Freispruch für serbischen Nationalistenführer
Der serbische Nationalistenführer Vojislav Šešelj ist vom UN-Kriegsverbrechertribunal für Jugoslawien in Den Haag überraschend freigesprochen worden. Die Anklage hatte auf Mord, Deportation, Verfolgung und Folter von Kroaten und Muslimen gelautet. Vor allem in Kroatien herrscht Fassungslosigkeit, der Angeklagte selbst triumphiert.
Haager Tribunal

Freispruch für serbischen Nationalistenführer

Der serbische Nationalistenführer Vojislav Šešelj ist vom UN-Kriegsverbrechertribunal für Jugoslawien in Den Haag überraschend freigesprochen worden. Die Anklage hatte auf Mord, Deportation, Verfolgung und Folter von Kroaten und Muslimen gelautet. Vor allem in Kroatien herrscht Fassungslosigkeit, der Angeklagte selbst triumphiert.

Der serbische Nationalistenführer Vojislav Šešelj ist überraschend von allen neun Anklagepunkten zu Verbrechen im Bürgerkrieg auf dem Balkan freigesprochen worden. Die Anklage habe seine Verantwortung für Mord, Deportation, Verfolgung und Folter von Kroaten und Muslimen nicht bewiesen, urteilte das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien in Den Haag.

Der Freispruch ist für viele Beobachter eine große Überraschung. Šešelj galt wegen seiner hasserfüllten Propaganda gegen Kroaten und Muslime als einer der schlimmsten Kriegstreiber. Die Anklage hatte wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit 28 Jahre Haft gefordert. Nach dem rund 13 Jahre dauernden Verfahren aber erklärte der Vorsitzende Richter Jean-Claude Antonetti: „Mit diesem Freispruch ist Vojislav Šešelj ein freier Mann.“

Fassungslosigkeit in Kroatien

Kroatien reagierte fassungslos. Der kroatische Regierungschef Tihomir Oreskovic erklärte: „Das Urteil ist eine Schande, eine Niederlage für das Haager Gericht“. Nach diesem Urteil, so kommentierte die kroatische Zeitung Jutarnji list, „sollte man das Gericht sofort schließen und die eingesparten Millionen für die Exhumierung der Massengräber verwenden“. Das populäre Portal Telegram kommentiert: „Schändliches Urteil“.

Das Urteil ist zugleich eine große Schlappe für die Anklage. Die Richter kritisierten die Beweisführung ungewöhnlich scharf als unzureichend. Die Anklage reagierte enttäuscht und erwägt, Berufung einzulegen. Das Urteil entspreche nicht der bisherigen „konsistenten Rechtsprechung des Tribunals“, hieß es in einer Erklärung.

Angeklagter war nicht anwesend

Šešelj war bei der Urteilsverkündung in Den Haag nicht anwesend. Er kündigte in Belgrad an, eine Entschädigung von 14 Millionen Euro für seine elf Jahre dauernde Haftzeit zu verlangen. Es sei „ein antiserbisches Gericht in der Hand der westlichen Mächte“, sagte der 61-Jährige.

Der Vorsitzende der großserbischen Radikalen Partei (SRS) war 2014 wegen einer Krebserkrankung vorläufig aus der Haft entlassen worden und hatte sich geweigert, der Urteilsverkündung beizuwohnen. Er hatte sich dem Gericht 2003 selbst gestellt. Der Prozess war durch seine Wutausbrüche und langen Tiraden auch zu einem Spektakel geworden.

Groß-Serbien-Pläne ohne Kroaten und Moslems „nicht kriminell“

Als einflussreicher Politiker hatte Šešelj seit Beginn der 90er Jahre den Plan eines Groß-Serbien propagiert, in dem Kroaten und Muslime keinen Platz hätten. „Dieser Plan aber ist politisch zu beurteilen und sicher nicht kriminell“, erklärte Richter Antonetti. Auch gebe es keine Beweise, dass seine Hass-Reden serbische Milizen zu Kriegsverbrechen angestachelt hätten. Der Nationalist hatte über sie demnach auch keine Befehlsgewalt.

Erst vor einer Woche war der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic zu 40 Jahren Gefängnis unter anderem wegen des Völkermordes in Srebrenica verurteilt worden.

Šešelj prahlt: „Ich habe das Haager Tribunal zerlegt“

Die FAZ kommentierte, die Anklage sei „von Anfang an oberflächlich und schlecht recherchiert“ gewesen. Das Urteil sei „die größte Niederlage der Anklagebehörde des Haager Tribunals, seit dieses zu Beginn der neunziger Jahre durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde“.

Vergangene Woche hatte Šešelj in einem Interview in der FAZ geprahlt: „Ich habe das Haager Tribunal besiegt. Überzeugend. Ich habe es zerlegt. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben. Ich habe bewiesen, dass alle Vorwürfe gegen mich falsch sind, dass falsche Zeugen vorgeführt wurden, dass viele Dokumente gefälscht waren.“

dpa/FAZ/wog