Der Patienten- und Pflegebeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Hermann Imhof. (Foto: CSU)
Pflege

„Sie sind die Elite der Gesellschaft“

Interview Ein Gespräch mit dem scheidenden Patienten- und Pflegebeauftragten Hermann Imhof über die Leistungen der Pflegekräfte, die Nöte der pflegenden Angehörigen und die Möglichkeiten der Politik, eine gute Versorgung im Alter zu gewährleisten.

Herr Imhof, wann haben Sie zuletzt eine Pflegeeinrichtung besucht?

Imhof: Ich bin mindestens einmal im Monat in einem Pflegeheim oder Krankenhaus. Doch mit den Sorgen und Nöten der Menschen, die dort arbeiten, mit den Problemen der Patienten und Pflegebedürftigen oder auch ihren Angehörigen sind meine Mitarbeiterinnen in der Geschäftsstelle und ich deutlich häufiger konfrontiert. Mehr als 3000 Anfragen sind dort in den letzten vier Jahren eingegangen und wurden bearbeitet. So bekomme ich sehr genau mit, woran es fehlt.

Und wo drückt der Schuh am meisten?

Groß ist beispielsweise die Not der pflegenden Angehörigen, sie sind zu einem Kernthema meiner Amtszeit geworden. Von den über zwei Millionen Pflegebedürftigen deutschlandweit werden mehr als zwei Drittel zu Hause versorgt. Aber nur ein Drittel der Familienangehörigen nimmt ergänzend ambulante Dienste in Anspruch. Viele Angehörige überfordern sich lieber, als dass sie um Hilfe bitten. Sie vernachlässigen ihre eigenen Bedürfnisse, aber auch den Beruf und die finanzielle Vorsorge fürs Alter. Um diese Menschen müssen wir uns dringend kümmern. Ich habe 250 pflegende Angehörige deshalb bereits 2016 zu einem Bayerischen Tag der pflegenden Angehörigen in den Landtag eingeladen und werde diesen Tag am 7. September 2018 wiederholen. Mir ging und geht es dabei darum, ihrer Arbeit Wertschätzung entgegenzubringen, aber auch, ihre Nöte zu hören. Dieser Tag im Jahr 2016 war Grundlage und Arbeitsauftrag für mich.

Wir stehen an einer Wegscheide: Wollen wir eine qualitativ hochwertige, menschenwürdige und liebevolle Pflege?

Hermann Imhof

Im Mai hat die bayerische Staatsregierung ein Pflege-Paket beschlossen, in dem unter anderem ein Landespflegegeld in Höhe von 1000 Euro jährlich angekündigt wird. Was können 1000 Euro bewirken?

1000 Euro sind vor allem eine wichtige Geste der Wertschätzung, die den Freistaat circa 400 Millionen Euro pro Jahr kosten wird. Mit dem Geld können Pflegebedürftige sich etwas Gutes tun, sich beispielsweise stundenweise eine Haushaltshilfe leisten. Oder den pflegenden Angehörigen eine materielle Anerkennung zukommen lassen. Doch das Landespflegegeld darf nicht als Einzelmaßnahme gesehen werden. Es korrespondiert ja mit anderen Hilfen.

Was wird ergänzend für die Betroffenen getan?

Ein ganz wesentlicher Teil des bayerischen Pflege-Pakets ist die Stärkung der Kurzzeitpflege. Das ist eine wichtige Entlastung für die Angehörigen, etwa wenn sie Urlaub machen wollen oder selbst krank sind. Die Pflegeeinrichtungen dagegen vergeben Pflegeplätze lieber langfristig, da sie so finanziell besser planen können. Ich habe deshalb bereits letztes Jahr eine Förderinitiative gestartet, dass Pflegeeinrichtungen für die Bereitstellung von Kurzzeitpflegeplätzen eine Art Ausgleichszahlung für die Tage erhalten, in denen die Plätze nicht belegt sind. Die Förderrichtlinie wird demnächst in Kraft treten. Zusätzlich wird im Rahmen des Pflege-Pakets eine neue Investitionskostenförderung für stationäre Pflegeplätze auf den Weg gebracht Dafür werden 60 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt.

Wie sieht es mit dem Angebot an Tagespflegeplätzen aus?

Auch da wollen wir weiter passgenau ausbauen. Die Tagespflege soll den Angehörigen ermöglichen, ihrem Beruf wenigstens teilweise nachgehen zu können. Andernfalls produzieren wir mit der Pflegesituation von heute die Altersarmut von morgen. Ich vergleiche das mit der Situation in der Kinderbetreuung von vor zehn Jahren: Da wurden – auf Druck der Eltern, aber auch der Unternehmen – Milliarden investiert in den Ausbau von Krippen, Kindergärten und Horten. In der Gesellschaft wächst nun das Bewusstsein, dass ähnlich massiv in die Pflege investiert werden muss.

Hat die Politik das Thema zu lange unterschätzt?

Die letzte Koalition in Berlin hat mehr in diesem Bereich unternommen als die Regierungsparteien davor. Die letzte Pflegereform hat beispielsweise endlich den Demenzkranken einen Platz im Pflegesystem eingeräumt, das war überfällig. Der Prozess ist aber nur deswegen in Gang gekommen, weil die Dramatik – und ich wähle bewusst dieses Wort – so groß ist: Den Betroffenen steht das Wasser bis zum Hals.

Was nicht nur auf die Pflegebedürftigen selbst und ihre Angehörigen zutrifft, sondern auch für das Pflegepersonal allgemein.

Die Pflegekräfte sind für mich die wahre Elite unserer Gesellschaft. Wir sollten ihnen ein ganz anderes Echo geben.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, CDU, hat in seinem Sofortprogramm 13.000 neue Stellen für den Pflegesektor versprochen. Woher sollen die kommen, wenn zugleich 35.000 bereits vorhandene Stellen derzeit nicht besetzt werden können?

Dass Jens Spahn jetzt von 13.000 neuen Stellen spricht anstatt der ursprünglich annoncierten 8.000, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das kann aber nur ein erstes Signal sein. Parallel dazu muss die Botschaft in die Gesellschaft hineingeschickt werden, dass eine Ausbildung in der Pflege keine dumme Idee ist, sondern im Gegenteil Zukunft hat.

Würden Sie denn aktuell einem Verwandten raten, einen Pflegeberuf zu erlernen?

Zwei meiner drei Töchter arbeiten im sozialen Bereich, eine davon in der Pflege. Im Prinzip ist das ein sehr schöner Beruf, menschlich bekommt man als Pflegekraft viel zurück. Doch finanziell und auch zur Erhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit bis ins Rentenalter muss noch viel getan werden.

Wenn wir in Bayern all das umsetzen, was angedacht ist, kann der Freistaat auch im Pflegebereich deutschlandweit eine Vorreiterrolle einnehmen.

Hermann Imhof

Bundesgesundheitsminister Spahn setzt darauf, für die kurzfristige Aufstockung vermehrt Pflegekräfte im Ausland anzuwerben. Ist das der richtige Weg?

Wir brauchen ausländische Arbeitskräfte schon alleine aus kulturellen Gründen, schließlich ist die Generation der Gastarbeiter jetzt im Pflegealter angekommen. Doch wenn wir glauben, es sei das einzig Seligmachende, Arbeitskräfte aus Polen, Indien oder von den Philippinen anzuwerben, dann sind wir auf dem falschen Weg. Unser Ziel sollte sein, mindestens 90 Prozent der benötigten Pflegekräfte im eigenen Land zu gewinnen. Es gäbe das Potenzial – wenn der Beruf inhaltlich, finanziell und imagemäßig aufgewertet wird.

Seit Beginn Ihrer Tätigkeit als Patienten- und Pflegebeauftragter kämpfen Sie um eine Tarifwende in der Pflege, auch um Lohndumping in dieser Branche entgegen zu wirken.

Die gerechte Gestaltung der Lohn- und Tarifstruktur für die Beschäftigten in der Pflege ist für mich ein entscheidender Ausdruck der Anerkennung ihrer täglichen Leistung. Dafür ist aus meiner Sicht ein flächendeckender Tarifvertrag notwendig. In einem ersten Schritt haben sich auf meine Initiative hin die Arbeiterwohlfahrt, das Bayerische Rote Kreuz und die Gewerkschaft ver.di in einer Grundsatzübereinkunft darauf geeinigt, einen Ausbildungstarif für die Altenpflege mit einheitlichen und allgemeinverbindlichen Löhnen auf den Weg zu bringen. Die Schwierigkeiten stecken im Detail. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben und setze mich auch weiterhin dafür ein, dass bald ein Ergebnis vorliegen wird.

Manche Experten präferieren eine Akademisierung der Pflegeberuf, was zwangsläufig eine höhere Bezahlung mit sich bringen würde. Ist das die Lösung?

Sicher ist, dass es künftig im Pflegebereich mehr akademische Ausbildungen geben muss, denn die Komplexität der Aufgaben und der organisatorischen Abläufe steigt stetig. Ich bin aber auch ein Freund der sogenannten generalistischen Ausbildung statt der bisher getrennten Ausbildungswege für Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege. Das wäre ein weiterer Baustein, um den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten. Mehrere Schulversuche in Bayern haben gezeigt, dass generalistisch ausgebildetes Pflegepersonal ein höheres berufliches Selbstbewusstsein entwickelt. Es gäbe ganz neue Wechsel- und Aufstiegsmöglichkeiten, was nicht nur die Arbeitszufriedenheit steigern würde, sondern auch die Bleibedauer in diesem Sektor.

Spahn erwägt Rückkehrprämien für Pflegekräfte, die in eine andere Branche gewechselt haben oder aus der Familienpause nicht mehr in den Job zurückgekommen sind. Eine gute Idee?

Eine Prämie kann sicher ein Anreiz sein. Ein Wiedereinstieg wird aber nur dann gelingen, wenn die Rückkehrer sehen, dass sich der Pflegealltag geändert hat. Dass es wieder mehr Personal gibt, die Dokumentationspflicht geringer geworden und die Wertschätzung gewachsen ist.

Im Pflege-Paket für Bayern ist auch die Gründung eines Landesamts für Pflege avisiert. Welche Aufgaben soll es bekommen?

Das Landesamt für Pflege wird in Amberg errichtet und befindet sich gerade im Aufbau. Die erste Aufgabe wird die Übernahme der Auszahlung des Landespflegegeldes sein. Es wird sich aber auch mit pflegefachlichen Themen wie Hospiz- und Palliativversorgung oder Demenz beschäftigen. Auch die Förderung der Pflegeinfrastruktur wird einmal dort abgewickelt werden. Vom Landesamt erwarte ich auch, dass es sich mit Innovationen beschäftigt und so Impulse für die Zukunft setzt.

All die Maßnahmen kosten Bund, Länder du Kommunen viel Geld. Ist der Gesellschaft die Pflege nicht genug wert?

Wir stehen da an einer Wegscheide: Wollen wir eine qualitativ hochwertige, menschenwürdige und liebevolle Pflege? Wollen wir, dass Pflegekräfte gerne diesen Job ausüben, angemessen dafür bezahlt werden und diesen bis ins Rentenalter ausüben können? Dann müssen wir investieren. Und auch transparent machen, dass eine deutliche Erhöhung der Beiträge für die Pflegeversicherung unumgänglich ist. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat das jetzt getan. Eine reine Beitragserhöhung der Pflegeversicherung wird langfristig jedoch nicht genügen. Wir werden die Pflegeversicherung weiterentwickeln müssen, um sie zukunftsfest zu machen. Es wäre fatal, sich jetzt mit den ersten Sofortmaßnahmen für diesen Sektor zufrieden zu geben. Wenn wir dagegen in Bayern all das umsetzen, was angedacht ist, kann der Freistaat auch im Pflegebereich deutschlandweit eine Vorreiterrolle einnehmen.

Im Herbst geben Sie nun das Amt des Patienten- und Pflegebeauftragten ab. Was wird Ihr Nachfolger vorfinden?

In den letzten Jahren war ich leidenschaftlich unbequem, habe den Finger in die Wunden gelegt, Handlungsbedarf aufgezeigt und Lösungen angemahnt. Ich habe so viele Dinge wie möglich angestoßen. Der Vorteil für meinen Nachfolger oder meine Nachfolgerin wird sein, dass das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Themas Pflege deutlich gewachsen ist. Wer jetzt noch glaubt, dass wir die Probleme in diesem Bereich aussitzen können, der verkennt die Tatsachenlage. Es ist nicht fünf vor, sondern fünf nach 12.

Und was planen Sie für Ihren Ruhestand?

Ich werde, das zumindest steht fest, einen Tag pro Woche ehrenamtlich in einem Hospiz mitarbeiten. Andererseits kommt jetzt bald mein neuntes Enkelkind zur Welt. Meine Frau mahnt schon seit Langem: Vergiss nicht, dass du daheim auch eine Familie hast.

Das Interview führte Beate Strobel