Kraxeln vor der spektakulärsten Skyline Asiens: Klettermaxe im Hochseilgarten "Magic Jungle" in Shanghai. (Fotos: KristallTurm)
Handwerk

Alles in der Schwebe

Spiel, Spaß und Spannung als Exportgut: Der Zimmerer Heinz Tretter baut mit seinem Unternehmen „KristallTurm“ Hochseilgärten. Hergestellt werden die Bauteile im oberbayerischen Lenggries, geklettert wird darauf inzwischen weltweit.

Die Welt hat Heinz Tretter immer im Blick, wenn er seinen Arbeitstag beginnt. Im Foyer der Büro­räume im ersten Stock spannt sie sich im Posterformat über eine Wand: Kanada und die USA, Großbritannien und Spanien, aber auch Norwegen, Nigeria und Dubai, schließlich Russland, China, Japan und Australien – all diese Länder sind bereits farbig ausgemalt, alle mit mindestens einer blauen Stecknadel bestückt.

Mit Skiern und Seilen

Wirklich beeindruckend wird der globale Ausfallschritt aber erst angesichts des kurzen Zeitraums, in dem Heinz Tretter die Welt (exklusive Südamerika) mit seinem 2010 gegründeten Unternehmen „KristallTurm“ erobert hat. Gerahmte Auszeichnungen an einer anderen Wand erzählen von einem Erfolgsweg, der offensichtlich ausschließlich aufwärts ging: Seit 2011 gab es den Bayerischen Staatspreis für Innovationen, 2014 wurde „KristallTurm“ Sieger im Wettbewerb der „Top Gründer im Handwerk“. Zwei Jahre darauf gewannen Tretter und Team den „Exportpreis Bayern“ und 2018 schließlich den „Preis der Deutschen Außenwirtschaft“ für die wachsende Anzahl weltweiter Projekte.

Wir haben halt einfach das Glück, ein schönes Produkt herzustellen.

Heinz Tretter, Klettergarten-Entwickler

Klettern mag jeder. Und zwar weltweit. Trifft man heute auf Heinz Tretter, glaubt man, sein Werdegang sei ihm schon in die Wiege gelegt worden. Wie die proto­typische Mischung aus Skilehrer und Handwerker kommt der Bayer daher, die Hemdsärmel sind hochgekrempelt, sein Händedruck schmerzt fast. Dabei wusste der im malerischen Fall am Sylvensteinspeicher Aufgewachsene lange nicht, was einmal aus ihm werden soll. „Dann gehst halt zum Zimmerer in die Lehre“, entschied die Mutter. Parallel zur Meisterausbildung arbeitete Tretter als Skilehrer für den Deutschen Skiverband, trainierte unter anderem Maria Höfl-Riesch. 2001 gründete er seine eigene Skischule am Streidlhang im Braunecker Skigebiet.

Als Geschäftsausgleich für die Sommersaison baute Tretter in unmittelbarer Nähe zur Skipiste einen Kletterpark – das Nuller-Modell aller heutigen „KristallTürme“. „Und mit den ersten Gästen kamen die Anfragen“, erinnert sich Tretter. So etwas wollen wir auch, sagten die ersten Investoren.

Bayerische Bretter, die die Welt bedeuten

Seit 2010 kann man nun in Berlin auf bayerischen Brettern hoch hinaus: Der „MountMitte“ mit 90 Kletteretappen auf etwa 1.000 Quadratmeter Grundfläche wurde das erste Großprojekt von „KristallTurm“. 2012 folgte der Schritt ins (noch nahe) Ausland, auf 1.600 Meter Höhe entstand im Schweizer Alpengebiet Flumserberg der Hochseilgarten „Cliimber“, dicht gefolgt von Bauten in Ungarn, der Türkei und Moskau. Im nigerianischen Port Harcour ließ ein Gouverneur vom Team Tretter einen Kletterpark bauen als Dank an die Bevölkerung für seine Wahl. In arabischen Einkaufszentren kann mittlerweile ebenso auf einem „KristallTurm“ geklettert werden wie auf Kreuzfahrtschiffen der „Aida“.

Das Konzept „Hochseilgarten“ versteht man weltweit, und wenn ein Investor zögert, wird er auf einer der Anlagen von Heinz Tretter beim Praxistest eines Besseren belehrt. Nur mit den Chinesen sei es anfangs schwer gewesen, findet der Unternehmer: Zu groß seien die kulturellen Unterschiede wohl, „da haben wir uns bislang nicht so zu Hause gefühlt“. Andererseits wird die Disziplin „Klettern“ 2020 olympisch, da könnte gerade im sportlich ehrgeizigen China das Interesse wachsen: „Davon erhoffen wir uns viel.“

Von Lenggries um die Welt

In dem einstöckigen Bauernhaus-Ensemble im südlichen Ausläufer des Ortes Lenggries riecht es nach frisch gesägtem Holz, Stahlschweißarbeiten und nach dem Fleisch, das im Hof auf den Grill gelegt wurde für das gemeinsame Betriebsmittagessen. Im ersten Stock gleich neben den Räumen der Statiker und Kon­strukteure werkeln die Stationenbauer, im Erdgeschoss wirken die Schlosser und Zimmerer. Da das „Rundum-sorglos-Paket“ bei „KristallTurm“ nicht nur  Planung und Anfertigung der Einzelteile beinhaltet, sondern auch den Aufbau vor Ort, die Abnahme durch den TÜV Süd sowie die Schulung der künftigen Belegschaft, sind immer ein paar der aktuell 40 Mitarbeiter auf Montage.

Auch Tretter selbst reist viele Wochen im Jahr dienstlich um den Globus. Eine Belastung? Ach was, sagt er und lacht kurz auf: „Sauschee is‘ des!“ Tretter hat sich mit „KristallTurm“ innerhalb nicht mal eines Jahrzehnts weltweit einen Namen gemacht und in einer kleinen Nische maximal ausgebreitet; gerade mal zwei Unternehmen weltweit macht er derzeit als echte Konkurrenz aus. Eine Sonderstellung hat „KristallTurm“ in diesem Segment dank der patentierten Modulbauweise: Fixpunkte der Hochseilgärten sind stets hexagonale Podeste, die auf bis zu vier Ebenen aufgestockt und – je nach Form der Grundfläche – flexibel miteinander kombiniert werden können.

Rutschen oder fliegen?

Die Produktpalette von „KristallTurm“ hat sich seit dem Lenggrieser Prototypen stark erweitert, sie reicht nun vom rautenförmigen Viermaster ab 80.000 Euro bis hin zur Luxusvariante mit 18 Masten, die schon mal mehr als eine Million Euro kosten kann. Es gibt die Hochseilgärten in der Indoor-Variante, mit Sonnen- oder Regenschutz, sowie in erdbebensicher (etwa für Japan). Die Bauteile, anfangs aus dem Holz der Douglasie angefertigt, bestehen nun aus Stahl sowie dem deutlich witterungsbeständigeren Lärchen- und Robinienholz.

Dass die „KristallTurm-Hochseilgärten sich trotz Modulen  von der Stange nicht gleichen, liegt an der Vielzahl der Zusatz­elemente. Mehr als 150 verschiedene Kletter- und Balance-Elemente stehen zur Auswahl. Riesenschaukel? Röhrenrutsche? Flying Fox? Oder doch lieber ein Sprung ins Mega-Kissen? Alles möglich. Hinzu kommen lokale Elemente, die von der Fantasie und der Verspieltheit der „KristallTurm“-Mitarbeiter erzählen: In Berlin wurden ein Trabi und ein VW Käfer auf luftiger Höhe verbaut als Symbole für die einst geteilte Stadt. In der Schweiz wurde eine Pistenraupe integriert, in Russland eine Rakete. Als „global plus regional“, beschreibt Tretter  sein Exportkonzept.

Die Skischule samt Kletterparadies hat Heinz Tretter inzwischen verpachtet, er ist froh, wenn er zwischen seinen vielen Reisen wenigstens an ein paar Tagen im Jahr noch selbst zum Skifahren kommt. Sein Jahresumsatz ist von 2,4 Millionen Euro im Jahr 2014 auf 4,5 Millionen Euro 2018  gestiegen.

Jetzt aber sei genug übers Geschäft geredet worden, beschließt Heinz Tretter. Es ist Freitagmittag, immer intensiver riecht es vom Hof herauf nach Grillgut. Die Welt kann warten.