Die einen halten Blumen in ihren Händen, die anderen haben sich den Mund zu nähen lassen. Mit beiden Aktionen protestieren Flüchtlinge im illegalen Lager „Jungle“ bei Calais gegen die Räumung ihrer Hütten. Beide Aktionen haben noch etwas gemeinsam: Die britische Organisation „No Border“ hat die Migranten an der französischen Küste dazu animiert.
Angriffe auf das Grenzsystem und seine Infrastruktur
Radikale Aktivisten wie die No Border-Mitglieder nutzen seit geraumer Zeit die Flüchtlingskrise, um damit auf ihre Absichten aufmerksam zu machen. Die lauten kurz zusammengefasst: keine Grenzen, keine Staaten. Und um dieses Ziel zu erreichen setzt die „anarchistische“ und „anti-kapitalistische“ No-Border-Bewegung auch auf Gewalt. „Angriffe auf das Grenzsystem und seine Infrastruktur“, schreiben die Aktivisten auf ihrer Internet-Seite, gehören ausdrücklich dazu.
Politische Unterstützung von den Grünen
Unterstützung finden die radikalen Grenz-Gegner etwa bei den Grünen. So verabschiedete die Grüne Jugend Berlin im Dezember 2012 eine Resolution mit dem Titel „Keine Grenzen, keine Staaten“, in der es heißt: „Wir treten für die Aufhebung aller Grenzen ein, zwischen Ländern, zwischen Menschen und in den Köpfen. Im nächsten Schritt fordern wir die Überwindung der Nationalstaaten, denn solange es ein ‚wir‘ und ein ‚ihr‘ gibt, wird es immer Rassismus und eine Verletzung der Menschenrechte geben.“ Ganz ähnlich formulieren auch die Anarchisten aus Großbritannien ihre Ziele: „Wir sehen den Kampf gegen Grenzkontrollen als Teil des Kampfes gegen alle Formen von Ausbeutung und Herrschaft, ganz gleich ob es sich um Herrschaft durch Regierungen, Unternehmen oder in Alltagsbeziehungen handelt.“
Rechtsbruch einkalkuliert
Im vergangenen Jahr wurde die Linken-Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz vorübergehend in Polizei-Gewahrsam genommen, weil sie mit anderen „Fluchthelfern“, eine Gruppe von etwa 300 Migranten aus Ungarn über Österreich nach Deutschland gebracht hatte. „Wir begehen Rechtsbruch. Das haben wir einkalkuliert“, erklärten die Organisatoren des selbsternannten „Konvois der Hoffnung“ zu ihrer Aktion.
Radikale Fluchthelfer dürften auch hinter der riskanten Überquerung eines Flusses an der mazedonischen Grenze in der Nähe des griechischen Dorfes Idomeni stecken. Ein „Kommando Norbert Blüm“ hatte dort Mitte März ein Flugblatt mit einer Skizze verteilt, die einen angeblich freien Durchgang nach Mazedonien zeigen sollte. Auf dem Flugblatt wurde zudem behauptet, dass das Lager in Idomeni bald geräumt werden solle. Aus dem illegalen Camp machten sich etwa 2000 Flüchtlinge auf den Weg, wurden jedoch von mazedonischen Sicherheitskräften wieder zurück nach Griechenland gebracht. Zahlreiche Unterstützer wurden von der mazedonischen Polizei vorübergehend in Gewahrsam genommen, darunter auch Flüchtlingshelfer aus Deutschland und Österreich.
Eine direkte Verantwortung für das „Kommando Norbert Blüm“ konnte No Border und ihren Partnerorganisationen bislang freilich nicht nachgewiesen werden. Zwar begrüßte ein Sprecher der Organisation die Aktion und sprach von einem „gelungenen Coup“ gegen die Grenzschützer – gleichzeitig wurde aber betont, die No Border-Aktivisten hätten die Flüchtlinge lediglich auf ihrem Weg zur Flussüberquerung begleitet, dabei aber keine Führungsrolle übernommen. Wer die Flugblätter in Umlauf gebracht hat, bleibt unklar. Auf Anfrage des BAYERNKURIER erklärte etwa die Hilfsorganisation „borderline-europe“, die Flugblätter seien vor Ort gedruckt worden, nachdem eine Gruppe junger Männer aus Syrien und dem Irak beschlossen habe, die Grenze zu überqueren.
Bolzenschneider für Flüchtlinge
Viel wahrscheinlicher ist, dass die Flüchtlinge nicht selbst für die Aktion verantwortlich sind. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass die versuchte Grenzüberschreitung von langer Hand geplant war. Schon vor der Flussüberquerung hatte die österreichische Kronen-Zeitung berichtet, dass Flüchtlingsorganisationen an der griechisch-mazedonischen Grenze Bolzenschneider an illegale Einwanderer verteilt hätten. Die Zeitung berief sich dabei auf einen Lagebericht der österreichischen Regierung. Demnach hätten mazedonische Sicherheitskräfte alleine am Wochenende über hundert Asylsuchende hinter der Grenze aufgegriffen. Die mitgeführten Bolzenschneider seien ihnen von Hilfsorganisationen geschenkt worden, gaben die illegalen Einwanderer bei der Vernehmung an. Damit hätten sie dann die Löcher in die Grenzzäune geschnitten.
„Auf griechischer Seite sind im Grenzraum seit Längerem griechische Anarchisten tätig, die aktiv Migranten anraten, den Zaun mit Bolzenschneidern aufzuschneiden“, zitiert die Kronen-Zeitung den Lagebericht. Die mutmaßlichen Anstifter seien demnach hervorragend mit diversen Kampagnen vernetzt, unter anderem auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit dem Hashtag #SafePassage. Die Kronen-Zeitung zitiert auch österreichische Polizeikreise, wonach die Verfasser des Flugblattes deutsche oder österreichische Helfer gewesen seien. Die Zeichnung der Marschroute mit „Kommando Norbert Blüm“ sei ein klarer Hinweis darauf. In Griechenland sei der frühere deutsche CDU-Arbeitsminister Blüm, der Idomeni kurz zuvor besucht hatte, eher unbekannt.
Aktivisten stacheln Asylbewerber in Calais an
In Calais stecken die Anarchos nicht nur hinter dem inzwischen seit mehr als zwei Wochen andauernden Hungerstreik der Flüchtlinge. Zu Beginn der Räumungsaktion stachelten sie die Migranten dazu an, ihre Hütten in Brand zu setzen. Sie initiierten eine Straßenblockade, bei der Steine und Flaschen flogen und Polizisten verletzt wurden. Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve nennt die No Border-Mitglieder „gewalttätige Extremisten“. Sie seien „unverantwortlich“ und „zynisch“. Die für Calais zuständige Präfektin Fabienne Buccio sagt, die Aktivisten seien „voller Hass gegen alle Gesetze und Grenzen“. Sie hätten kein wirkliches Interesse an den Flüchtlingen, sondern manipulierten und verführten diese. Und sie seien gefährlich. Einer ihrer Polizisten hätte mehrere Brüche an der Hand erlitten. „Sie werfen nicht mit Kieselsteinen“, sagte Buccio.
Die No Border-Leute organisierten nach französischen Polizeiangaben auch eine Straßenblockade, die Flüchtlinge nutzten um auf LKWs in Richtung Großbritannien zu klettern. Und sie organisierten einen Protestmarch durch Calais, der gewalttätig endete. Die Demonstranten marschierten zum Hafen, rissen ein Loch in einen Schutzzaun und stürmten eine Fähre, die gerade aus Dover angekommen war. Die Polizei verhaftete mehrere Dutzend Menschen, darunter 26 Migranten und elf No Border-Aktivisten.
Wer steckt hinter der Organisation?
Die Vorkommnisse der letzten Monate, die Parolen auf den Webseiten der Organisation, lassen darauf schließen, dass es sich bei No Border um eine europaweit agierende, eng vernetzte und hochpolitisierte Gruppierung im Spannungsfeld von Linksextremismus und Anarchismus handelt. Der österreichische Verfassungsschutz weist in seinen Berichten regelmäßig auf die guten Kontakte von links-autonomer Szene und No-Border-Aktivisten hin und warnt vor der Gefahr „rein militanter Aggression“ und „exzessiver Gewaltanwendung“. Für Autonome, schreiben die österreichischen Verfassungsschützer“ sei „die Anwendung von Gewalt ein legitimer und normaler Handlungsstil“.
Obwohl sich No Border auch gegen die europäische Finanzpolitik richtet und „Antikapitalismus und Antiimperialismus“ propagiert: Die Flüchtlingskrise scheint das einzige dauerhaft verbindende Element zwischen den Splittergruppen zu sein. Denn: Eine wirkliche „Organisation“ gibt es bei No Border nicht. Weder gibt es eine Zentrale, noch leitende Köpfe. Auf der Website heißt es: Jede Gruppierung, die sich mit den Grundprinzipien von No Border einverstanden erklärt, ist dadurch schon als Teil der Bewegung akzeptiert. Dadurch ist oft nicht klar, wer dazu gehört, wer was veranlasst, und wer wofür verantwortlich ist – und diese Intransparenz scheint die Taktik von No Border zu sein.
(tr/dos)