Flagge im Sturm: Griechenland hat mit erheblichem Gegenwind zu kämpfen. Ein Teil der Probleme rührt aus der Reform-Unwilligkeit der Regierung. (Bild: Fotolia/refreshPIX)
Griechenland

Ein Land am Abgrund

Nüchterne Bilanz nach 100 Tagen Syriza-Regierung in Griechenland: Nur nach deren eigener Propaganda steht das Land vor der Lösung der Schuldenkrise. In Wirklichkeit geht es immer weiter abwärts, weil die Regierung keine zukunftstauglichen Reformen anpackt, ein Teil der früheren Reformen wurde sogar zurückgedreht. Eine Analyse von Polixeni Kapellou (Hanns-Seidel-Stiftung Athen).

Hundert Tage sind seit dem Amtsantritt der neuen Regierung unter dem Ministerpräsidenten Alexis Tsipras (SYRIZA) vergangen. Der Druck auf die Regierung, so schnell wie möglich eine Vereinbarung mit ihren internationalen Gläubigern abzuschließen, um das Land vor dem Konkurs und den damit zusammenhängenden katastrophalen Folgen zu bewahren, wächst stetig.

Einiges von dem, was im Wahlkampf versprochen wurde, hat die Syriza-Regierung – an der auch die rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ (ANEL) beteiligt sind – bereits umgesetzt. So sollen ab Juni rund zweieinhalb Millionen Griechen, die ohne Krankenversicherung sind, Zugang zur öffentlichen Gesundheitsbetreuung erhalten. Außerdem sollen Bedürftige in den Genuss von Essensmarken, Mietzuschüssen und kostenloser Elektroenergie kommen.

Doch Maßnahmen wie die Anhebung der Niedrigrenten und der Mindestlöhne in der Privatwirtschaft auf 751 Euro, die Abschaffung der verhassten Immobiliensteuer (ENFIA) oder gar die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen lassen noch auf sich warten.

Hat das Tauziehen ein Ende?

Das lange Tauziehen rund um das griechische Sparprogramm könnte bald beendet werden, hofft die Regierung. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras stellte kürzlich in einer Rede fest: „Wir sind auf der Zielgeraden einer für beide Seiten günstigen Lösung.“ Nach Einschätzung des griechischen Finanzministers Janis Varoufakis steht die Regierung kurz vor einer Einigung mit ihren Gläubigern „vielleicht in einer Woche“, so Varoufakis.

In der griechischen Presse gibt es Informationen, wonach EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker eine Art Kompromissplan ausgearbeitet habe, um den Gordischen Knoten des Griechenland-Problems zu lösen. Bei dieser ins Auge gefassten „technischen Zwischenlösung“ würde Griechenland vorerst finanzielle Mittel erhalten, um Verbindlichkeiten bedienen zu können. Allein im Juni müssen – an Leistungen für den IWF sowie Zinszahlungen – etwa zwei Milliarden Euro aufgebracht werden. Im Gegenzug hierzu soll sich Griechenland zu Einsparungen in Höhe von 5 Milliarden Euro verpflichten, um die Haushaltslücken in den Jahren 2015 und 2016 zu stopfen.

Die Geldgeber verlangen von der griechischen Regierung schnelle und umfassende Reformen, nur dann sollen weitere Finanzmittel nach Griechenland fließen. Die größten Hürden bilden die geforderten Reformen beim Arbeitsrecht und dem Sozial- und Rentenversicherungssystem. Eine Annäherung zeichnet sich mittlerweile auch bei einer Neuregelung der Mehrwertsteuer, deren Höchstsatz derzeit bei 23 Prozent liegt, ab.

 Die politische Landschaft und die Machtverhältnisse

Der radikale Flügel der Syriza-Partei, die so genannte Linke Plattform, stellt ungefähr 30 Abgeordnete im Parlament und ein Drittel der Posten in der Parteiführung. Seine Vertreter gelten als Hardliner, sie drohen den Geldgebern mit einem Stopp der Tilgungen und warnen die eigene Regierung, allen voran Tsipras, vor Kompromissen und Zugeständnissen.

Tsipras könnte die Linke Plattform theoretisch ausbooten und dafür einen weiteren kleinen Partner in seine Koalition aufnehmen, etwa die eher sozialdemokratisch orientierte Partei „To Potami“. Die sozialliberale „To Potami“ hat sich indes nach anfänglichen Liebesbekundungen in Richtung der Linksradikalen neuerdings von Syriza distanziert, und ein offener Bruch mit ihrer Linken Plattform könnte die Syriza in eine schwere Krise stürzen.

Wie verhält sich „Nea Dimokratia“?

Das gilt umso mehr für den Falle einer ganz anderen Entwicklung: Der ehemalige Ministerpräsident und jetzige Oppositionsführer, der konservative Antonis Samaras, hatte nämlich dem Regierungschef die Bildung einer „Einheitsregierung“ vorgeschlagen, sofern dieser bereit sei, Griechenland in der Euro-Zone zu halten.

Innerhalb der Partei „Nea Dimokratia“ (ND) gibt es allerdings derzeit keine einheitliche Linie hinsichtlich einer parlamentarischen Zustimmung zu neuen Vereinbarungen mit den Gläubigern. Der Sprecher der parlamentarischen Fraktion der ND, Kyriakos Mitsotakis, hat neulich erklärt, dass er bereit sei, einer neuen Vereinbarung im Parlament zuzustimmen, auch wenn dies problematisch sei.

Mehrheit sagt: Regierung (ver)handelt falsch

Einer Erhebung der Universität Makedonien für den privaten Sender Skai zufolge würden derzeit 36,5 Prozent der Befragten im Falle eines Urnengangs für Syriza votieren – das sind etwa genauso viele wie bei den Wahlen am 25. Januar 2015. Die konservative Nea Dimokratia folgt weit abgeschlagen auf Platz zwei (15,5 Prozent). Im Januar hatten sich noch 27,81 Prozent der Griechen für die ND entschieden. Nichtsdestotrotz empfinden 41 Prozent der Befragten, dass die Verhandlungsstrategie der Regierung mit den internationalen Geldgebern falsch sei.

Schlaglichter der deutsch-griechischen Zusammenarbeit

  • Die offizielle Deutsch-griechische Versammlung (DGV) setzt ihre Projektarbeit fort, auch wenn der Griechenland-Beauftragte der Bundeskanzlerin, der parlamentarische Staatssekretär Hans Joachim Fuchtel, bis jetzt noch keine Mitglieder der neuen Regierung getroffen hat.
  • Ein wichtiges Signal der Zusammenarbeit ist die Absicht des deutschen Flughafenbetreibers FRAPORT, in Griechenland zu investieren. FRAPORT hatte mit der Vorgänger-Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten Samaras vereinbart, vierzehn regionale Flughäfen in Griechenland zu übernehmen und zu modernisieren.
  • Das deutsch-griechische Jugendwerk ist im Aufbau begriffen. Wichtige Entscheidungen hängen allerdings von der Kooperationsbereitschaft der neuen Regierung in Athen ab.
  • Den deutsch-griechischen Dialog prägen derzeit zahlreiche Delegationen von politischen Entscheidungsträgern und Parlamentariern, die sich jeweils in Athen und Berlin über die neuesten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen informieren wollen.
  •  Nach vier Jahren Arbeit beschloss die EU-Kommission, das Büro der Task Force in Athen umzustrukturieren.