Assistenzrobotik als Schlüsseltechnologie: Die Cockpitfertigung im BMW-Werk in Wackersdorf. (Bild: BMW Group)
vbw-Studie

„Wir müssen eine neue Gründerkultur schaffen“

Der Industriestandort Bayern muss diversifizieren und seine traditionellen Stärken stärken, rät der Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft in seiner spannenden Leitstudie über „Bayerns Zukunftstechnologien". Bayerns Stärke in der Fahrzeugindustrie ist zugleich Chance, Risiko und Herausforderung. Das Beratergremium rät zu längerer Lebensarbeitszeit.

Das ist ein beunruhigender Hinweis des Zukunftsrats der Bayerischen Wirtschaft: Ausgerechnet in einer Zeit immer schnelleren technologischen Umbruchs geht in Deutschland die Zahl der Unternehmensgründungen zurück. Vor einem „in Deutschland allgemein schwach ausgeprägten Gründungsklima“ warnt das vor einem Jahr von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft vbw ins Leben gerufene Gremium aus 15 Experten verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, dem auch Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner angehört.

„Wir müssen eine neue Gründerkultur in Bayern schaffen“, fordert darum der Zukunftsrat-Vorsitzende und vbw-Präsident Alfred Gaffal, um den seit Jahren rückläufigen und standortgefährdenden Gründungstrend in Deutschland zu drehen. Sein Zukunftsrat rät zu Entbürokratisierung, wo immer es um Unternehmensgründungen geht, und zu einer „breiten Unternehmer- und Gründungskampagne“.

Entrepreneurship-Kurse an Hochschulen dürfen keine Ausnahmeerscheinung bleiben.

An den Universitäten soll „unternehmerischer Spirit“ einziehen. Entrepreneurship-Kurse sollen dort zum Curriculum gehören. Unternehmen und Industrie sollen aufeinander zugehen, Hochschullehrer sollen für einige Jahre in die Industrie wechseln können, „ohne Nachteile beim Karriereaufstieg zu erleiden“. Und dann das Geld, natürlich: Der Staat solle Förderquoten erhöhen, bei High-Tech-Technologien auf regelmäßig „mindestens 40 Prozent“. Zwar steht in Bayern mehr sogenanntes Wagniskapital – venture capital – zur Verfügung als im Bundesdurchschnitt. Aber das reicht nicht. Denn in den USA wartet die fünfzigfache Summe, um damit High-Tech-Gründungen zu fördern.

Bayerns Stärke im Kraftwagen- und Maschinenbau

„Bayerns Zukunftstechnologien – Analyse und Handlungsempfehlungen“, so der trockene Titel der 101 Seiten langen Studie des Zukunftrats. „Was Bayern morgen braucht“, lautet der knackigere Titel der Kurzfassung, die sich dafür trotz Kürze trockener liest.

Mit einer derart starken Schwerpunktsetzung ist ein Klumpenrisiko verbunden: Es besteht das Risiko, dass ein Abschwung in dieser für Bayern zentralen Branche die Gesamtkonjunktur in Mitleidenschaft zieht.

Mit seinen Stärken beim Kraftwagenbau und im Maschinenbau steht Bayern hervorragend da. Dazu kommen Teilbereiche der chemischen und der Apparatetechnologie. Aber die Spezialisierung und Weltmarktführerschaft in diesen Bereichen stellt auch ein sogenanntes Klumpenrisiko dar: Durch ihre Erfolge sind diese Industriezweige auch für andere Branchen von großer Wichtigkeit. Die starke Schwerpunktsetzung enthält darum „das Risiko, dass ein Abschwung in dieser für Bayern zentralen Branche die Gesamtkonjunktur in Mitleidenschaft zieht“. Zumal gerade der Fahrzeugbau besonders konjunkturabhängig ist.

Diversifizierung und Kombination von Stärkefeldern

Also Diversifizierung und Verstärkung schon angelegter weiterer Potentiale. Der Zukunftsrat rät zur „massiven Verstärkung“ der chemischen Verfahrenstechnik und bei der „Weißen Biotechnologie“. Bei der Luft- und Raumfahrtechnologie muss verlorener Boden wiedergewonnen werden. Das Aufkommen elektromotorischer Antriebstechnik könnte dazu die Gelegenheit geben und natürlich die neue Technologie der unbemannten Luftfahrzeuge (Drohnen). Nur, auf dem Zukunftsmarkt der Drohnen hat sich Deutschland abhängen lassen. Ein schwerer Fehler. Die Entwicklung der Drohnen müsse gefördert werden, fordert denn auch der Zukunftsrat. Denn „die Luft- und Raumfahrtfahrtindustrie ist ein wichtiger Innovationsmotor für den Freistaat“, erinnert vbw-Chef Gaffal.

Die Entwicklung der Drohnen muss gefördert werden und mit Rahmenbedingungen flankiert werden, die einen Einsatz – beispielsweise für Transportzwecke oder zur Erhebung von Daten aus der Luft in der Landwirtschaft – ermöglichen, ohne unsere hohen Sicherheitsstandards aufweichen zu müssen.

In spezialisierten, industrienahen Teilbereichen der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) besetzen bayerische Mittelständler oft Weltmarktführerschaft, etwa wenn es um Mess-, Steuer- und Regeltechnologien im Maschinenbau geht. Auch im zukunftsträchtigen Bereich der Nanotechnologien sind bayerische kleine und mittelständische Unternehmen extrem gut positioniert. Auch wenn es um die Entwicklung von Werkstoffen und Materialien geht, hat Bayern eine gute Ausgangslage.

Schlüsseltechnologie Assistenzrobotik

Um hier auf der Erfolgsspur zu bleiben und um „Stärken zu stärken“, rät der Zukunftsrat zu Austausch und Kooperation, zur intensiven Vernetzung – zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, zwischen den Industriezweigen, zwischen Forschung und Industrie. Aus dem Zusammenfließen von neuen Technologien und alter Marktführerschaft kann und muss neues entstehen – etwa auf dem neuen Feld der Assistenzrobotik, also der Entwicklung von „Robotern“, die  „sich mit dem Menschen den Arbeitsraum teilen und direkt interagieren“, so die Beschreibung eines Fraunhofer-Instituts. Die Assistenzrobotik „wird sich zu einer Schlüsseltechnologie der Gesellschaft entwickeln“, prophezeit der Zukunftsrat und wünscht sich für Bayern eine auf fünf Jahre angelegte „Leuchtturm-Initiative Assistenzrobotik“, in die dann Forschung, Unternehmen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen eingebunden sein sollen. Kostenpunkt: Nur zehn Millionen Euro pro Jahr. Auch mit kleinen Summen kann man etwas bewegen, wenn man sie richtig einsetzt.

Ein Schlüssel zum Erfolg liegt in der Vernetzung von Technologien und ganzen Branchen.

Natürlich wird die Digitalisierung auch den Kraftwagen- und Maschinenbau weiter verändern, der „in jedem Zukunftskonzept der bayerischen Wirtschaft“ weiterhin eine tragende Rolle spielen müsse. Jetzt gehe es darum, bei der Entwicklung intelligenter Verkehrssystem und neuer Konzepte der Mobilität einen Spitzenplatz zu behaupten.

Infrastruktur und Energieversorgung

„Eine positive wirtschaftliche Entwicklung ist von einer modernen, funktionierenden Infrastruktur abhängig“, erinnert der Zukunftsrat. Bayern verfüge zwar über ein gut ausgebautes Straßen-, Schienen- und Wasserstraßennetz. Aber: „Dieser Standortvorteil ist gefährdet. Insbesondere im Straßennetz sind Kapazitätsgrenzen erreicht.“ Bis 2030 müssten deutschlandweit rund 300 Milliarden Euro in den aus- und Neubau der deutschen Verkehrsinfrastruktur investiert werden, „damit akute Engpässe behoben sowie der stetig steigende Güter- und Personenverkehr auch künftig bewältigt werden können“.

Ein entscheidender Standortfaktor ist auch der Zugang zu schneller Informationsinfrastruktur und darum der Ausbau von Glasfaserverbindungen.

Die deutsche Industrie zahlt für Strom im Mittel 50 Prozent mehr als in Frankreich und weit über das Doppelte der Unternehmen in den USA.

Eine „unverzichtbare Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg und Lebensqualität in unserem Land“ ist außerdem die „sichere und umweltverträgliche Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen“. Für die bayerische Wirtschaft mit ihrem hohen Industrieanteil ist das ebenso entscheidend wie für die Standortentscheidungen ausländischer Investoren in Bayern. Problem: „Die deutsche Industrie zahlt für Strom im Mittel 50 Prozent mehr als in Frankreich und weit über das Doppelte der Unternehmen in den USA“, warnt der Zukunftsrat. Hauptkostentreiber sei unverändert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Hausaufgabe an die Adresse der Politik: „Der Strompreis muss gedeckelt und mittelfristig auf das Niveau vergleichbarer Industriestaaten gesenkt werden.“

Arbeitsmarkt und Bildung im digitalen Zeitalter

Der wichtigste Standortfaktor sind natürlich immer die Menschen. Der demographische Wandel wird den Arbeitsmarkt in Deutschland schon bald stark verändern. Schon bis 2020 bestehe in Bayern eine „potentielle Lücke von rund 230.000 Arbeitskräften“, warnt der Zukunftsrat. Um den Bedarf an Fachkräften zu decken, rät das Beratergremium zu einer „höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen, längerer (Lebens-)Arbeitszeiten sowie gezielter Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland.“

Umso wichtiger ist zur Fachkräftesicherung neben der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland auch eine längere Lebensarbeitszeit.

„Gute Bildung ist ein universeller Erfolgsfaktor“, konstatiert der Zukunftsrat und fordert für „unser Bildungssystem noch mehr Bildungsqualität, mehr Bildungsbeteiligung und mehr Partizipationsgerechtigkeit“. Auch bei der Bildung setzt das Beratergremium auf Digitalisierung − und verrennt sich etwas. Schulen sollen „flächendeckend“ mit der erforderlichen Infrastruktur ausgestattet werden. Denn: „Digitalisierung beginnt im Klassenzimmer, wenn nicht schon im Kindergarten.“

Kein Wort über  Allgemeinbildung und Fremdsprachfähigkeit

Sehr richtig ist dagegen die Forderung des Zukunftsrats, dass die Schulen „dem Schüler die Fähigkeit zur kritischen Einordnung und richtigen Nutzung von Daten und Fakten“ vermitteln müssen. Nur: Dazu braucht es weniger sogenannte „Kommunikationskompetenz“ oder noch mehr „digitale Kompetenz“, sondern vielmehr klassische Allgemeinbildung und etwa die Fähigkeit zum Umgang mit Zahlen. Beides muss man lernen, manchmal pauken, digital oder analog. Aber das Stichwort Allgemeinbildung fehlt im Bildungsabschnitt des Zukunftsberichts für Bayern völlig. Ebenso wie die Forderung der Fremdsprachfähigkeit – und das in einer Phase fortgeschrittener Globalisierung und in einem Land, das von Export so abhängig ist wie nur wenig andere.