Das bayerische Startup Proglove hat einen innovativen Handschuh entwickelt. (Bild: Proglove)
Studie

Weltmeister im Fortschritt

Innovationen treiben Unternehmer vor allem in Süddeutschland voran. Das zeigt eine aktuelle Studie. Sie erklärt auch, warum Berlin zwar den Ruf einer Gründungshochburg genießt, doch die eigentliche Innovationskraft woanders liegt.

Wo ist Deutschland Weltmeister in Sachen Innovationen? Das zeigt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln mit dem IW-Innovationsatlas 2017. Für die Macher der Studie ist klar:  „Würde das ganze Land wie Bayern und Baden-Württemberg forschen, lägen wir im internationalen Vergleich auf Platz eins“, analysiert IW-Wissenschaftler Oliver Koppel. Vor allem Regionen mit einer starken Metall- und Elektroindustrie treiben die Innovation voran. Doch die Innovationskraft ist hierzulande extrem ungleich verteilt, die meisten Bundesländer fallen im Vergleich stark ab und ziehen Deutschland nach unten. Lediglich den Wirtschaftsräumen um Wolfsburg und Jena gelingt es, die Dominanz des Südens zu durchbrechen. In beiden Regionen fließt überdurchschnittlich viel Geld in die Forschung – mit entsprechenden Patenterfolgen.

Würde das ganze Land wie Bayern forschen, lägen wir im internationalen Vergleich auf Platz eins.

Oliver Koppel, IW-Wissenschaftler

Ingolstadt: Stadt der Patente

Der Raum rund um Stuttgart liegt mit 577 Patentanmeldungen pro 100.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten deutschlandweit an der Spitze. In der Region um Ingolstadt waren es 486, im Bundesschnitt lediglich 125 Patentanmeldungen. In Großstädten wird zwar bezogen auf die Beschäftigung um das Fünffache intensiver patentiert als in stark ländlich geprägten Kreisen. Trotzdem erbringen selbst dünn besiedelte ländliche Kreise in Baden-Württemberg und Bayern eine höhere Patentleistung als beispielsweise nordrhein-westfälische Großstädte und auch als der Großteil aller Bundesländer im Durchschnitt (siehe Abbildung 1). Würde ganz Deutschland also auf dem Niveau von Baden-Württemberg und Bayern Patente anmelden, läge es in einem internationalen Vergleich mit großem Vorsprung auf Platz eins.

Insgesamt verpassen aber drei Viertel aller hiesigen Wirtschaftsräume das EU-Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in unternehmerische Forschung zu investieren. Vor allem ländliche Gebiete fallen weiter hinter die innovativen Großstädte zurück. „Die Politik muss mehr dafür tun, dass bislang schwächere Innovationsregionen wieder aufschließen, ohne die Top-Regionen zu schwächen“, sagt Koppel. Dafür sollten forschende Unternehmen steuerlich gefördert werden. Zudem müsse das Breitbandinternet auf dem Land ausgebaut werden, um technologieorientierte Unternehmensgründungen zu erleichtern. So verfügt Bayern nur in den Ballungszentren über eine sehr gute Breitbandversorgung. Deutliche Defizite beim Breitband-Ausbau existieren weiterhin in ländlichen Regionen. Nur knapp sechs von zehn Haushalten verfügen dort über Breitbandinternet, laut Studie. Nicht berücksichtigt sind darin allerdings die laufenden und neuen Digitalisierungsprogramme des Freistaats.

Wo leben die Naturwissenschaftler?

Punkten kann Bayern hingegen mit der hohen Konzentration von technisch-naturwissenschaftlichen Akademikerberufen.

Sie ist wichtig für die regionale Innovationskraft, denn es sind maßgeblich diese Beschäftigten, die für Forschung, Entwicklung und Patente verantwortlich sind. Damit schaffen sie die oft notwendigen Voraussetzungen für neue Produkte und Prozesse. Auf Ebene der Wirtschaftsräume (siehe Abbildung 2) zeigt sich: Mit Ausnahme der Randlagen ist die Beschäftigungsstruktur in den süddeutschen Wirtschaftsräumen besonders MINT-intensiv, während die entsprechenden Werte Richtung Norden und Osten der Republik deutlich abnehmen. Einzig der Wirtschaftsraum um Wolfsburg und Braunschweig durchbricht als VW-Standort die Dominanz des Südens und nimmt mit einer Beschäftigungsdichte von 83 MINT-Akademikern je 1.000 Beschäftigten den Spitzenplatz ein. Weitere positive Ausnahmen bilden der Wirtschaftsraum um Aachen, dessen Ausbildungsleistung im MINT-Hochschulbereich über eine hohe Beschäftigungsintensität auch in die Nachbarregionen abstrahlt, sowie der Wirtschaftsraum um Dresden.

Start-ups steigern Wettbewerb

Eine wichtige Rolle spielen zudem Start-up-Gründungen, denn sie entwickeln neue Produkte und Dienstleistungen, erhöhen den Wettbewerbsdruck auf etablierte Unternehmen und weisen eine deutlich positivere Beschäftigungsentwicklung als andere Gründungen auf.

Viele Wirtschaftsräume mit einer besonders aktiven Szene technologieorientierter Neugründungen finden sich in Bayern und in Baden-Württemberg, aber auch in Ostdeutschland (vornehmlich in Sachsen und Thüringen, Abbildung 3).

Bereits bei der generellen Gründungsneigung weisen wissenschaftliche Studien Deutschland einen hinteren Platz im internationalen Vergleich auf. Wie der IW-Innovationatlas zeigt, hat zudem deutschlandweit nur jede 77. Neugründung einen technologiebasierten Innovationsbezug. In der Bundesländerperspektive (siehe Tabelle 3) genießt Berlin zwar den Ruf einer Gründungshochburg, jedoch bezieht sich dies nur auf die allgemeine Gründungsaktivität (Spalte 1). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass in Berlin weit häufiger als andernorts vor allem nicht-wissensintensive Unternehmen aus dem Bereich der personennahen Dienstleistungen gegründet werden.

Bei der Spezialisierung auf innovationsorientierte Gründungen mit einem technologiebasierten Hintergrund (Spalte 2) liegt Berlin nur in der Schlussgruppe. Bayern liegt mit 32 Neugründungen in innovationsaffinen Branchen je 10.000 aktiven Unternehmen im bundesweiten Durchschnitt. Einen Spitzenplatz nimmt Thüringen mit 42 Neugründungen ein. Das Bundesland profitiert von speziell auf innovative Gründungen ausgerichteten Förderprogrammen des Bundes sowie von thüringischen Landesprogrammen.

Grundlagen der Studie

Die Wissenschaftler zogen für die Studie 85 eigens definierter Wirtschaftsräume fünf Indikatoren heran: die regionalen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen (FuE) der Wirtschaft, die Zahl der beschäftigten Akademiker mit MINT-(Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik)-Qualifikationen, die Zahl der technologieorientierten Unternehmensgründungen, die Breitbandinternetversorgung und die Zahl der Patentanmeldungen. Dadurch konnten sie ein empirisch schlüssiges Bild der regionalen Innovationskraft entlang der Wirkungskette von FuE-Aufwendungen über MINT-intensive Beschäftigungsstrukturen bis hin zu Patenterfolgen nachzeichnen.