Alternative zum Auto: Eine Leihstation für Movelo-E-Bikes in Bad Reichenhall. (Foto: Movelo)
Mobilität

Stressfrei vorbei am Stau

Das Radl-Start-up Movelo aus Bad Reichenhall versorgt Hotels in ganz Deutschland mit Leih-E-Bikes für ihre Gäste. Nun wollen die Jungunternehmer den Verkehr in den Städten entlasten: mit Elektro-Zweirädern für Firmenkunden.

Der Radl-Verleiher steigt auf eines der grün lackierten E-Bikes und saust davon. Einmal die Straße vor dem Hauptlager in einem Gewerbegebiet von Bad Reichenhall hinab, ein wenig in die Pedale steigen, dabei aber sehr unangestrengt im Eco-Modus dahinflitzen. Mit elektrischem Rückenwind aus der Batterie. „Das geht richtig gut“, ruft Movelo-Chef Niclas Schubert im Fahrtwind, „und ohne viel Anstrengung“. Trotz sommerlicher Temperaturen steigt er nach einer viertelstündigen Runde unverschwitzt wieder vom Zweirad.

Hochbetrieb zur Urlaubszeit

In der Werkshalle seines Unternehmens herrscht gerade Hochbetrieb. Mechaniker laden fabrikneue Radl vom Lieferwagen, unterziehen jedes einzelne einem kurzen Check-up. Lenker und Sattel montieren, Bremsen und Antrieb überprüfen. 1.500 neue E-Bikes bekommen Werkstatt-Service und werden dann per Lieferwagen an mehr als 600 Hotels in der ganzen Bundesrepublik ausgeliefert. Damit ist die Start-up-Firma aus dem Berchtesgadener Land zu einem der größten deutschen Velo-Vermieter im Freistaat aufgestiegen: Zum Fixpreis bekommen Hoteliers E-Bikes in den Radkeller gestellt und können sie an ihre Gäste weiterverleihen.

Hundert Prozent Parkplatzgarantie, null Prozent Kohlendioxidausstoß.

Niclas Schubert, Movelo-Gründer

In der Fremdenverkehrsregion unter dem Watzmann mit ihren vielen Beherbergungsbetrieben habe Movelo mit diesem Geschäftsmodell „perfekt aufwachsen können“, erklärt Schubert. Bis auf die Ferieninseln in der Nord- und Ostsee, bis nach Mallorca konnte das Unternehmen wachsen, das er mit Bruder Tobias und zwei weiteren Geschäftsführern leitet. Rund zwei Millionen Euro Umsatz erwirtschaften sie so im Jahr. Aber jetzt soll der nächste große Schritt folgen: Die Schuberts wollen raus aus dem Ferienbetrieb, hinein ins Mobilitätsgeschäft in den vom Verkehr überlasteten Städten. Indem sie ihr Verleihmodell von Hotels auf Firmen aller Art ausweiten.

Schweißfrei durch die Stadt

„Company Bike“ heißt das neue Angebot, das Unternehmen mit mehreren Filialen an einem Standort ansprechen soll, deren Mitarbeiter dann unangestrengt und schweißfrei von Niederlassung zu Niederlassung, von Termin zu Termin radeln könnten. „Viele kommen im dichten Autoverkehr mit den Firmenwagen nicht mehr voran, ständig zu spät“, beobachtet Schubert. Indem sie nun mehrere E-Bikes anmieten, könnten ihre Angestellten diesem Problem ganz einfach aus dem Weg radeln.

Die beiden gebürtigen Reichenhaller wollten ihren Heimatort nie wirklich verlassen. Zu gern gehen sie selbst bergsteigen, mountainbiken. „Aber in so einem Kurort kannst halt Bedienung oder Arzt werden“, sagt der ältere Schubert-Bruder Niclas. „Oder dein eigenes Ding machen.“ So haben sie Anfang der Nullerjahre ihren Verleih gegründet, mit anfangs 30 E-Radln. Inzwischen bringen sie mehr als 3.500 Stück unter die Urlauber, die gerne mit ein wenig motorisierter Unterstützung in die Pedale treten. Mittlerweile sind sie mit ihrem Heimatstandort ganz im Süden des Freistaats sehr glücklich. „Familienfreundlich, naturnah“, sagt der Movelo-Mann. Ihr Hauptquartier haben sie im umgebauten Haus ihrer Eltern errichtet. Die sind dafür in eine elegante Altbauwohnung am Kurpark gezogen.

Durch das Café Amadeo neben der Firmenzentrale – einen Espresso und ein Schinken-Käse-Sandwich im Vorübergehen – sind sie gleich in der Fußgängerzone von Bad Reichenhall. Und wenn die Dienstreise mal weiter weg führen soll, sind sie vom Büro in nur vierzig Minuten im Flieger am Salzburger Flughafen. Viel kommoder, als umständlich durch den Dauerstau zum Airport nach München zu fahren.

E-Bike statt Dienstwagen

Mit dem E-Bike-Sharing für Firmen starten die vier Movelo-Chefs in einen potenziellen Wachstumsmarkt. Den Anfang machen die Krankenhausbetriebe von Linz in Österreich, deren Mitarbeiter mit den Rädern aus Reichenhall besser zwischen den innerstädtischen Standorten des Klinikums pendeln können. Die Gemeinde Hallbergmoos nördlich von München möchte per Movelo Pendler zwischen der S-Bahn-Station und dem Gewerbegebiet bewegen.

Verkehrsexperten propagieren Fahrräder und speziell ihre elektrisch motorisierte Variante als Verkehrsmittel der Zukunft für urbane Regionen. Nachts lassen sie sich leicht im Fahrradkeller an die Steckdose anstöpseln, tagsüber bewegen sich die Fahrer halbwegs unbeschwert durch chronisch verstaute Innenstädte. Sollte es zu Fahrverboten für Dieselautos kommen, wären die öffentlichen Nahverkehrssysteme bislang kaum auf Tausende zusätzliche Passagiere ausgelegt. Aber auf den Radwegen und zwischen den Autos und Lastwagen ist noch Platz für Drahtesel, die einfach am Stau vorbeifahren. Städte in den Niederlanden oder Skandinavien zeigen schon heute mit ausgebauten Radwegenetzen und beschränktem Zugang für Autos, wie viel Verkehr sich auf zwei Räder verlagern lässt. „Hundert Prozent Parkplatzgarantie, null Prozent Kohlendioxidausstoß“, zählt Niclas Schubert die Vorteile auf. Für das neue Sharing-Geschäft haben die begeisterten Radl-Schrauber aus der Region Berchtesgaden ihr spezielles Angebot zurechtmontiert: Kunden können ein vorgefertigtes Gestell für insgesamt fünf E-Bikes auf ihrem Firmenparkplatz oder in der Tiefgarage installieren.

Stromanschlüsse sind integriert, sodass die Räder im Stillstand stets aufgeladen werden können. Über eine App im Smartphone buchen Mitarbeiter bei Bedarf eines der Elektroräder, schließen es damit auf oder zu. „Service, Reparaturen übernehmen wir. Zudem gibt es eine Versicherungslösung für Diebstähle“, preist Niclas Schubert die innovative Idee.

Radfreundliche Wohnanlagen

Mit dem Schritt zu Unternehmenskunden sehen sich die beiden Schubert-Brüder auf dem Weg in die Mobilität von morgen. „Da entwickeln sich Potenziale, die längst nicht ausgereizt sind“, glaubt Tobias Schubert. Schon heute planen manche Bauträger autofreie Neubaugebiete und Wohnparks, sogenannte „Rad-freundliche“ Wohnanlagen. In den Zukunftsvisionen von Architekten fehlen Straßen zwischen den Häusern, dafür planen sie Radwege ein. Da viele mögliche Bewohner der Kaufpreis von 3.000 oder 4.000 Euro für ein E-Rad noch schreckt, bieten sich in solchen Anlagen Sharing-Modelle an.

Wer allerdings schon im Hier und Jetzt ein solches Tech-Gerät besitzen will, aber den Preis scheut, der kommt ebenfalls bei Movelo auf seine Kosten. Geschäftsführer Niclas Schubert schwingt sich zur Abwechslung ins Auto und fährt von der Firmenzentrale die stark frequentierte Innsbrucker Straße hinunter. In einem vormaligen Bierstüberl verkauft Movelo die benutzten E-Räder aus dem Hotel-Sharing der vergangenen Saison. „In diesen Räumen hat sich kein Laden länger halten können“, sagt er. „Unserer läuft.“ Im Zweite-Hand-Sortiment finden sich künftig auch die Rückläufer aus dem neuen Firmensystem. So schließt sich für die Unternehmer der Lebenskreislauf ihrer Zweiräder. Und für frisch erwachte E-Biker öffnet sich der Radweg in eine abgasfreie Epoche.