Der Pilgerweg zur Kathedrale von Santiago de Compostela ist Ausdruck der Rückbesinnung auf Gott. Foto: spanien-Newsletter.de
Religion

Die neue Frage nach Gott

Gott war nach nie so "in" wie heute: Auf ihn berufen sich Fanatiker, wenn sie in den Heiligen Krieg ziehen. Wenn er auf einem Buchtitel erscheint, wird es ein Bestseller. Warum sind wir Menschen plötzlich wieder so neugierig auf ihn? Und wie hat sich unser Bild von ihm im Lauf der Geschichte verändert?

„Seit meiner frühesten Kindheit beschäftigt mich die Frage nach dem großen unbekannten Wesen… Als Kind hatte ich nie den leisesten Zweifel an der Existenz Gottes, aber als vermeintlich aufgeklärter Erwachsener stelle ich mir heute durchaus die Frage: Gibt es Gott wirklich?“

Um ein Antwort zu erhalten, begibt sich der Entertainer und Kabarettist Hape Kerkeling im Jahr 2001 auf den 800 Kilometer langen Pilgerweg durch Nordspanien bis nach Santiago de Compostela. In einem Tagebuch hält er seine Erfahrungen und Erlebnisse auf dem Jakobsweg fest. Fünf Jahre später veröffentlicht er seine Aufzeichnungen unter dem Titel „Ich bin dann mal weg.“ Das Buch wird zum Millionen-Bestseller. Was nicht nur heißt, dass Millionen von Deutschen an Kerkelings Seelenschau interessiert sind, sondern auch dass sie sich selbst die Frage nach der Existenz Gottes stellen.

Die älteste Frage der Menschheit

Wie schon vor Hunderttausenden von Jahren. Schon damals will der Homo sapiens wissen: Wer beendet den Tag und lässt die Sonne untergehen? Woher kommen Unwetter, Krankheit, Unfall, Missernte? Der Jäger und Sammler und später dann der Ackerbauer und Viehzüchter entdecken die Macht der Elemente und geben ihnen Namen, Gesichter, Figuren und Eigenschaften. Diese Götter sind für das Geschehen in der unmittelbaren Umgebung verantwortlich. Angstvoll bittet man sie um Gnade. Dankbar erweist man sich, wenn sie einen nicht „bestrafen“.

Doch dann zwischen 1350 und 1250 v. Chr. ereignet sich ein Paradigmenwechsel: Nahezu überall auf der Erde reicht den Menschen die Vielgötterei nicht mehr zur Erklärung der Welt. Unterstehen die vielen Gottheiten vielleicht einem höheren Prinzip? Pharao Amenhotep IV führt den Kult des Aton, der Sonnenscheibe, ein. Aton soll für die Ägypter der einzige und wahre Gott sein. Amenhotep ist – wie alle Herrscher, die sich auf eine Religion berufen – der Nutznießer dieser Reform, schließlich ist er der Stellvertreter Atons auf Erden.

Etwa zur gleichen Zeit verkündet Moses, Jahve sei der Volksgott der Israeliten. Er habe sie als sein Volk auserwählt. Und dieser Jahve sei den Göttern der anderen Völker überlegen. Jahve wird somit zum allmächtigen Gott, der über allem und allen steht. König David gelingt es mithilfe dieses Glaubens, die Stämme Israels zu vereinen.

Mehr als 1000 Jahre später wendet der römische Kaiser Konstantin einen ähnlichen Trick an: Als seine Truppen mit dem Kreuz auf den Fahnen siegen, erkennt er neben der bis dahin im Römischen Reich bestehenden Vielgötterei den neuen Eingottglauben  des Christentums an. Die Christen – ursprünglich nichts anderes als „reformierte Juden“ – werden zur Säule des Reichs. Im Jahr 391 wird das Christentum zur alleinigen Staatsreligion.

Der Glaube an den einen, allmächtigen Schöpfer ging also vom Nahen Osten aus und begründete – in genau dieser zeitlichen Abfolge – die drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Islam heißt übrigens Ergebung, Unterwerfung – und zwar unter den Willen Allahs, des einzigen, allbarmherzigen Gottes, der sich den Menschen durch seinen Propheten Mohammed mitgeteilt hat.

Wie sich die drei so nah verwandten monotheistischen Religionen unterscheiden, beschreibt folgende Anekdote: In Jerusalem wurde verkündet, dass Gott die Stadt wegen ihrer Sünden mit einer zehn Meter hohen Flutwelle überschwemmen würde. Muslime gingen in ihre Moscheen, um eine rasche Versetzung in das jenseitige Paradies zu erbitten. Christen gingen in ihre Kirchen, um die Fürbitte der Heiligen und der Jungfrau Maria zu erflehen. Die Juden gingen in die Synagoge und sagten zu Jahve: „Herr, Gott, es wird schwierig sein, unter zehn Metern Wasser zu leben!“

Religion ohne Gott

Den drei Religionen, die an den einen Schöpfergott glauben, der sich durch seine Propheten gegenüber den Menschen geoffenbart hat, gelang es, sich weit über ihre Ursprungsregion hinaus auf der ganzen Welt zu verbreiten. NewYork ist zum Beispiel mit über zwei Millionen Juden die zweitgrößte jüdische Stadt der Welt ist (nach Tel Aviv mit 2,5 Millionen Einwohnern).

Die Glaubensrichtungen Asiens jedoch sind weitgehend östlich des Hindukush konzentriert geblieben. Auch sie bekamen im 2. Jahrtausend vor Christus entscheidende Anstöße und wurden ab dann nach und nach Volksreligionen. Der große Indologe Helmuth von Glasenapp nennt sie die „Religionen des ewigen Weltgesetzes“. Taoismus vermischt mit Konfuzianismus, Hinduismus und Buddhismus – entstanden in genau dieser zeitlichen Abfolge – lehren, dass die Welt keinen Anfang und kein Ende habe und sich unaufhörlich durch Werden und Vergehen erneuere. Dieser zyklische Prozess folge einem höchsten Prinzip, dem Weltgesetz. Einen allmächtigen, über allem stehenden Gott kennen diese Religionen nicht.  Geschichtliche Ereignisse haben demnach eine vorübergehende, am Maßstab der Ewigkeit gemessen geringe Bedeutung.

Für die westlichen Religionen ist jedoch jeder historische Vorgang nach Glasenapp „von entscheidender Wichtigkeit nicht nur an sich, sondern auch, weil die Tat jedes Einzelwesens bestimmend ist für das Schicksal, welches ihm in der ganzen auf das Weltende folgenden Ewigkeit bevorsteht“. Glassenapp folgert daraus: „Die grundsätzlich verschiedene Einstellung zum Zeitproblem wirkt sich maßgeblich in den verschiedensten Bereichen des Denkens und Lebens der Gläubigen aus…, so dass der Hindukusch als die große geistige Wasserscheide in der Religionsgeschichte der Menschheit angesehen werden kann.“

 Die Globalisierer

Westlich des Hindukusch hatte sich nach der Zeitenwende eine Revolution angebahnt: Der alte, strafende Gott der Juden und des Alten Testaments wurde zuerst vom Christentum (ab 391 römische Staatsreligion, siehe oben) und dann vom Islam (Mohammeds Berufungserlebnis war 610) durch einen gütigen, liebenden und barmherzigen Gott ersetzt. In weniger als 2000 Jahren hat diese neue Vorstellung von Gott immer mehr Menschen überall auf der Erde angezogen. Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, dass Christentum (mehr als 30 Prozent der Weltbevölkerung, aber verteilt auf alle Kontinente) und Islam (19 Prozent der Weltbevölkerung, den gesamten Nahen und Mittleren Osten sowie Südasien bedeckend) als die einzigen beiden globalen Religionen gelten können.

Die Auferstehung Gottes im Westen

Trotz dieses Siegeszuges des gütigen und barmherzigen Gottes über die Welt verlor ausgerechnet an seinem Ausgangspunkt, in Europa nämlich,  das Christentum nach und nach an Bedeutung. Die Wissenschaft erklärte die Welt. Jetzt wußte der Mensch, warum der Tag endet und die Sonne untergeht. Woher Unwetter, Krankheit, Unfall, Missernte kommen und wie man sich dagegen schützen kann. Wozu brauchte es da noch einen Gott?

Aber die Fragen, die sich die Menschen schon immer gestellt hatten, blieben: Was kommt nach dem Tod? Was war davor? Welchen Sinn hatte mein Leben? Je mehr also die Wissenschaft die Welt erklären konnte, desto dringender suchte der Mensch nach dem Sinn des Ganzen. Der Psychiater und Theologe Manfred Lütz, der mit seinem Buch „Gott. Eine kleine Geschichte des Größten“ für Furore sorgte, bestätigte diesen Trend kürzlich in einem Interview: „Die Sehnsucht der Menschen drängt wieder nach echten Antworten. Und die zentrale Frage ist: Gibt es Gott oder nicht?“

Um die Antwort zu finden, strömen die Menschen heute nicht mehr unbedingt in die Kirchen wie in früheren Jahrhunderten. Eher bemühen sie sich, sich selbst auf den Findungsprozess einzulassen. Und zwar auf ganz individuelle Weise: der eine vielleicht im sozialen Engagement, der andere durch das Studium der Bibel. Oder eben durch eine Pilgerreise.

Womit wir wieder bei Hape Kerkeling wären. Als Resümee seiner Pilgerreise zieht er: „Wenn ich es Revue passieren lasse, hat Gott mich auf dem Weg andauernd in die Luft geworfen und wieder aufgefangen. Wir sind uns jeden Tag begegnet.“

 

Buchtipps: Religionsgeschichte

  • Helmuth von Glasenapp: Die fünf Weltreligionen. München (Hugendubel) 2001.
  • Hermann Sauter (Hrsg.): Wer glaubt, weiß mehr!? Witten (R. Brockhaus) 2008.
  • Monika und Udo Tworuschka: Die Welt der Religionen. Gütersloh/München (Chronik) 2006.
  • Manfred Lütz: Gott. Eine kleine Geschichte des Größten. München (Pattloch) 2007.
  • James Redfield: Gott und die Evolution des Universums. München (Integral) 2002.

 

Büchertipps: Persönliche Erfahrungen

  • Hape Kerkeling: Ich bin dann mal weg. München (Piper) 2006.
  • Mutter Teresa: Komm, sei mein Licht. München (Pattloch) 2007.
  • Veronika Peters: Was in zwei Koffer paßt. Klosterjahre. München (Goldmann) 2007.