Er sieht aus als wäre er fertig, aber die Mängelliste ist lang, und es kommen immer mehr dazu: Die Pannenserie auf dem künftigen Berliner Hauptstadtflughafen reißt einfach nicht ab. Bild: Imago
Flughafen Berlin (BER)

Wohnen statt Fliegen?

Für den Aufsichtsrat des Berliner Hauptstadt-Flughafens BER ist es ein gewohntes Gefühl: Er ist wieder im Krisenmodus. Dieses Mal droht ihm ein Dach auf die Füße zu fallen. Der Baustopp wegen zu schwerer Deckenventilatoren im Terminal ist das neueste Kapitel einer unglaublichen Serie von Pannen und Skandalen, die immer mehr Steuergeld auffrisst.

Schon vor der Aufsichtsratssitzung am Freitag hatten sich Bürgerinitiativen aus Berlin und Brandenburg mit einer originellen Idee zu Wort gemeldet: Sie schlagen vor, alle Bauten wieder abzureißen und statt Landebahn und Terminal Wohnungen auf dem Schönefelder Areal zu errichten. Der Flughafen soll neu geplant und an anderer Stelle entstehen, fordern die Vertreter „für ein lebenswertes Berlin-Brandenburg“ (ABB), des Bürgervereins Berlin-Brandenburg (BVBB) und des „Bündnisses Südost gegen Fluglärm“ (BüSo).

Experten meinen: 5,4 Milliarden Euro werden nicht reichen

So abstrus der Vorschlag klingt, viel mehr als das jahrelange Herumdoktern an den vorhandenen Mängeln würden Abriss und Neubau des Airports wahrscheinlich gar nicht kosten. Seit dem Baubeginn vor neun Jahren sind die Kosten von zwei Milliarden auf zuletzt 5,4 Milliarden Euro gestiegen. Zu zahlen haben das die Gesellschafter von Bund, Ländern und der Flughafengesellschaft. Ein Großteil bleibt also am Steuerzahler hängen. Und nicht wenige Experten unken, dass die 5,4 Milliarden Euro noch lange nicht das Ende der Fahnenstange sein werden: Der Airport sei in seiner jetzigen Planung nur auf jährlich 27 Millionen Passagiere ausrichtet, eine Erweiterung sei unumgänglich, sagen sie.

Rauchgasventilatoren doppelt so schwer wie geplant

Baufachleute haben in dieser Woche wieder einmal die Hände über ihren Köpfen zusammengeschlagen, als die neueste BER-Panne bekannt wurde: In drei von 20 Deckenabschnitten wurden vor drei Jahren zu schwere Rauchgasventilatoren eingebaut. Mit jeweils vier Tonnen sind sie doppelt so schwer wie geplant und genehmigt. Jetzt muss geprüft werden, ob die Statik des Gebäudes das langfristig mitmacht. Vorsorglich wurden schon mal mehrere Teile des Terminals gesperrt. Der für die Dachbereiche verantwortliche Mitarbeiter musste seinen Hut nehmen. Den Posten übernehme ein anderer Mitarbeiter, teilte die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH mit.

Eröffnungstermin im Herbst 2017 wackelt bedenklich

Nun wackelt der Eröffnungstermin für das zweite Halbjahr 2017 bedenklich. Er sei fest davon überzeugt, dass die Geschäftsführung des Flughafens auf dem richtigen Weg sei und dass der Eröffnungstermin gehalten werde, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Vorsichtshalber schickte der SPD-Politiker aber gleich hinterher: „Ich bin auch fest davon überzeugt, dass politischer Druck auf einen Eröffnungstermin falsch ist.“ Mit anderen Worten heißt das also, dass der neue Flughafenchef Karsten Mühlenfeld so viel Zeit bekommt wie nötig.

Ich bin mir sicher, dass wir auch künftig auf Vorgänge aus der Vergangenheit stoßen, die auf den ersten Blick unfassbar erscheinen

BER-Chef Karsten Mühlenfeld

Mühlenfeld baute in dieser Woche schon mal vor und gab sich keiner Illusionen hin, dass die zu schweren Ventilatoren die letzten BER-Pannen gewesen sind: „Ich bin mir sicher, dass wir auch künftig auf Vorgänge aus der Vergangenheit stoßen, die auf den ersten Blick unfassbar erscheinen“, sagte er der Deutschen Presseagentur. Bauliche und planerische Fehler sowie persönliche Verfehlungen Einzelner müssten ans Tageslicht geholt werden, forderte er.

Consulting-Verträge mit München haben sich fürs Erste erledigt

Von den enormen Verzögerungen in Berlin ist indirekt auch der Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen im Erdinger Moos (MUC) betroffen. Nach Auskunft von MUC-Sprecher Peter Prümm gab es zwischen der Flughafen München GmbH (FMG) und den Berlinern bis Mai 2012 Consulting-Verträge für den Umzug und die Inbetriebnahme des neuen Airports. Die haben sich nach den mehrfach geplatzten Eröffnungsterminen im selben Jahr aber fürs Erste erledigt.

MUC ist der beste Flughafen Europas

Die FMG genießt weltweit hohes Ansehen: MUC wurde in diesem Jahr wieder zum besten Flughafens Europas gekürt, weltweit liegt er auf Rang drei. „Das ist eine großartige Auszeichnung für Bayerns Tor zur Welt“, sagte dazu der FMG-Aufsichtsratsvorsitzende und Bayerns Finanzminister Markus Söder. Für viele Reisende aus allen Teilen der Erde sei der Münchner Flughafen das Erste, was sie in Bayern zu Gesicht bekommen. „Dieser gute Eindruck strahlt auf den gesamten Freistaat aus“, so Söder.

FMG-Mitarbeiter tragen Knohow in die ganze Welt

Großen Respekt hat sich der mehrfach erweiterte Münchner Airport auch verdient, weil nicht nur der Bau, sondern auch der Umzug von Riem ins Erdinger Moos 1992 perfekt geklappt hatte. Die Münchner tragen ihr Knowhow schon seit Jahren in die ganze Welt: Ein Team mit rund 50 Mitarbeitern berät und unterstützt andere Flughäfen beim Probebetrieb und der Inbetriebnahme. Unter anderem waren und sind sie auf den Großflughäfen in Doha, Bahrain, Abu Dhabi, Singapur, Durban, Kuala Lumpur und Bangkok im Einsatz.

Airports beugen Pannen mit Consulting vor

Die Airports beugen damit Pannen vor, wie sie sich zum Beispiel 1992 in Denver ereignet haben. Dort mündete die Inbetriebnahme einer neuen, hochmodernen Gepäcksortieranlage in ein Desaster. Anders als in München, wo die FMG ein kleineres, aber ähnliches System vor der Inbetriebnahme mehr als zwei Jahre aufwändig getestet hatte, musste in Denver alles viel schneller gehen: Mangels Training stellten Angestellte die Koffer falsch auf die Laufbänder, Gepäckwagen des Systems blieben stecken oder entgleisten in zu engen Tunnels, und der Fahrtwind wehte zu leichte Koffer einfach hinunter. Die Fluggäste waren sauer, und das System musste komplett überarbeitet werden. 16 Monate zogen ins Land, die Kosten für die Anlage stiegen von 71 Millionen auf 311 Millionen Dollar.

Münchner wollen BER bei Umzug und Inbetriebnahme helfen

Für seine Bauarbeiten hatte sich der Großstadtflughafen in Berlin dagegen keine Ratschläge aus München geholt – das war nur einer der schweren Fehler. Beim Umzug und der Inbetriebnahme werden die Kollegen aus Bayern aber voraussichtlich wieder beratend zur Seite stehen. Im Moment gebe es zwar keine Aktivität, sagt FMG-Sprecher Prümm. Aber Berlin werde die Arbeiten neu ausschreiben, „und wir werden uns an der Ausschreibung beteiligen“. Dass die FMG wieder zum Zug kommen wird, ist sehr wahrscheinlich. Die Konkurrenz ist überschaubar. Mit Fraport in Frankfurt gibt es in Deutschland nur einen Mitbewerber.

Die Chronik des Versagens: „Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu bauen.“

Die BER-Misere beginnt im Juni 2010 mit der Insolvenz der Planungsfirma. Dazu gesellen sich verschärfte Sicherheitsbestimmungen; die für November 2011 geplante Eröffnung des Airports ist nicht mehr zu halten und wird auf den 3. Juni 2012 verschoben. Es gibt Streit um Flugrouten, Anwohner ziehen wegen der Furcht vor Lärm vor Gericht. Aber vor allem sorgen Planungs- und Ausführungsfehler für erhebliche Verzögerungen und Mehrkosten.

Management zieht die Reißleine

Nur wenige Woche vor der angekündigten Eröffnung zieht im Mai 2012 das Management die Reißleine. Wegen mangelhaftem Brandschutz wird die Aufnahme des Betriebs auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Planungschef wird gefeuert und die Zusammenarbeit mit dem Generalplanungskonsortium PGBB beendet. Nach einer zehnstündigen Sitzung gibt der Aufsichtsrat einen neuen Eröffnungstermin bekannt: 17. März 2013. Doch auch der kann nicht gehalten werden, weil immer mehr Pannen ans Tageslicht kommen: Regenwasser fließt in ein Lüftungssystem, mehrere Rolltreppen sind zu kurz, und im Brandschutzkonzept fehlt die Verbindung vom Bahnhof zur Brandmeldeanlage des Flughafens. Der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) fordert vergeblich den Rauswurf von BER-Chef Rainer Schwarz. Berlins Bürgermeister Peter Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) halten zu ihm.

Hartmut Mehdorn soll es richten

Anfang 2013 traut sich niemand der Verantwortlichen mehr zu sagen, wann die Eröffnung gefeiert wird: frühestens 2014, vielleicht auch erst 2015, heißt es. Klaus Wowereit tritt als Aufsichtsratsvorsitzender zurück und wird Vize, Parteikollege Platzeck übernimmt. Ex-Bahn- und Air Berlin-Chef Hartmut Mehdorn wird neuer BER-Chef, und Ende 2013 kehrt Wowereit auf den Posten des Aufsichtsratschefs zurück. Mittlerweile lacht die ganze Republik über das Chaos in Berlin. „Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu bauen“, steht auf einem Transparent – in Anspielung auf das Zitat von Walter Ulbrich vor dem Bau der Berliner Mauer.

Ingenieur ist in Wirklichkeit nur Technischer Zeichner

2014 wird weiter gestritten. Dem Architekten wird vorgeworfen, dass die Entrauchungsanlage niemals funktioniert hätte, der Planer wird entlassen. Das gleiche Schicksal ereilt den Technikchef, der unter Korruptionsverdacht gerät. Angeblich soll er 500.000 Euro von einer Zulieferfirma erhalten haben. Und noch ein Planer muss gehen, weil sich herausstellt, dass er gar kein Ingenieur, sondern nur technischer Zeichner ist. Mehdorn ringt dem Aufsichtsrat eine weitere Finanzspritze in Höhe von 1,1 Milliarden Euro für den Flughafenausbau ab, und sein Vorgänger Rainer Schwarz erhält gut eine Million Euro Gehalts-Nachzahlung, weil die Kündigung durch den Aufsichtsrat im Jahr zuvor nicht rechtmäßig war, entscheidet das Landgericht Berlin.

Auch Mehdorn gibt auf

Es folgen weitere Personalrochaden, Wowereit tritt ein zweites Mal zurück, Ende 2014 hat auch Mehdorn keine Lust mehr. Immerhin: Auf der Baustelle sei alles im Lot, lässt er wissen. Im März 2015 tritt der Luftfahrtmanager Karsten Mühlenfeld als neuer BER-Chef an. Sein Auftrag: Im Herbst 2017 sollen endlich die Maschinen starten und landen. Ob ihm das Kunststück gelingt, ist ungewiss. Denn auch 2015 reißen Pannen und Skandale nicht ab: Die für den Brandschutz zuständige Bautechnikfirma meldet im August Insolvenz an, Betrugsvorwürfe gegen einen leitenden Manager werden laut, und der September bringt die zu schweren Ventilatoren ans Tageslicht. Die Republik wartet gespannt darauf, welche Panne die  nächste ist.