Fußball im Ausnahmezustand
Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Doppelte Sicherheitszonen, Scharfschützen an den Stadien – mit einem immensen Sicherheitsaufwand schützt Frankreich die Fußball-Europameisterschaft 2016. Seit den Anschlägen von Paris sieht sich das Land im Krieg gegen Terroristen. Die besondere Sorge der EM-Organisatoren und der Sicherheitsbehörden gilt den riesigen Fanmeilen in allen Austragungsstätten.
EM in Frankreich

Fußball im Ausnahmezustand

Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Doppelte Sicherheitszonen, Scharfschützen an den Stadien – mit einem immensen Sicherheitsaufwand schützt Frankreich die Fußball-Europameisterschaft 2016. Seit den Anschlägen von Paris sieht sich das Land im Krieg gegen Terroristen. Die besondere Sorge der EM-Organisatoren und der Sicherheitsbehörden gilt den riesigen Fanmeilen in allen Austragungsstätten.

Es ist das Albtraum-Szenario: Ein dreifacher Terror-Anschlag auf den EM-Austragungsort Toulouse. Zeitgleiche Attacken auf das Stadtstadion, die Fanzone im Stadtzentrum und den Flughafen Toulouse-Blagnac. Zwei Selbstmordbomber, Terroristen mit Kalaschnikows, Geiselnahmen. Bilanz des Überfalls: 86 Tote.

In den Bahnhöfen von Lens, Bordeaux und Marseille wurde die Reaktion auf Anschläge mit Kalaschnikow-Sturmgewehren geprobt.

Entwarnung: Was sich da am 14. April in Toulouse abgespielt hat, war nur eine Übung. Eine von vielen, die Frankreichs Sicherheitsbehörden in den Monaten vor Beginn der Fußballeuropameisterschaft 2016 in allen zehn Austragungsorten haben durchführen lassen mit jeweils unterschiedlichen Szenarios: In den Bahnhöfen von Lens, Bordeaux und Marseille wurde die Reaktion auf Anschläge mit Kalaschnikow-Sturmgewehren geprobt. Bei Übungen in den Stadien von Nizza und Saint-Étienne ging es um Anschläge mit Gas und chemischen Waffen. In Anwesenheit von Innenminister Bernard Cazeneuve und Sportminister Patrick Kanner übten die Sicherheitskräfte in der Nationalen Polizeischule von Nîmes die Reaktion auf eine Gas-Attacke in einer Fanzone samt Massenpanik. In der Polizeischule in Sens wurde das Szenario einer Attacke auf einen Express-Zug durchgespielt.

Die Lektion von Paris: Stadien kann man schützen

Das Terrorjahr 2015 steckt den französischen Sicherheitsbehörden in den Knochen – im Hinblick auf die bevorstehende EM ganz besonders der dreifache Selbstmordanschlag auf das Pariser Stade de France am 13. November. Heute findet dort das Eröffnungsspiel zwischen Frankreich und Rumänien statt. Positive Lektion der Terror-Nacht vom November: Weil Ordner den islamistischen Terroristen den Zutritt verweigert hatten, war es mit vier Toten – darunter die drei Terroristen – halbwegs glimpflich ausgegangen. Es ist möglich, die Stadien zu schützen. Die Anschläge in Brüssel am 22. März und alles was man inzwischen über die Terrornetzwerke zwischen Molenbeek und Saint-Denis in Erfahrung gebracht hat, haben das Bewusstsein für die Terrorgefahr noch erhöht. Premierminister Manuel Valls am 23. März: „Wir haben uns noch nie einer derartigen Bedrohung gegenüber gesehen.“

Kann man da wirklich die Sicherheit von sieben bis acht Millionen Besuchern garantieren, die zwischen dem 10. Juni und dem 10. Juli in Frankreich erwartet werden?

Le Point, 17. November 2015

51 Spiele an 31 Tagen, an zehn Austragungsorten – und Frankreich „ist im Krieg ist“, wie Valls seit November immer wieder betont. Es herrscht Ausnahmezustand. 10.000 Soldaten in Tarnuniform patrouillieren im ganzen Land. „Kann man da wirklich die Sicherheit von sieben bis acht Millionen Besuchern garantieren, die zwischen dem 10. Juni und dem 10. Juli in Frankreich erwartet werden?“ So fragte vier Tage nach dem November-Terror in Paris die Wochenzeitung Le Point.

In einer Umfrage sprachen sich zwei Tage nach den Brüsseler Anschlägen 79 Prozent der Befragten dafür aus, die Spiele stattfinden zu lassen.

Tatsächlich gab es im November und im März Stimmen, die mehr oder minder offen zur Absage der EM rieten – etwa der ehemalige grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit. „Die EM 2016 muss stattfinden, und sie wird stattfinden“, unterbanden Valls und sein Innenminister Cazeneuve die keimende Diskussion sofort. Die EM zu verschieben oder abzusagen, sei „nie in Frage gekommen“, betonte am 29. März auch Staatspräsident Franςois Hollande. Die Franzosen sehen es genauso: In einer Umfrage sprachen sich zwei Tage nach den Brüsseler Anschlägen 79 Prozent der Befragten dafür aus, die Spiele stattfinden zu lassen.

Ausnahmezustand während der Spiele

Paris ist entschlossen, für die EM „maximale Sicherheit“ zu garantieren, so Präsident Hollande – „das ist eine Staatspflicht gegenüber jenen, die im nächsten Juni Frankreich besuchen, und wir werden da keine Kompromisse machen.“ Ende Mai wurde der am 13. November verhängte Ausnahmezustand zum dritten Mal verlängert, um weitere zwei Monate bis zum Ende der EM und der Tour der France.

Die Pariser Tageszeitung Le Monde berichtete von einer neuen Sicherheitsmaßnahme: drei Scharfschützen auf erhöhten Positionen außerhalb des Stadions.

Jacques Lambert, seit 2011 Präsident des französischen EM-Organisationskomitees, musste seit November oder März an den Sicherheitsvorbereitungen nichts verändern, allenfalls ein paar Anpassungen vornehmen lassen: „Wir wussten seit langem, dass der Terror die größte Gefahr sein würde.“ Etwa 900 Personen Sicherheitspersonal werden in jedem Stadion jede Begegnung schützen – 30 Prozent mehr als sonst bei Spielen der französischen Ersten Liga. Bei besonders wichtigen Spielen in besonders großen Stadien wie dem Stade de France in Paris stehen bis zu 1200 Sicherheitskräfte bereit. Alle Stadien sind nicht nur wie sonst von einer, sondern seit Mitte Mai von zwei Kontrollzonen umgeben. Am 29. März hat das Stade de France mit dem Spiel Frankreich – Russland (4:2), vor 60.000 Fans denn auch die erste Fußballprobe seit dem 13. November bestanden. Die Pariser Tageszeitung Le Monde berichtete von einer neuen Sicherheitsmaßnahme: drei Scharfschützen auf erhöhten Positionen außerhalb des Stadions.

Wenn die Besucher sich am Spielabend alle an einem Ort aufhalten, ist das besser als wenn sie über die ganzen Stadt verteilt sind.

EM-Organisationschef Jacques Lambert

Besondere Sorgen machen den Organisatoren die sogenannten Fanzonen – Fanmeilen – für zigtausende Fans in den Innenstädten aller zehn Austragungsorte. In Paris ist direkt unter dem Eiffelturm eine solche Fanzone für 100.000 Zuschauer aufgebaut worden. Für die Städte sind die Feier-Meilen wichtiger Teil des Frankreichbildes, das sie während der EM in alle Welt vermitteln wollen. Die Hauptstadt etwa denkt dabei an in ihre Bewerbung für die Olympischen Spiele 2024. Die Städte sind aber auch verantwortlich für die Sicherheit der Fanzonen – geschlossene Bereiche mit einem Sicherheitsniveau praktisch wie in den Stadien: Personenkontrolle einschließlich Abtastung, Taschenkontrolle, sehr massive Kameraüberwachung. Organisationschef Lambert hält die Fanzonen für sicherer als den Verzicht darauf: „Wenn die Besucher sich am Spielabend alle an einem Ort aufhalten, ist das besser als wenn sie über die ganzen Stadt verteilt sind.“

Hoffentlich das einzige Problem: Die Qualität des Rasens

Lambert weiß, dass das Thema Sicherheit, „wie ein Damoklesschwert über der EM 2016 schwebt“. Doch er sieht das Land gut vorbereitet und schläft nach eigener Aussage gut. Wenn da nicht noch eine ganz andere Sorge wäre, so Lambert Anfang März im Interview mit Le Figaro: „Es gibt noch Arbeit an den Stadionrasen zu machen. Da liegt ein ständiger Schwachpunkt in französischen Stadien. Wir wussten das. Es gibt einen Plan, um das Qualitätsniveau der Rasen zu erhöhen. Uns bleiben drei Monate, der Frühling, das schöne Wetter, die Sonne. Im Juni wird es besser sein als im Februar.“ Das werden jetzt die Spieler beurteilen.