Höchste Zeit für Steuersenkungen
Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen sprudeln, aber nicht mehr so stark. Höchste Zeit für Steuerentlastungen, fordern Industrie und Steuerzahlerbund. Denn als Höchststeuerland riskiert Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit.
Steuerschätzung

Höchste Zeit für Steuersenkungen

Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen sprudeln, aber nicht mehr so stark. Höchste Zeit für Steuerentlastungen, fordern Industrie und Steuerzahlerbund. Denn als Höchststeuerland riskiert Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit.

Die Staatseinnahmen werden wegen eingetrübter Konjunkturaussichten nicht mehr so stark steigen wie zuletzt. Bund, Länder und Kommunen können bis zum Jahr 2022 aber noch mit 6,7 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen rechnen als bei der letzten Steuerschätzung im Mai vorhergesagt.

Noch Rekordeinnahmen

Die Bundesregierung musste zuletzt ihre Wachstumsprognose auf 1,8 Prozent für das laufende Jahr nach unten korrigieren − auch die Abstürze an den Börsen zeugen von wachsender Nervosität weltweit.

Dennoch hat die große Koalition bisher noch Rekordeinnahmen für den Bund zu verzeichnen − Grund ist auch die niedrige Arbeitslosigkeit und die Rekordbeschäftigung, die die Steuereinnahmen sprudeln lassen.

Seit 2014 konnten Bundeshaushalte ohne neue Schulden aufgestellt werden, zudem könnte in diesem Jahr erstmals seit 2002 wieder die deutsche Staatsverschuldung unter die „Maastricht-Grenze“ von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sinken − und damit unter die eigentlich vorgesehene Grenze für die Stabilität des Euros.

Ausgleich für die kalte Progression

Ein Teil der Mehreinnahmen wird in mehrere Milliardenprojekte der großen Koalition wandern, die ab 2019 ihre volle Wirkung entfalten. Neben Rentenverbesserungen und Milliardenentlastungen der Bürger bei den Krankenkassenbeiträgen sowie dem neuen Baukindergeld ist ein Entlastungsgesetz mit einem Volumen von 9,8 Milliarden Euro im Jahr geplant. Darüber wird auch die kalte Progression ausgeglichen, die einem neuen Bericht des Finanzministeriums zufolge im laufenden Jahr 32,1 Millionen Steuerzahler mit durchschnittlich 104 Euro betrifft.

Das Problem der kalten Progression entsteht, wenn Einkommens- und Lohnerhöhungen lediglich die Inflation ausgleichen, die Kaufkraft des Arbeitnehmers aber nicht steigt. Durch den Tarifverlauf bei der Einkommensteuer zahlt er dann überproportional mehr Steuern an den Fiskus. Das Gesamtvolumen beläuft sich in diesem Jahr auf 3,3 Milliarden Euro − wird aber entsprechend im kommenden Jahr über das Entlastungsgesetz an die betroffenen Steuerzahler zurückgegeben.

Unternehmenssteuern senken …

Trotz dunkler Wolken für die Konjunktur gibt es derzeit noch goldene Zeiten. Bei der letzten Mai-Steuerschätzung wurden für dieses Jahr Einnahmen von 772,1 Milliarden Euro prognostiziert und bis 2022 sogar 905,9 Milliarden Euro. Auch im September hielt der Boom bei den Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden an − sie stiegen gegenüber dem Vorjahresmonat um 5,8 Prozent auf 68,97 Milliarden Euro.

Gerade weil sich diese Boomzeiten nun einem Ende entgegen neigen könnten, gibt es eindringliche Reformforderungen an SPD-Finanzminister Olaf Scholz und Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Die Steuerlast ist auf ein Rekordhoch gestiegen. Deshalb ist es überfällig, Steuern zu senken“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Die Steuerlast der Unternehmen sollte daher von zurzeit mehr als 30 Prozent auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau sinken, so Lang: „Ein deutliches Signal wäre eine effektive Steuerbelastung der Unternehmen von maximal 25 Prozent.“

… für die Wettbewerbsfähigkeit

Dies sei wichtig, weil der Fiskus die Unternehmen in den OECD-Staaten durchschnittlich mit 24,7 und in der EU mit nur 21,7 Prozent belaste − Deutschland liege weit über dem Schnitt. „Überall in der EU sinken die Steuern für Unternehmen, gerade etwa in Belgien, Frankreich, Griechenland, Luxemburg und im Vereinigten Königreich“, so Lang. Deutschland dagegen entwickele sich „vom Hoch- zum Höchststeuerland“.

Deutschland entwickelt sich vom Hoch- zum Höchststeuerland.

Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI)

„Andere Industriestaaten schaffen hohe steuerliche Anreize für die Unternehmen“, warnt Lang mit Blick auf andere EU-Staaten und die USA, wo Präsident Donald Trump Unternehmen mit niedrigen Sätzen Vorteile im globalen Wettbewerb verschaffen will. „Es wird der Situation überhaupt nicht gerecht, dass in Deutschland bisher eine Reaktion ausbleibt“, sagte Lang.

Der Soli muss weg

Da die Löhne zuletzt stärker gestiegen sind, als die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz angehoben wurde, zahlen Bürger mit einem Jahresverdienst von 55.000 Euro zudem schon den Spitzensteuersatz. Dass selbst Durchschnittsverdiener nahe an den Spitzensteuersatz herankommen, sei „absolut indiskutabel“, kritisiert der Präsident des Steuerzahlerbundes, Reiner Holznagel. Für eine echte Entlastung sollte der Steuertarif abgeflacht werden und der Spitzensteuersatz erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 80.000 Euro greifen.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbundes

„Die Politik muss jetzt Reformen für die Mitte anpacken“, fordert Holznagel und verweist darauf, dass man immer noch in Zeiten von Rekordeinnahmen lebe. Darum müsse der Solidaritätszuschlag ab 2020 komplett wegfallen − die große Koalition plant nur einen schrittweisen Abbau − und nur für 90 Prozent der bisherigen Soli-Zahler.

„Die Politik hat den Solidaritätszuschlag immer mit den Finanzhilfen für die neuen Bundesländer verknüpft − dieser Solidarpakt II läuft Ende 2019 aus, so dass der Soli ab dem Jahr 2020 nicht mehr erhoben werden dürfte“, betonte Holznagel. Es sei eine Frage der Glaubwürdigkeit, den Soli für alle Bürger und Betriebe komplett abzuschaffen. „Schon seit Jahren bringt der Soli dem Bund viel mehr Geld ein, als er für den Aufbau Ost ausgibt.“ Der CDU-Wirtschaftsrat forderte ebenfalls das Ende des Solis.

Scholz winkt ab

Finanzminister Scholz will von solchen Überlegungen nichts wissen. Er sieht wenig Spielräume und verweist auf die Kosten der Teilabschaffung des Soli ab 2021: zehn Milliarden Euro. „Wir müssen uns auf eine Normalisierung der Einnahmen einrichten“, so Scholz bei der Vorstellung der neuen Steuerzahlen in Berlin. „Die Bäume wachsen nicht in den Himmel.“ Einige der zusätzlichen Mittel sollen in Steueranreize bei der Forschungsförderung fließen.

Die Bäume wachsen nicht in den Himmel.

Olaf-Scholz, SPD-Finanzminister

„Größere neue Spielräume sind nicht sichtbar“, sagte Scholz − und erteilte damit Forderungen nach einer großen Steuerreform oder einer kompletten Abschaffung des Solidaritätsbeitrags eine Absage. Zuletzt hatte Scholz einen Vorstoß von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) abgelehnt, der Unternehmen um bis zu 20 Milliarden Euro im Jahr entlasten will.

Die Wirtschaft wächst zwar weiter, aber die Bundesregierung rechnet 2018 mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur noch 1,8 Prozent. Im Frühjahr hatte die Regierung noch ein Plus von 2,3 Prozent erwartet − weniger Wachstum bedeutet auch weniger Geld für den Staat.

Mehr Geld für Verteidigung?

Keine Überraschung: US-Botschafter Richard Grenell forderte prompt von Deutschland eine massive Erhöhung des Verteidigungsetats. „In Zeiten, in denen die deutsche Regierung einen massiven Haushaltsüberschuss hat, der ihr Spielraum verschafft, gibt es keinen Grund, gegebene Versprechen nicht einzuhalten“, schreibt Grenell in einem Gastbeitrag für das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Deutschland habe sich politisch verpflichtet, seine Verteidigungsausgaben bis 2024 auf 1,5 Prozent seines BIP zu erhöhen. Es zeichne sich aber ab, dass das Land den Erwartungen der Nato-Bündnispartner nicht voll gerecht werden werde. Der Streit über die Höhe des deutschen Verteidigungshaushalts, heißt das, wird weitergehen. (dpa/BK/H.M.)