Brasilien im Aufruhr: Im Bild Rio de Janeiro mit dem Zuckerhut (hinten links) und der weltberühmten Christusstatue im Vordergrund. (Bild: Fotolia/thomathzac23)
Demonstrationen

Brasilien im Waschgang

Mehr als drei Millionen Menschen haben wegen der tiefen Krise in Brasilien für eine Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff demonstriert. Das Portal "O Globo" berichtete unter Verweis auf Polizeiangaben von bis zu 3,6 Millionen Teilnehmern - es waren die bisher größten Kundgebungen gegen die Präsidentin der linken Arbeiterpartei. Hauptkritikpunkt ist ein Korruptionsskandal.

Der Skandal hat das Vertrauen der Bürger in die seit 2003 regierende Arbeiterpartei schwer erschüttert. Rousseff hat nur noch zehn Prozent Zustimmung im Volk. Für ihre Amtsenthebung sind laut Umfragen rund 60 Prozent der Brasilianer. Zwar ist bereits ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie eingeleitet, aber wegen vieler Hürden und der bisherigen Mehrheitsverhältnisse im Kongress ist der Ausgang völlig offen und kann noch lange dauern. Es gab in über 300 Städten am Sonntag Proteste. In São Paulo, Hochburg der Opposition, protestierten bei einer der bisher größten Kundgebungen mindestens 500.000 Menschen, nach Schätzungen der Polizei waren sogar bis zu 1,4 Millionen in der Stadt. In Brasília waren es 100.000 und laut Organisatoren mehrere Hunderttausend in Rio de Janeiro.

Chaos vor Olympia?

Rousseff (68) ist bis Ende 2018 gewählt. Ihr Präsidentenpalast lobte in einer Erklärung den friedlichen Verlauf der Demonstrationen, man respektiere das Recht auf Meinungsfreiheit. Wenige Monate vor den Olympischen Spielen in Rio (5.-21. August) ist die Stimmung im fünftgrößten Land der Welt aufgeheizt, die Regierung kaum noch handlungsfähig. „Fora Dilma“ – „Dilma raus“, skandierten die Menschen im ganzen Land. Andere riefen: „Raus mit den Korrupten, raus mit den Korrupten!“ Den für die Korruptionsermittlungen zuständigen Richter Sérgio Moro feierten hingegen die Demonstranten, die in den Landesfarben grün, gelb, blau die Straßen säumten und immer wieder die Nationalhymne anstimmten. Eine Frau sagte in einem Tagesschau-Bericht der ARD: „Diese Regierung hat keinen Anstand, sie raubt die Bevölkerung aus ohne Skrupel. Und sagt dann auch noch, sie tue das für das Volk. Seit mehr als zwölf Jahren geht das so.“

Autowäsche im Parlament

Allein gegen 57 Politiker quer durch alle Parteien wird mittlerweile in der sogenannten Operation Lava Jato (Auto-Wäsche) ermittelt. Dabei geht es um jahrelange Schmiergeldzahlungen an Politiker bei Auftragsvergaben des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras an Bauunternehmen, zum Beispiel für den Bau einer Bohrplattform. Gegen Rousseffs Amtsvorgänger und Förderer Luiz Inácio Lula da Silva laufen mehrere Verfahren – er bestreitet jedoch alle Vorwürfe. Ihm droht Untersuchungshaft und ein Prozess wegen Ungereimtheiten bei einem Luxus-Apartment an der Atlantikküste. Anfang März wurde Lulas Haus durchsucht und er selbst verhört. Die Ankläger vermuten Geldwäsche und die Verschleierung von Vermögen.

Die Opposition wirft Rousseff vor, vom Korruptionsnetz gewusst zu haben, was sie zurückweist. Sie war in Lulas Amtszeit (2003 – Anfang 2011) Ministerin und Kabinettschefin. Zudem gibt es einen ökonomischen Absturz (2015 minus 3,8 Prozent) und eine hohe Verschuldung, Brasilien droht die tiefste Rezession seit 1930. Ein Gericht hatte den Haushalt im Oktober 2015 wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten für illegal erklärt. Die Zahl der Arbeitslosen stieg auf 9,1 Millionen und die internationalen Ratingagenturen haben die Bewertung brasilianischer Staatsanleihen auf Ramschniveau gesenkt. Rousseffs wichtigster Koalitionspartner, die Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), droht mit einem Koalitionsbruch. Was dann passieren würde, ist unklar. Binnen 30 Tagen soll eine Entscheidung fallen.

(dpa/avd)