde der FPÖ statt. „Wahlen sind das Fundament unserer Demokratie“, betonte der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Gerhart Holzinger: „Es ist die vornehmste Pflicht des Verfassungsgerichtshofs, dieses Fundament zu bewahren.“ Die Entscheidung mache niemanden zum Gewinner oder Verlierer, sondern solle das Vertrauen stärken, so der Gerichtspräsident.

Wahlen sind das Fundament unserer Demokratie. Es ist die vornehmste Pflicht des Verfassungsgerichtshofs, dieses Fundament zu bewahren.

Gerhart Holzinger, Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofs

Der Entscheidung vorausgegangen war eine dreiwöchige öffentliche Verhandlung vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof, wie sie Österreich noch nie erlebt hatte: auf eine Großleinwand in einem Übertragungssaal übertragen, von zahlreichen Medien per Live-Ticker verfolgt, zum wachsenden Entsetzen der ganzen Bevölkerung über kaum fassliche Behördenschlamperei, die da sichtbar wurde. Und das beim für jede Demokratie sozusagen heiligen und grundlegenden Akt: der Wahl, der Auszählung der Wahlstimmen, der Findung des Wählerwillens.

Österreichs knappster Wahlausgang

Am Wahlabend am 22. Mai hatte FPÖ-Kandidat Norbert Hofer noch mit etwa 140.000 Stimmen vor Alexander van der Bellen gelegen, dem Kandidat der Grünen. Doch nach der Auszählung einer Rekordzahl von etwa 760.000 Briefwahlstimmen ging van der Bellen mit 30.863 Stimmen Vorsprung doch noch als Sieger aus der Stichwahl hervor – der knappste Wahlausgang, den die Republik Österreich je erlebt hat.

Kein Wunder dass FPÖ-Stimmen – besonders natürlich laut Parteichef Heinz-Christian Strache – bald erst von Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen sprachen und dann das Wahlergebnis anfechten wollten. Nach der amtlichen Verkündung des endgültigen Wahlergebnisses durch die Wahlbehörde am 1. Juni blieb dafür eine einwöchige Frist. Am letzten Tag der Frist, am 8. Juni, legte die FPÖ dem Verfassungsgerichtshof eine 150-seitige Anfechtung der Stichwahl vor. Das Schriftstück zählte in 94 von insgesamt 117 Bezirkswahlämtern „Unregelmäßigkeiten, Ungereimtheiten und Pannen“ bei der Auszählung der Briefwahlstimmen auf, so FPÖ-Chef Strache: „Das Ausmaß ist mehr als erschreckend und mehr als relevant.“ Jetzt hat der Verfassungsgerichtshof der FPÖ recht gegeben. Die Stichwahl muss wiederholt werden.

570.000 von 760.000 Briefwahlstimmen falsch behandelt

Österreichs höchstes Gericht und seine 14 Richter haben es sich nicht leicht gemacht. Drei Wochen lang haben sie 90 Zeugen penibel ausgefragt und zu allen Vorwürfen angehört und dabei für maximale Transparenz gesorgt. Das ganze Land sollte zusehen können und sich Gewissheit verschaffen.

Mindestens 60.000 Stimmen in sieben Wahlbezirken wurden nicht von den eigentlich zuständigen Wahlkommissionen ausgezählt.

Was dabei herauskam, konnte den Bürgern den Atem verschlagen: Von den 760.000 Briefwahlstimmen sind etwa 570.000 Stimmen betroffen, die entweder zu früh geöffnet, widerrechtlich vorsortiert oder falsch gelagert wurden. Dabei ist völlig klar: Nach dem Wahlgesetz dürfen zu früh geöffnete Wahlkarten nicht mehr gezählt werden – aber sie wurden gezählt. Noch übler: Mindestens 60.000 Stimmen in sieben Wahlbezirken wurden nicht von den eigentlich zuständigen Wahlkommissionen ausgezählt. Es hat Auszählungen völlig ohne Beisitzer gegeben.

Am Schluss sind drei Stimmen plötzlich verschwunden? Macht nichts, dann werden die drei Stimmen halt als ungültig gezählt – so die pragmatische Lösung eines Wahlleiters, weil die Mittagspause schon lange überfällig war. Damit nicht genug: Keine noch so offenkundige Verfehlung und Wahlgesetzwidrigkeit hinderte dann die Mitglieder der Wahlkommissionen, auf den Auszählungsprotokollen den ordnungsgemäßen Ablauf der Auszählung mit ihren Unterschriften zu beurkunden. Ernüchternde Erklärung eines Zeugen: „Ich habe das Protokoll nicht gelesen. Es wurde nur das Schlussblatt zum Unterschreiben herumgereicht.“

Untragbaren und beschämenden Schlampereien

Den Vorwurf des bewussten Wahlbetrugs hat niemand erhoben. Zumal bei allen Unregelmäßigkeiten und Gesetzesverstößen immer auch die FPÖ-Wahlbeobachter und Beisitzer mit dabei waren – oder eben nicht, wenn einer von ihnen mit einem halben Tag Verspätung im Wahlbüro zur Auszählung erschien. Problem: Schon die Möglichkeit zu Täuschung und Betrug darf bei einer Wahl nicht sein. Schon bald war also klar, dass das Wahlergebnis so nicht stehen bleiben konnte. Von „untragbaren“ und „beschämenden“ Schlampereien sprach noch mitten im Verfahren Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP). Die Aussagen der Zeugen hätten bei ihm „Erstaunen über fehlendes Unrechtsbewusstsein ausgelöst“, ergänzte der er Leiter der Bundeswahlbehörde, Robert Stein.

Wiederholung der Stichwahl wahrscheinlich Ende September oder Anfang Oktober

Der Krimi um Österreichs Präsidentschaftswahl geht also in die nächste, dritte Runde. In Wien ist wieder alles offen. Sicher ist im Moment nur eines: Am kommenden Freitag (8.Juli) verlässt Noch-Bundespräsident Heinz Fischer das Amt. Weil die Stichwahl wiederholt werden muss – wohl Ende September oder Anfang Oktober – gibt es noch keinen Nachfolger. Zum Glück hat Österreichs Verfassung vorgesorgt: Das dreiköpfige Präsidium des Nationalrats – also des Parlaments in Wien – springt ein. Einer der drei Parlamentspräsidenten heißt Nobert Hofer. Auf die Weise wird der FPÖ-Kandidat jetzt doch noch Präsident – allerdings nur zu einem Drittel und nur für etwa drei Monate.