Auktion bei Gericht: Eine Amtsrichterin hält das Wert-Gutachten zur versteigerten Immobilie in der Hand. (Foto: Imago/S.Schellhorn)
Immobilien

Krautgarten zum Hammer-Preis

Die Zahl der Zwangsversteigerungen sinkt im Freistaat auf einen historischen Tiefststand: weniger als 2000 in diesem Jahr. Ein Nebeneffekt der langen Niedrigzins-Phase. Die bei Gericht gebotenen Summen erreichen jedoch immer neue Höhenrekorde.

Ein wenig Jahrmarktatmosphäre kann in bayerischen Gerichtsstuben nicht schaden. Wie auf dem Rossmarkt versucht Reinhard Hofstetter, Rechtspfleger am Amtsgericht Wolfratshausen, die Leute zu Höchstgeboten zu animieren. „Wenn Sie in größeren Summen drauflegen, beeindrucken Sie Ihre Konkurrenten“, rät der Versteigerer. Amüsiertes Raunen unter den zwanzig Interessenten in Sitzungssaal 1.

Höchstpreise im Immobilienboom

Zur Zwangsversteigerung angeboten wird an diesem Vormittag ein 1400 Quadratmeter großes „Freizeitgrundstück“ in Achmühle, 35 Kilometer südlich von München. Die Parzelle ist völlig verkrautert, 150 Thujen sind auf bis zu dreißig Meter Höhe gewuchert. Auf diesem landwirtschaftlichen Grund darf der Erwerber Gemüse oder Obst anbauen. Schon ob er auch einen Geräteschuppen aufstellen darf, beantwortet das Bauamt der zuständigen Gemeinde Eurasburg sehr defensiv. Der Gutachter des Amtsgerichts taxiert den Verkehrswert des Acker-Grundstücks dennoch auf 40.000 Euro – also das Dreifache des ortsüblichen Quadratmeterpreises von 7,50 Euro. Begründet wird der hohe Schätzpreis auch mit dem „Seltenheitswert“ solcher Schrebergärten.

Seltenheitswert hat mittlerweile auch die Art der Veranstaltung, bei der das Objekt angeboten wird: Die Zahl der Zwangsversteigerungen ist in ganz Deutschland seit der Jahrtausendwende kontinuierlich von 93.000 auf nur mehr 23.000 im Jahr 2018 gesunken. Die meisten zählen die Amtsgerichte in Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. In Bayern gab es dieses Jahr nicht mal mehr 2000 davon – ein historischer Tiefststand. „Wegen der niedrigen Zinsen werden immer weniger Kredite notleidend“, erklärt der Chef des auf Auktionen spezialisierten Informationsdienstes Argetra, Axel Mohr. Die Banken müssten immer weniger Immobilien, deren Eigentümer ihre Raten nicht bedienen, unter den Hammer bringen.

Wegen der niedrigen Zinsen werden immer weniger Kredite notleidend.

Axel Mohr, Auktionsexperte

Kontinuierlich steigen freilich die Preise, die dabei für Häuser, Eigentumswohnungen, Bau- oder Ackergrund erzielt werden. Mussten in Bayern Erwerber 2011 durchschnittlich 185.300 Euro investieren, so waren es im laufenden Jahr schon rund 369.700 Euro. Eine Verdoppelung in nur sieben Jahren, die mit der anhaltend hohen Nachfrage nach Immobilien zu erklären ist. Zwangsversteigerungen, die noch in den Nullerjahren als Schnäppchenmarkt für weniger solvente Immobiliensucher galten, haben längst zum Höhenflug auf dem regulären Häuser- und Wohnungsmarkt aufgeschlossen.

Ärger mit den Angehörigen statt mit der Bank

Laut Argetra-Geschäftsführer Mohr kommt inzwischen jedes zweite Grundstück und jedes fünfte Ein- oder Zweifamilienhaus nicht mehr auf Betreiben einer Gläubigerbank zur Auktion – sondern weil Erbengemeinschaften oder zerstrittene Ex-Ehepartner keinen gemeinsamen Verkauf hinbekommen. Also mittels der so genannten Teilungsversteigerung, bei der dann jeder der vorherigen Mitbesitzer auf seinen Anteil an der erzielten Summe kommt.

So ist es auch im Fall des Freizeitgrundstücks von Achmühle. Die beiden gleichberechtigten bisherigen Eigentümer sitzen sich im Wolfratshauser Gerichtssaal misstrauisch gegenüber, eine weiß blondierte ältere Dame und ein Herr mit rotem Gesicht. Versteigerer Hofstetter erklärt den potenziellen Bietern die Regeln: Als Sicherheit muss jeder einen Bundesbank-Scheck über zehn Prozent des vom Gutachter geschätzten Verkehrswerts hinterlegen, um mitbieten zu können. Gekauft wird, wie im Gutachten und in der Realität zu besichtigen. Wem sein neuer Besitz später nicht gefällt, der kann den Erwerb nicht rückgängig machen.

Wem die Bieterstunde schlägt

Während der „Bieterstunde“ von dreißig Minuten tasten sich die Bieter langsam heran: Ein jüngerer Interessent mit Piercing in der Nase bietet mit 35.000 Euro erst mal knapp unter dem Schätzpreis. Läge ein Höchstgebot nur zwischen 50 und 70 Prozent des geschätzten Verkehrswerts, müsste Rechtspfleger Hochstetter die anwesenden Eigentümer vor dem Zuschlag um Zustimmung fragen. Die 70-Prozent-Grenzen übersteigt an diesem Vormittag jedoch schon das erste Gebot. Der junge Mann wird aber nach fünf Minuten von einem älteren Herren im Karohemd mit 36.000 Euro überboten – bis zum Ende der Bieterstunde steigt der Betrag sukzessive auf 43.000 Euro.

Danach geht es Schlag auf Schlag, angeheizt von Auktionator Hofstetter. Ein Brüder-Paar steigt ein, dazu ein graumelierter Herr mit Gattin, ein kahlköpfiger Akademiker und ein Weißhaariger im weinroten Wollpullover. 53.000 Euro, 55.000 Euro, 58.000 Euro, 60.000 Euro. Erst bei 65.000 Euro stockt der Verlauf. Hofstetter spricht die Bieter jetzt zu Motivationszwecken direkt mit Namen an: „Herr B., was ist los? Was ist mit Ihnen, Herr Dr. D.?“ (Namen sind der Red. bekannt)

Das 21. Gebot: Du sollst zuschlagen

Der Zuschlag ergeht schließlich bei 67.000 Euro an den 61-Jährigen im weinroten Pulli. Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. „Ein unerwartet hohes Ergebnis“, staunt Rechtspfleger Hofstetter. Weit über Schätzwert, erreicht die Versteigerung das Siebenfache des in Achmühle üblichen Quadratmeterpreises für landwirtschaftlichen Grund!

67.000 Euro, ein unerwartet hohes Ergebnis.

Reinhard Hofstetter, Rechtspfleger

Das Höchstgebot stammt von einem Herren, der einige hundert Meter entfernt von seiner Neuakquise an der Loisach schon ein Grundstück besitzt, auf dem er ein Bienenhaus mit mehreren Völkern stehen hat. Nun gehört ihm in Sichtweite noch eine zweite Parzelle. Er freue sich sehr über den Ausgang, sagt er aufgekratzt. Nur die 150 Thujen bereiten ihm ein wenig Sorge. „Den ursprünglichen Besitzer kannte ich vom Sehen. Der hat schon lange nichts mehr auf dem Grundstück gemacht und seine einstige Hecke einfach vierzig Jahre wachsen lassen“, erzählt er.

Bis der Schrebergarten wie im Dornröschen-Märchen hinter riesigen Hecken verschwand. „Mei, 150 Thujen“, stöhnt der neue Eigentümer, „die umzusägen und rauszureißen, da bin ich eine Weile beschäftigt.“