IS-Zentrale für Terror in Europa
Terrorgefahr so hoch wie nie: Der Islamische Staat hat eine Terror-Zentrale für Anschläge im Ausland aufgebaut – und sucht derzeit gezielt nach Terroristen mit deutschen Pässen. Die IS-Terroristen können sich in Europa auf ein dichtes Netz von Helfern und Infrastruktur stützen: Parallelgesellschaften wie in Molenbeek und eine schnell wachsende Zahl von Salafisten.
Terror gegen Europa

IS-Zentrale für Terror in Europa

Terrorgefahr so hoch wie nie: Der Islamische Staat hat eine Terror-Zentrale für Anschläge im Ausland aufgebaut – und sucht derzeit gezielt nach Terroristen mit deutschen Pässen. Die IS-Terroristen können sich in Europa auf ein dichtes Netz von Helfern und Infrastruktur stützen: Parallelgesellschaften wie in Molenbeek und eine schnell wachsende Zahl von Salafisten.

Auf die neue Terror-Gefahr machte kürzlich Frankreichs Inlandsgeheimdienst-Chef Patrick Calvar aufmerksam: Dschihad-Kinder und -Jugendliche. Calvar berichtete von etwa 400 aus Frankreich stammenden Minderjährigen in vom Islamischen Staat (IS) kontrollierten Gebieten. Zwei Drittel seien mit ihren Eltern in das syrisch-irakische Bürgerkriegsgebiet gekommen, ein Drittel sei dort geboren. Calvar sprach mit Bezug auf die Minderjährigen von „realen Sicherheitsproblemen“, denn die Kinder würden vom Islamischen Staat „konditioniert und instrumentalisiert“ und seien an Waffen ausgebildet. Calvar berichtete von einem Video, auf dem „ein elf- oder zwölfjähriger Franzose“ einem angeblichen israelischen Spion „eine Kugel in den Kopf schießt, ohne die geringste Gefühlsregung zu zeigen“.

Die Täterin wirkte eiskalt, ihre einzige Sorge war, dass ihr Kopftuch verrutschte, sie wollte nach der Festnahme unbedingt das Kopftuch wieder richtig aufsetzen. Ob der Beamte überlebt, war ihr egal.

Polizist in Hannover

Ein Terrorfall, der dem von Calvar beschriebenen neuen Bedrohungsmuster nahekommt, hat sich in Deutschland schon zugetragen: Ende Februar stach auf dem Hauptbahnhof Hannover eine 15 Jahre alte IS-Anhängerin mit einem Messer auf einen Polizisten ein und verletzte ihn lebensgefährlich. Polizisten beschrieben später für die Bild-Zeitung die Tat und die marokkanischstämmige Schülerin: „Die Täterin wirkte eiskalt, ihre einzige Sorge war, dass ihr Kopftuch verrutschte, sie wollte nach der Festnahme unbedingt das Kopftuch wieder richtig aufsetzen. Ob der Beamte überlebt, war ihr egal.“ Das Mädchen hatte zuvor nach Syrien ausreisen wollen, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. Weil das scheiterte – angeblich hatte ihre Mutter sie von der syrisch-türkischen Grenze zurückgeholt –, nahm sie sich in Hannover einen Polizisten zum Terror-Ziel.

Über 800 Dschihad-Touristen aus Deutschland − 60 Prozent mit deutschen Pässen.

Bundeskriminalamt

Die Gefahr wächst, auch für Deutschland. Von inzwischen über 800 Dschihad-Touristen aus Deutschland berichtete Anfang des Jahres das Bundeskriminalamt (BKA). Gut 130 von ihnen sollen in Syrien und Irak ums Leben gekommen sein. 60 Prozent der Dschihad-Reisenden aus Deutschland haben deutsche Pässe. Etwa ein Drittel dieser über 800 Syrien-Dschihadisten „ist wieder in Deutschland“, so das BKA. Dazu passt jetzt die beunruhigende Nachricht, die ein Rechercheteam der Sender WDR und NDR sowie der Süddeutschen Zeitung verbreitet, dass der Islamische Staat in Syrien und Irak ganz gezielt nach „Deutschen“ sucht, die in ihre Heimat zurückkehren sollen, um dort Terroranschläge durchzuführen.

IS-Zentrale für Auslandsterror

Schon im vergangenen Januar hatte Europol berichtet, der Islamische Staat habe eine Zentrale für Auslandsoperationen aufgebaut. Diese Terrorzentrale sei verantwortlich für die Planung und Durchführung von Terroranschlägen im Ausland – „auch in der EU und vor allem in Frankreich“. Europol-Chef Rob Wainwright ergänzt jetzt: „Wir wissen aus den zahlreichen Ermittlungen, die Europol unterstützt, dass der IS ein Team, ein Kommando für externe Operationen gegründet hat, wahrscheinlich in Rakka, das ausgeklügelte Anschläge im Westen trainiert und plant.“

Wenn ihr einen amerikanischen oder europäischen Ungläubigen töten könnt – vor allem die bösartigen und schmutzigen Franzosen – oder einen Australier oder einen Kanadier oder irgendeinen ungläubigen Bürger eines Landes, das in die Koalition gegen den Islamischen Staat eingetreten ist, dann zählt auf Allah und tötet ihn, egal auf welche Weise.

IS-Auslandsterror-Chef Abu Muhammad Al-Adnani

An der Spitze des IS-Auslandskommandos soll der knapp 40-jährige Syrer und IS-Mitbegründer Abu Muhammad Al-Adnani stehen. Am 22. September 2014 hatte Adnani per Twitter Muslime in aller Welt aufgerufen, Ungläubige zu töten: „Wenn ihr einen amerikanischen oder europäischen Ungläubigen töten könnt – vor allem die bösartigen und schmutzigen Franzosen – oder einen Australier oder einen Kanadier oder irgendeinen ungläubigen Bürger eines Landes, das in die Koalition gegen den Islamischen Staat eingetreten ist, dann zählt auf Allah und tötet ihn, egal auf welche Weise.“ Adnani wird die Planung der Anschläge in Paris  vom vergangenen 13. November zugeschrieben. Schon im August 2014 setzte ihn das US-Außenministerium als „Welt-Terrorist” (CNN) auf eine Fahndungsliste und lobte ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar auf ihn aus. Dem US-Sender CNN zufolge ist Adnani für Washington der meistgesuchte Terrorist – sogar noch vor IS-„Kalif“ Abu Al-Bagdadi. Anfang des Jahres soll er bei einem Luftangriff der Koalitionsstreitkräfte schwer verletzt worden sein.

Der Pseudostaat hat eine eigene Abteilung, die für Attentate im Ausland zuständig ist. Sie schleust Kämpfer in die Elendskarawanen der Flüchtlinge ein und entsendet gezielt Terrorkommandos nach Europa.

Neue Zürcher Zeitung

Der IS-Pseudo-Staat habe „eine eigene Abteilung, die für Attentate im Ausland zuständig ist“, berichtete Anfang April auch in der Neuen Zürcher Zeitung Chefredakteur Eric Gujer: „Sie schleust Kämpfer in die Elendskarawanen der Flüchtlinge ein und entsendet gezielt Terrorkommandos nach Europa.“ Gujer weiter: „Dort werden die Zellen offenkundig langfristig aufgebaut; sie verfügen zudem über eine Infrastruktur mit diversen Verstecken.“ Die IS-Terrorzellen in Europa, so Gujer, könnten „trotz intensiver Fahndung mehrmals hintereinander zuschlagen“.

„Buchstäblich mörderische Parallelgesellschaft”

Europol zufolge sind schon bis zu 5000 Dschihadisten aus Europa nach Syrien und Irak gezogen und haben seither in Terrorcamps Kampferfahrung gesammelt. Viele von ihnen seien inzwischen nach  Europa zurückgekehrt. Europol-Chef Wainwright: „Die wachsende Zahl dieser ausländischen Kämpfer stellt die EU-Staaten vor völlig neue Herausforderungen.“ Aus diesem Reservoir, so die NZZ, speise sich eine Armee des Terrors, die sich jetzt gegen Europa wende: „Weil dem ‚Islamischen Staat‘ diese willigen Rekruten zur Verfügung stehen, richtet er seinen Blick vor allem auf Europa. Terror ist manchmal auch eine pragmatische Entscheidung.“ Dazu kommt etwas anderes: Weil der Islamische Staat in Syrien und Irak schwere Rückschläge erleidet, wendet er sich nun nach außen. Und Hauptgegner sind nicht mehr die USA, sondern Europa  – und da vor allem Frankreich. Europol-Ehef Wainwright: „Europa steht momentan vor der größten Terrorgefahr seit mehr als zehn Jahren. Es ist zu erwarten, dass der I.S. oder andere religiöse Terrorgruppen einen Anschlag irgendwo in Europa verüben werden – mit dem Ziel, hohe Verluste unter der Zivilbevölkerung zu erreichen.“

Fast alle in Deutschland bisher identifizierten Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt bzw. haben sich im salafistischen Milieu entwickelt.

Bundesamt für Verfassungsschutz

Sehr entgegen kommt den IS-Planern dabei Unterstützung und Infrastruktur, die ihnen islamische und islamistische Milieus in Molenbeek, St. Denis und anderen französischen Banlieues oder in ähnlichen Problemsiedlungen vielerorts in Europa bieten. Mehr als vier Monate lang konnte sich einer der Terroristen vom 13. November nach der Tat in Molenbeek verstecken und dort dank eines großen Unterstützer-Umfeldes und einer noch größeren Zahl von Leuten, die einfach nur schwiegen, recht entspannt leben. Von einer „buchstäblich mörderischen Parallelgesellschaft“, die in Molenbeek „unkontrolliert wuchern“ durfte, schreibt wieder die NZZ.

5000 Dschihadisten aus Europa: Weil dem ‚Islamischen Staat‘ diese willigen Rekruten zur Verfügung stehen, richtet er seinen Blick vor allem auf Europa. Terror ist manchmal auch eine pragmatische Entscheidung.

Neue Zürcher Zeitung

Dazu kommt etwa in Deutschland eine schnell wachsende salafistische Szene. Zählte das Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2011 etwa 3800 Salafisten in Deutschland, so waren es im Juni 2015 schon gut 7500, die allesamt die verfassungsmäßige Ordnung des Landes beseitigt und durch das brutale islamische Scharia-Recht ersetzt sehen wollen. Zwar sei die Mehrzahl der Salafisten in Deutschland keine Terroristen, sondern politische Salafisten, schrieb der Verfassungsschutz Anfang diesen Jahres in einem Kurzbericht über „Salafistische Bestrebungen“: „Andererseits sind fast alle in Deutschland bisher identifizierten Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt bzw. haben sich im salafistischen Milieu entwickelt.“ Salafistische Bestrebungen stellten aufgrund ihrer ideologiebedingten, inhärenten Gewaltaffinität und der radikalisierenden Wirkung salafistischer Ideologieinhalte ein eminentes Sicherheitsproblem dar, so der Verfassungsschutz: „Der Schritt zur tatsächlichen Gewaltanwendung ist – wie die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen – in der salafistischen Szene nur klein.“

Für den IS sind wir der Feind. Es besteht also eine ernstzunehmende Anschlagsgefahr.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maßen

Das Auswärts-Terrorkommando von Terrorchef Al-Adnani findet in Europa ideale Bedingungen vor – auch in Deutschland. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass auch Deutschland im Fokus islamistischer Terroristen steht,“ warnte Ende vergangenen Jahres Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen: „Für den IS sind wir der Feind. Es besteht also eine ernstzunehmende Anschlagsgefahr.“ In den vergangenen Monaten ist sie gewachsen.