Vietnam von seiner Bilderbuchseite: Sonnenaufgang am Strand der Touristenmetropole Nha Trang. (Bild: von Rohland)
Vietnam

Dürre und Kommunismus bremsen Tigerstaat

Der Süden Vietnams kämpft mit der schlimmsten Dürre seit 90 Jahren. Doch während im Mekong-Delta die Pflanzen vertrocknen und Reisbauern um ihre Existenz fürchten, nimmt der Wohlstand in weiten Teilen des kommunistisch regierten Landes zu. Die Delegierten der Deutschen Wirtschaft rechnen mit einem weiteren soliden Wachstum, sehen aber auch Risiken – vor allem politischer Art.

Die Unternehmerin Nguyen Thi Phuong Thao ist das leuchtende Beispiel für das neue, selbstbewusste Vietnam: Die geschäftstüchtige Präsidentin der Fluglinie VietJet geht mit ihrer Airline in diesem Sommer an die Börse und ist dann die erste Dollar-Milliardärin unter Ho Chi Minhs Erben. Reich wurde die 45-Jährige Medienberichten zufolge bereits während ihres Finanz- und Wirtschaftsstudiums in Moskau, als sie auch mit Fax-Geräten und Latex handelte. Vor fünf Jahren ging ihre Airline in Vietnam mit drei gebrauchten Maschinen an den Start. Mittlerweile kauft VietJet direkt und im großen Stil bei Airbus und Boeing ein: Im Herbst 2015 orderte die Airline bei den Europäern 30 Mittelstreckenflugzeuge des Typs A321, beim Vietnam-Besuch von US-Präsident Barack Obama im Mai freuten sich die Amerikaner sogar über eine Bestellung von 100 Maschinen. Kostenpunkt: 11,3 Milliarden Dollar.

Erfolgreiche Geschäftsfrau zahlt 960 Dollar Strafe und hat weltweiten Werbeerfolg

Um bekannt zu werden, ließ die VietJet-Präsidentin auch schon einmal Bikini-Models im Flugzeug für die Passagiere tanzen. 960 Dollar Strafe wurden für die nicht genehmigte Show fällig. Nguyen konnte es verschmerzen: Die Bilder gingen um die ganze Welt, der Werbeeffekt war gigantisch. „Es stört uns nicht, dass man unsere Fluglinie mit den Bikinis assoziiert“, sagt die erfolgreiche Geschäftsfrau. „Wenn es unsere Kunden glücklich macht, macht es uns auch glücklich.“

Investoren lieben Vietnam

Glücklich sind die Vietnamesen auch über die vielen Investoren, die ihr Geld in den Tigerstaat tragen. Landesweit entstehen Raffinerien, Kraftwerke, Autobahnen, Wohngebiete, riesige Ressorts, Hotelanlagen und Freizeitparks. Wer das Land vor 20 Jahren bereist hat und jetzt zurückehrt, traut seinen Augen nicht. Damals bestimmten Fahrräder und Wasserbüffel Stadt- und Landschaftsbilder, heute warten Hoteltürme und Luxusressorts auf die Touristen; durch die Städte rollen auch die neuesten Auto-Modelle der deutschen Premiumhersteller BMW, Mercedes, Audi oder Porsche. Es fließt viel Geld ins Land. „Das Interesse ausländischer Investoren ist sehr erfreulich“, berichtet die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI). Die Investitionen in Vietnam stiegen demnach schon 2015 zweistellig, im ersten Quartal 2016 legten die zugesagten Mittel sogar um satte 119 Prozent auf rund vier Milliarden US-Dollar zu.

Wirtschaft profitiert von Netz an Freihandelsabkommen

Infrastruktur und Industrieparks wurden in dem Land am südchinesischen Meer zuletzt immer besser ausgebaut, Investitionen von ostasiatischen Nachbarn flossen vor allem in die Bekleidungs- und Elektronikbranche. Besonderes Interesse erwecke das Land auch „durch ein Netz von Freihandelsabkommen“, berichtet GTAI. Die ASEAN-Community der südostasiatischen Staaten ist bekanntlich erfolgreich angelaufen, die Umsetzung des Freihandelsabkommens zwischen zwölf Pazifikanrainern steht kurz bevor. In diesem hat Vietnam laut GTAI die niedrigsten Lohnkosten. Das freut vor allem amerikanische Konzerne. Auch die EU schläft nicht: Mit ihr unterzeichnete Vietnam Ende 2015 ein Freihandelsabkommen, „weitere Verträge sind in der Pipeline“, heißt es.

Wasserknappheit bedroht die Landwirtschaft

Zu leiden hat der Tigerstaat zurzeit allerdings unter dem sogenannten El Nino Phänomen, das zu einer extremen Wasserknappheit führt, berichtet die deutsche Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Aufgrund der extremen Wasserknappheit sei die wichtige Landwirtschaft im ersten Quartal bereits um 1,1 Prozent geschrumpft. In dem Sektor seien 47 Prozent der Arbeitnehmer beschäftigt, er trage zu mehr als zwölf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Besonders bedroht ist demnach die Mekong-Delta-Region, die als Reiskammer Vietnams gilt. In ihr werden aber auch Meeresfrüchte gezüchtet. Während das Süßwasser im Mekong auch aufgrund von Staudammprojekten Chinas abnimmt, sickert aufgrund des steigenden Meeresspiegels Salzwasser ins Delta ein und bedroht die Region langfristig, warnen Experten.

Dürre drückt aufs Bruttoinlandsprodukt

Die aktuelle Dürre sorgte dafür, dass das BIP in Vietnam im ersten Quartal des Jahres „nur“ um 5,5 gegenüber dem Vorjahresquartal gestiegen ist, im vierten Quartal des Vorjahres war es noch um 7,2 Prozent nach oben gegangen. „Wachstumslokomotive bleibt die Industrie, getragen von ausländischen Direktinvestitionen im verarbeitenden Gewerbe“, heißt es dazu von GTAI.

Wechselhafte Wirtschaftspolitik und Korruption bringen Risiken

Der größte Unsicherheitsfaktor ist und bleibt aber die Politik des Landes, die sich in diesem Jahr neu aufgestellt hat (der Bayernkurier berichtete). In der sogenannten SWOT-Analyse (Strengths, Weaknesses, Opportunities und Threats) für Vietnam werden ebenso viele Schwächen und Risiken genannt wie Stärken und Chancen. Es wird über wechselhafte Wirtschaftspolitik, unklare Gesetze, unzuverlässige Justiz und Bürokratie geklagt, zudem sehen sich private Unternehmen gegenüber staatlichen benachteiligt, heißt es. Diese wiederum wirtschaften oft ineffizient, die Reallöhne steigen schneller als die Arbeitsproduktivität, und das Übel der Korruption ist nach wie vor weit verbreitet in Vietnam.

Staat fährt seit Jahren nur Defizite ein

Und der Staat ist chronisch klamm: So muss laut GTAI die Regierung ihre Investitionen einschränken, weil sie seit 2012 jährlich ein fiskalisches Defizit von rund 6,5 Prozent zum BIP einfährt. Die Staatsverschuldung ist mittlerweile bei 62 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung angelangt, und die Privatisierung der ineffiziente Staatsunternehmen komme nur schleppend voran, bemängeln die deutschen Wirtschaftsförderer. Wichtig für Großprojekte seien daher internationale Geber. „Die dürften allerdings in den kommenden Jahren ihr Engagement reduzieren“, befürchtet Germany Trade & Invest.