Das Geschäft mit den Gasen ist hart umkämpft. Linde hatte zuletzt seine Vormachtstellung an die Konkurrenz in Frankreich verloren. (Bild: Linde/fkn)
Linde AG

Fusion geplatzt, Vorstand am Ende

Wer mit Gasen hantiert, sollte tunlichst nicht mit dem Feuer spielen: Vieles deutet darauf hin, dass bei dem Münchner Gas- und Engineering-Konzern Linde der Streit zweier Manager eskaliert und es zum großen Knall gekommen ist. Beide verlassen den Konzern, der angestrebte Zusammenschluss mit Praxair ist vom Tisch. Der alte Chef kehrt die Scherben zusammen.

Die Woche begann mit einem rabenschwarzen Tag für die Linde AG und ihre Aktionäre: Die Papiere des Konzerns sackten um satte acht Prozent in den Keller, verwunderlich war das nicht. Die unerfreulichen Ad Hoc-Mitteilungen des Konzerns trudelten beinahe im Stundentakt ein: Am Montag ließen Vorstand und Aufsichtsrat wissen, dass aus der angestrebten Fusion mit dem US-Rivalen Praxair nichts wird, am Dienstag machte Linde bekannt, dass der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Büchele und Finanzvorstand Georg Denoke den Konzern verlassen. Denoke nahm noch am selben Tag seinen Hut, Büchele erklärte, für keine zweite Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Er scheidet also im April kommenden Jahres aus. Das musste erstmal verdaut werden.

Meinungsverschiedenheiten in der Führungsetage

Laut unbestätigten Medienberichten war man sich in der Führungsetage schon seit längerer Zeit nicht mehr grün, immer wieder soll es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen sein. Finanzvorstand Denoke wurde außerdem nachgesagt, dass er sich nicht für immer mit seinem Posten zufriedengeben wollte, sondern an die Spitze des Konzerns strebte. Das Handelsblatt berichtete im Juli, dass das Tischtuch zwischen dem Vorstandschef und seinem Finanzmanager zerschnitten war.

Krisen der Welt drücken auf das Geschäft

Und Büchele wehte der Wind zuletzt stark entgegen: Die Krisen in Russland und Brasilien sowie das schwächelnde China und der anhaltend niedrige Ölpreis drückten auf das Geschäft – Gewinnwarnungen blieben nicht aus. Der Umsatz im Anlagenbau sackte 2015 um 16,5 Prozent auf rund 2,6 Milliarden Euro ab, und mit ihm der Gewinn.

Auch aus den USA gab es für die Münchner Hiobsbotschaften: Die US-Regierung beschloss kurzerhand, dass Lieferanten von medizinischen Gasen für Krankenhäuser und Heimpatienten weniger Geld erhalten sollen. Das schmälert die Gewinne der US-Tochter Lincare um einen dreistelligen Millionenbetrag. Und als ob das alles noch nicht schlimm genug wäre, verlor Linde auch noch seine Vormachtstellung an die französische Konkurrenz von Air Liquide. Die Franzosen hatten sich im Mai den amerikanischen Hersteller Airgas einverleibt und waren so an die Weltspitze gerückt.

Uneinigkeit über neue Konzernzentrale

Der Zusammenschluss mit Praxair hätte die Scharte ausgewetzt, Linde hätte die Pole Position auf dem Markt mit Gasen zurückerobert. Zusammen mit den Amerikanern hätten die Münchner die sich abschwächende Industrieproduktion leichter abfedern können, hieß es aus Branchenkreisen. Zu Wochenbeginn wurden die Pläne allerdings offiziell begraben. Die Wirtschaftswoche berichtet, dass es zwischen beiden Unternehmen Unstimmigkeiten gegeben haben soll. Weder über die Struktur noch den Sitz des neuen Konzerns soll Einigkeit geherrscht haben. Überlegungen für eine neue Konzernzentrale in London sollen in Bayern auf großen Widerstand gestoßen sein.

Aufsichtsratschef gibt die Marschrichtung vor

Nun ist bei Linde guter Rat teuer. Experten erwarten, dass jetzt vor allem Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle die Marschrichtung vorgeben wird. Der langjährige Vorstandschef ist im März in seiner neuen Funktion zum Unternehmen zurückgekehrt. Er hatte von 2003 bis 2014 mit geschickten Schachzügen und Übernahmen den Konzern zu dem gemacht, was er heute ist. Im Handelsblatt sprach der Chefaufseher nun von „einem Neubeginn“. Linde brauche einen neuen Chef, der das Fach verstehe und wisse, „wie man einen Konzern auf Performance trimmt“.

Börse besänftigt

An der Börse wurde es durchaus honoriert, dass Aufsichtsratschef Reitzle „die Lederhosen anbehält“. Nach seinem Tief zu Wochenbeginn erholte sich der Kurs der Linde-Aktie wieder leicht. Von seinem diesjährigen Höchststand (156 Euro), der im August erreicht worden war, ist das Papier aber noch ein gutes Stück entfernt. Am heutigen Freitag war es rund 144 Euro wert.

Die „Linde Group“

mit Hauptsitz in München ist eines der führenden Gase- und Engineeringunternehmen der Welt. Es beschäftigt rund 64.500 Mitarbeiter in 100 Ländern. Die Firma ist in drei Divisionen aufgeteilt: Industriegase und Medizinische Gase, Anlagenbau sowie Logistikdienstleistungen. Die größte davon ist die Division der Gase. Im vergangenen Jahr erzielte der Konzern einen Gesamtumsatz von 17,944 Milliarden Euro.