Teure Niedrigzinspolitik
Die Niedrigzinspolitik der EZB hat ihren Preis: Seit 2010 sind Deutschlands Sparern 436 Milliarden Euro Zinsgewinne entgangen. Jetzt warnt die Bundesbank: Die Tiefstzinsen führen dazu, dass viele Euroländer nicht sparen, sondern Schulden anhäufen.
EZB

Teure Niedrigzinspolitik

Die Niedrigzinspolitik der EZB hat ihren Preis: Seit 2010 sind Deutschlands Sparern 436 Milliarden Euro Zinsgewinne entgangen. Jetzt warnt die Bundesbank: Die Tiefstzinsen führen dazu, dass viele Euroländer nicht sparen, sondern Schulden anhäufen.

Der Finanzminister Freud ist der Sparer Leid – sehr teures Leid. Denn die Euro-Staaten profitieren von der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) unter ihrem italienischen Chef Mario Draghi durch milliardenschwere Einsparungen bei den Zinsen. So haben seit dem Jahr 2008 die Euro-Länder fast eine Billion Euro gespart. Das errechnet die Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht „Zur Entwicklung der staatlichen Zinsausgaben in Deutschland und anderen Ländern des Euroraums”.

Die Sparer zahlen die Rechnung

Weil aber Geld nicht vom Himmel regnet, muss irgendjemand die Rechnung der Niedrigzinspolitik begleichen: die Sparer mit niedrigen Zinsen. Seit 2010 hat die Niedrigzinspolitik der EZB allein die deutschen Sparer rund 436 Milliarden Euro gekostet. Diese Rechnung aufgemacht hat jetzt die Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank (DZ Bank AG). Das Frankfurter Bankinstitut ist Deutschlands drittgrößte Bank und als Zentralinstitut von mehr als 1000 Volksbanken, Raiffeisenbanken, Sparda-Banken und Genossenschaftsbanken sozusagen das Bankhaus der kleinen Sparer, Kreditnehmer und Investoren.

Deutschlands Sparer zahlen einen üppigen Teil der Rechnung für die lockere Geldpolitik der EZB.

Stefan Bielmeier, Chefökonom der DZ Bank AG

„Deutschlands Sparer zahlen einen üppigen Teil der Rechnung für die lockere Geldpolitik der EZB“, sagt denn auch Stefan Bielmeier, Chef-Ökonom der DZ Bank. Ausgehend von den Bedingungen der Jahre 1998 bis 2008 errechnet Bielmeier für die Nach-Krisenzeit von 2010 bis 2016 einen Zinsverlust von 344 Milliarden Euro. 2017 sollen voraussichtlich noch einmal 92 Milliarden Euro hinzukommen. Bielmeier: „Das macht sage und schreibe 436 Milliarden Euro.“

Natürlich können auch ganz normale Sparer von der Niedrigzinspolitik profitieren, etwa wenn sie Kredite aufnehmen. Aber selbst wenn man solchen positiven Effekte der Niedrigzinspolitik einrechne, bleibe für den Zeitraum von 2010 bis 2017 für die deutschen Sparer eine Einbuße von etwa 250 Milliarden Euro, so der DZ Bank-Chefökonom.

Höchste Staatsschulden zu niedrigsten Zinsen

Von diesen Kosten für die Sparer ist im aktuellen Monatsbericht der EZB praktisch keine Rede. Sie beziffert nur die Entlastungen für die Länder. Besonders kräftig profitierte unter anderem Italien mit Ersparnissen in Höhe von etwa 10,5 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Jahre 2008 bis 2016 – ein Schelm, wer Draghi dabei denkt. Ähnlich hoch seien die Entlastungen für die Niederlande, Österreich, Frankreich und Belgien gewesen. Für Deutschland belaufen sich die Einsparungen auf etwa 7,5 Prozent des BIP oder 240 Milliarden Euro, wieder gemessen am durchschnittlichen Zinsniveau vor Ausbruch der Finanzkrise.

Mit hohen Schuldenquoten bleiben die öffentlichen Finanzen schockanfällig.

Bundesbank

Am meisten profitieren die Länder mit den höchsten Schuldenquoten. Wenn man vom Sonderfall Griechenland und seiner Staatsverschuldung von 179 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einmal absieht, wird die Liste der Eurozonen-Schuldenländer von Italien mit 133 Prozent Verschuldung angeführt. Es folgen Portugal (130 Prozent) und Belgien (106 Prozent). Spanien und Frankreich liegen mit 99,4 und 98,2 Prozent noch knapp unter der bedrohlichen 100-Prozent-Schwelle. OECD-Berechnungen zufolge wird Frankreich sie im Jahr 2018 überschreiten. Auch Deutschland liegt mit einer Staatsverschuldung von derzeit 66 Prozent über der im Maastrichter Vertrag festgelegten 60-Prozent-Marke.

Dank der EZB-Niedrigzinspolitik musste etwa Frankreich für Schulden im Volumen von zuletzt rund 2200 Milliarden Euro nur 42 Milliarden Euro an Zinsen zahlen. Höhere Zinsen würden für das hochverschuldete Land sofort zur Bedrohung. Aber zunächst wird es wohl bei den aktuell sehr günstigen Zinsbedingungen bleiben, so die Einschätzung der Bundesbank. Trotzdem raten die Bundesbank-Experten dringend dazu, „Vorsorge für wieder steigende Zinsen zu treffen“. Soll heißen: Haushalte zu konsolidieren und Staatsverschuldungen abzubauen.

Niemand spart

Problem: Genau das passiert in den Hochschuldenländern kaum. Gerade weil die Zinsen so niedrig sind und bleiben. „Jeder private Schuldner“, kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „kann sich ausmalen, was passierte, wenn er für immer höhere Schulden, immer tiefere Zinsen zahlen müsste. Folgerichtig ist in der Eurozone der Wille zur Haushaltskonsolidierung fast überall geschwunden.“

In der Eurozone ist der Wille zur Haushaltskonsolidierung fast überall geschwunden.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Bundesbank bestätigt den Befund: „Zuletzt sind die Konsolidierungsfortschritte allerdings weitgehend zum Stillstand gekommen, wohl auch angesichts der anhaltend günstigen Finanzierungsbedingungen.“ Was gefährliche Konsequenzen haben könne, warnt die Zentralbank in Frankfurt: „Mit hohen Schuldenquoten bleiben die öffentlichen Finanzen aber schockanfällig, und ein Zinsanstieg schlägt bei sonst gleichen Haushaltsbedingungen stärker negativ zu Buche.“ Für hoch verschuldete Länder könnten dann die Zinskosten sehr schnell gefährlich werden.

Das wiederum würde sehr viel umfangreichere Konsolidierungsmaßnahmen – sprich: Sparschnitte – notwendig machen, die dann „mit größeren politischen Kosten verbunden“ wären, so die Bundesbank: „Droht infolgedessen das Vertrauen der Finanzmärkte in die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen verloren zu gehen, dürfte nicht zuletzt die Geldpolitik unter Druck geraten, dem entgegenzuwirken.“ Mit neuerlicher Niedrigzinspolitik. Ein Teufelskreis. Das alles bedeutet: Europas Schuldenkrise ist noch nicht ausgestanden.