Blick auf das Marsfeld unter den Bögen des Eiffelturms hindurch. (Bild: imago/GEPA)
Vor der EM in Frankreich

100.000 Fußballfans unter dem Eiffelturm

Mit einer Riesen-Fanzone für 100.000 Feiernde unter dem Eiffelturm will sich Paris während der EM als Metropole der Lebensfreude zeigen. Aber kann man in Zeiten des Terrors die großen Fanzonen in den EM-Austragungsstätten überhaupt verantworten? Eine Woche vor dem EM-Anpfiff streitet Frankreich über das Thema Sicherheit. Vorläufige Bilanz: Die Fanzonen bleiben – auch in Paris.

Das wird das ikonische Bild der Fußballeuropameisterschaft 2016 werden. Hunderte von Millionen Fernsehzuschauern in der ganzen Welt werden von der Euro 16 vor allem das in Erinnerung behalten: die Riesen-Fanzone mitten in Paris, auf dem Marsfeld, jener schönen Grünzone am Fuße des Eiffelturms. Fast 100.000 Fans werden sich dort während der Übertragungen an den Spieltagen vor dem riesigen Großbildschirm drängeln – mit 420 Quadratmetern der größte der Welt, darunter machen es die Franzosen nicht –, im eigens aufgebauten Gastronomieviertel oder im sogenannten Animationsbereich mit kulturellen und sportlichen Spektakeln. Mit wenigstens einer Million Besucher der Super-Fanzone auf 130.000 Quadratmetern rechnet Paris für den ganzen EM-Monat – und im Hintergrund, in der Verlängerung direkt hinter dem Riesenbildschirm, am anderen Ufer der Seine, Paris‘ weltberühmtes Wahrzeichen: der Eiffelturm. Ein unvergessliches Bild für jeden, der dabei war, auf dem Marsfeld oder am Bildschirm. Mit der Riesen-Fanzone vor dem Eiffelturm will sich Paris nach dem Terrorjahr 2015 der ganzen Welt wieder als Metropole der Lebensfreude präsentieren.

Platz für 100.000 Fans in Paris, 80.000 in Marseille, 60.000 in Bordeaux

Nicht nur Paris, ganz Frankreich will sich so zeigen. Ähnliche Fanzonen wie in Paris wird es in allen zehn EM-Austragungsorten geben, fast immer mitten in der Stadt, am schönsten, bekanntesten Platz. Die zweitgrößte Feiermeile für 80.000 Fans wird Marseille haben, am Prado-Stadtstrand – mit Marseilles Wahrzeichen im Hintergrund, der Kathedrale Notre Dame de la Garde, bestimmt ein fast so unvergessliches Bild wie das in Paris mit dem Eiffelturm. In Bordeaux soll auf dem Place de Quinconces, nahe dem Gironde-Ufer und Bordeaux‘ monumental-glanzvollem Grand Théâtre, Platz für 60.000 Feiernde sein. Lille wartet mit einer Fanzone für 25.000 Fans auf, Lyon und Saint-Étienne bereiten sich auf je 20.000 Feiernde pro Spielübertragung vor, Toulouse auf 12.000, Saint-Denis, Lens und Nice auf je 10.000.

Audio-Datei mit Terrordrohung

Die Fanzonen, natürlich mit freiem Zutritt, waren seinerzeit ein wichtiges Argument bei der Bewerbung um die EM – und für die jeweilige lokale Wirtschaft: An den Spieltagen geöffnet von Mittag bis Mitternacht sollen sie in ganz Frankreich insgesamt sieben bis acht Millionen Fans anlocken, die eben keine Tickets für die Stadien erwerben konnten, aber doch dabei sein wollen. Aber das waren die Pläne vor dem Terror und vor dem Ausnahmezustand, der eben zum dritten Mal verlängert wurde. Jetzt wachsen die Bendenken – Sicherheitsbedenken – und je näher das Eröffnungsspiel im Pariser Stade de France rückt, desto mehr.

Terroristen wollen Absage der EM erzwingen: „Das wäre eine Schande für sie, ein großer finanzieller Verlust, und das wäre für sie eine Lektion.“

Kein Wunder: Bei der Polizeiarbeit nach den Anschlägen in Paris und Brüssel wurde auf einem Terroristen-Computer eine Audio-Datei mit einer Drohung gefunden, berichtet jetzt die Tageszeitung Le Figaro. Einer der Angehörigen der französisch-belgischen islamistischen Terrorzelle schlägt darauf vor, unmittelbar vor der Eröffnung der EM einen großen Terroranschlag durchzuführen, um Frankreich zur Absage der EM zu zwingen: „Das wäre eine Schande für sie, ein großer finanzieller Verlust, und das wäre für sie eine Lektion.“

Ist die Fanzone unter dem Eiffelturm verantwortbar?

Die Terrorgefahr ist real. Unmittelbar vor dem EM-Anpfiff eskaliert darum im Lande der Streit, ob man die Fanzonen überhaupt verantworten kann. Vor allem die Fanzone auf dem Marsfeld in Paris gerät in die Kritik. Der Eiffelturm sei eben auch für den Islamischen Staat das Symbol für Frankreich, warnt der ehemalig oberste Polizeichef und heutige Oppositionspolitiker Frédéric Péchenard: „Dorthin 100.000 Personen zu bringen, das ist nicht nur, polizeilich gesehen, ein großes Risiko, sondern eine Provokation.“ Ob es wirklich vernünftig sei, im Ausnahmezustand mitten in Paris Fanzonen zu organisieren, fragt der Ex-Präsident und Parteichef der oppositionellen Republikaner (LR), Nicolas Sarkozy: „Ich habe meine Zweifel, ob die Fanzonen zweckmäßig sind. Ich finde, das ist ein Risiko.“ Schärfer formuliert es ein LR-Abgeordneter aus dem Pariser Département Yvelines (Versailles): „Es ist völlig unverantwortlich, einen Monat lang jeden Abend Hunderttausende unter dem Eiffelturm zu versammeln, der ja für den Islamischen Staat ein Ziel ist.“

Dorthin 100.000 Personen zu bringen, das ist nicht nur, polizeilich gesehen, ein großes Risiko, sondern eine Provokation.

Frédéric Péchenard, ehemaliger französischer Polizeichef

Die Fanzone auf dem Pariser Marsfeld würde enorme Polizeikräfte binden, die dann im Antiterrorkampf fehlten, warnt wieder Ex-Polizeichef Péchenard. „Werden unsere Ordnungskräfte dann nicht andere Aufgaben haben?“, fragt auch Sarkozy. Zu solchen Fragen hinzu kommt die Wut der Marsfeld-Anwohner. Erst kürzlich haben sie völlig überraschend erfahren, dass sie eben doch keine Uefa-Sonderausweise erhalten werden – dabei waren die schon gedruckt und mussten nur noch verschickt werden – und über einen Monat lang weder das Marsfeld-Gelände einfach durchqueren dürfen, noch in der Nähe ihrer Wohnungen parken können. Aus allen diesen Gründen hatte im Pariser Stadtrat die Fraktion der oppositionellen Republikaner vorgeschlagen, die Fanzone zu verlegen: vom Marsfeld in das Gelände des Mehrzweckstadion Stade Charléty, das etwas abseits des Stadtzentrums liegt und leichter zu sichern ist. Die sozialistische Stadtratsmehrheit entschied sich am 30. März für das Marsfeld und den Eiffelturm.

Die Fanzonen sind genauso sicher wie die Stadien

„Paris ist bereit, Europa und die Welt des Sports zu empfangen“, rief die sozialistische Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, aus, als sie am 10. Mai die Fanzone am Fuße des Eiffelturms sozusagen enthüllte und einweihte. Auffällig: In der Pariser Presse sind von der vor genau zwei Jahren gewählten sozialistischen Bürgermeisterin kaum Kommentare zum andauernden Streit über die Pariser Fanzone zu lesen.

Frankreich ist ein großes modernes Land, das in der Lage ist, die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren und sich der Terror-Bedrohung entgegenzustellen.

Premierminister Manuel Valls

Anders Frankreichs Premierminister Manuel Valls. Er ist entschlossen, an den Fanzonen festzuhalten, so lange es „kein Ereignis und keine konkrete Bedrohung“ gibt. Die Fanzonen „werden genauso geschützt sein wie die Stadien“, so der Regierungschef: „Und wenn wir von einer präzisen Bedrohung Kenntnis erhalten, dann werden wir nicht zögern, die Eröffnung der einen oder anderen Fanzone wieder in Frage zustellen.“ Für Valls geht es dabei auch um Frankreichs Prestige: „Frankreich ist ein großes modernes Land, das in der Lage ist, die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren und sich der Terror-Bedrohung entgegenzustellen.“ Die Franzosen geben ihm offenbar recht: Einer aktuellen Umfrage zufolge, sind 64 Prozent der Befragten dagegen, auf die Fanzonen zu verzichten – obwohl sie sich sehr bewusst sind, „dass es riskant ist, dorthin zu gehen“, so die Formulierung in Le Figaro.

Ich weigere mich, das zu tun, was die Terroristen wollen. Wir werden nicht in Angst und Schrecken leben.

Christian Estrosi, republikanischer Bürgermeister von Nizza

Der Eintritt zu den Zonen wird zwar frei sein, aber es wird genau gezählt werden, so dass man zu jedem Moment weiß, wie voll sie sind, versichert in Paris das Sportministerium. Sie werden von mehreren Sicherheitszonen umgeben sein, mit mehreren Kontrollstufen von der Sichtkontrolle über systematische Taschenkontrollen bis zu Abtastungen. Alle Sicherheitsvorkehrungen sollen jeden Tag auf der Grundlage von Analysen der nationalen Polizeiführung neu beurteilt und entschieden werden.

Bordeaux: Die Fans sozusagen einzäunen

„Es kommt gar nicht in Frage, vor der Drohung zurück zu weichen“, erklärt in Bordeaux Bürgermeister Alain Juppé – wie Sarkozy republikanischer Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur und aktuell Vorsitzender des Vereins der EM-Gastgeberstädte. In Bordeaux verläuft die Debatte um die Fanzone politisch entgegengesetzt zu jener in Paris: An der Gironde ist die sozialistische Opposition gegen den Ort der Fanzone und kritisiert den republikanischen Bürgermeister für die Kosten, die Bordeaux für seine EM-Gastgeberrolle aufbringen muss – 5,5 Millionen Euro, wegen der hohen Kosten für die Sicherheit eben auch der Fanzone fast zwei Millionen Euro mehr als geplant. „Eine Party auf Kredit, den die Stadt dann jahrelang abzahlen muss“, schimpfen die Sozialisten.

Es ist besser, eine gesicherte Fanzone zu haben, als viele wilde Fanzonen ungeschützt zu lassen.

Alain Juppé, republikanischer Bürgermeister von Bordeaux

Was Bürgermeister Juppé nicht beeindruckt. Er tritt besonders entschieden für die Fanzone in seiner Stadt ein: „Natürlich ist mir bewusst, dass große Menschenmengen das Niveau der Gefahr erhöhen können. Aber zugleich weiß ich, dass wir ein maximales Sicherheitssystem einsetzen.“ Juppé weiter: „Außerdem ist es besser, eine gesicherte Fanzone zu haben, als viele wilde Fanzonen ungeschützt zu lassen.“ Das Argument wird in anderen Austragungsorten geteilt: Den Stadtoberen geht es genau darum, die Fans in einer großen, geschützten Zone sozusagen einzuzäunen und sie sich nicht in alle vier Ecken der Stadt verstreuen zu lassen.

Die Fanzonen in Nizza, Lyon und Saint-Étienne

Auch in Nizza weigert sich der republikanische Bürgermeister Christian Estrosi, die Fanzone in Frage zu stellen: „Wir arbeiten seit 2009 an den Vorbereitungen. Ich weigere mich, das zu tun, was die Terroristen wollen. Wir werden nicht in Angst und Schrecken leben!“ Zusätzlich zur örtlichen Polizei wird die Stadt 124 private Sicherheitskräfte anstellen, um das Fanzonen-Gelände für 10.000 Personen mitten in der Stadt auf dem Platz des traditionellen Jazz-Festivals abzusichern.

Egal, was man macht, die Fußball-Fans werden sich sowieso lieber in den Stadtzentren aufhalten.

Gérard Collomb, sozialistischer Bürgermeister von Lyon

In Lyon hat sich der sozialistische Bürgermeister Gérard Collomb für den Place Bellecour in schönster zentraler Lage zwischen Rhône und Saône entschieden. Hier ist es wieder die republikanische Opposition, die das Unternehmen scharf kritisiert und fordert, die Fanzone aus Sicherheitsgründen auf des Gelände des alten Gerland-Stadions am Stadtausgang zu verlegen. Im Bürgermeisteramt mag man das Sicherheitsargument schon nicht mehr hören, berichtet Le Figaro: „Egal, was man macht, die Fußball-Fans werden sich sowieso lieber in den Stadtzentren aufhalten. Wenn wir uns für das Gerland-Stadion entschieden hätten, dann würde die Polizei dort stationiert – und die Menschenmenge wäre auf dem Place Bellecour. Unsere Entscheidung erlaubt uns, die Fans an einen geselligen und gut geschützten Ort zu lenken.“ Bürgermeister Collomb kann auf die Zustimmung der Restaurant- und Gaststättenbetreiber in Lyons Stadtmitte rechnen.

Wütende Geschäftsinhaber in Saint-Étienne

Einen Kompromiss ist in Saint-Étienne der republikanische Bürgermeister Gael Perdriau eingegangen – und hat sich prompt den Zorn der Stadtwirtschaft zugezogen. Aus Sicherheitsgründen wird die Fanzone in St. Etienne im Franςois-Mitterrand-Park aufgebaut,  – in 1,5 Kilometer Entfernung vom Stadtzentrum. In der Stadtmitte sollen dafür alle Nachmittage Animationsspektakel aufgezogen werden. Für Restaurants, Gaststätten und Geschäfte in der Stadtmitte kein Trost. Sie fürchten nun, dass das große EM-Geschäft in ihrer Stadt an ihnen vorbei geht.

Generalfiasko am Stade de France

Die Fanzonen sollen so gut geschützt werden wie die Stadien, versprechen Premierminister Valls und alle Verantwortlichen wieder und wieder. Aber genau bei der Sicherheit der Stadien haben sich am 21. Mai, beim Endspiel um die französische Meisterschaft,  empfindliche Schwachstellen gezeigt. Eigentlich hätte das Match zwischen Paris-Saint-Germain und Olympique Marseille im Pariser Stade de France zur großen Sicherheitsgeneralprobe werden sollen für das EM-Eröffnungsspiel am 10. Juni im gleichen Stadion. Doch aus der Generalprobe wurde ein regelrechtes „General-Fiasco“, so die düstere Bilanz der Tageszeitung Le Monde.

Die Sicherheitskontrollen haben völlig versagt: Während des Spiels wurden Rauchfackeln und Knaller gezündet, Helme und Flaschen kamen ins Stadion und wurden zum Teil aufs Spielfeld geworfen. In der Marseille-Fankurve wurden am Schluss des Spiels kleine Feuer entfacht – alles unter den angeblich maximal verschärften EM-Sicherheitsbedingen.

Alles, was schief gehen konnte, ging schief: Weil in der äußeren Zone die Zahl der Zugänge zum Stadion von 26 auf vier reduziert worden war, kam es zu Stauungen und wildem Gedränge. Die Sicherheitskontrollen versagten vollständig: Während des Spiels wurden Rauchfackeln und Knaller gezündet, Helme und Flaschen kamen ins Stadion und wurden zum Teil aufs Spielfeld geworfen. In der Marseille-Fankurve wurden am Schluss des Spiels kleine Feuer entfacht – alles unter den angeblich maximal verschärften EM-Sicherheitsbedingen. Innenminister Bernard Cazeneuve hat schon am Sonntag nach der Fiasko-Generalprobe die Vertreter des Französischen Fußballverbandes und des EM-Organisationskomitees zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen gerufen: „Es ist beschlossen worden, alle beobachteten Störungen unverzüglich zu korrigieren, um den Bewegungsfluss der Fans am Eingang zu garantieren, Sicherheitskontrollen zuverlässig zu gestalten und das Ende der Begegnungen abzusichern“, versprach der Minister nach der Krisensitzung. Man wird sehen.