Neuschwanstein als Baustelle, Illustration nach einer Zeichnung von Georg Müller-Breslau (1856-1911), in der „Illustrirten Zeitung“ vom 12. September 1885. (Foto: BK/dia)
Königsschlösser

Touristenmagneten von Beginn an

Die Königsschlösser gestern und heute – mit dieser Frage beschäftigt sich zur Zeit eine kleine Ausstellung in der Staatlichen Bibliothek Regensburg. Der Kunsthistoriker und Ludwig-II.-Biograf Marcus Spangenberg hat sie aus seiner Privatsammlung zusammengestellt.

Eines ist sicher: Im Vergleich zu heute ging es vor nicht ganz 130 Jahren recht beschaulich auf den Schlössern Ludwigs II. zu. Dennoch war, als am 1. August 1886 die bayerische Krone die Schlösser des kurz zuvor, am 13. Juni, verstorbenen Ludwig II. der Öffentlichkeit zugänglich machte, bereits damals der Besucherandrang groß. Die Menschen interessierten sich für die Königsschlösser, die allein durch ihre vom introvertierten Ludwig II. verfügte Abgeschieden- und -geschlossenheit seit Beginn ihres Baus 1869 für Aufsehen und Neugier gesorgt hatten.

Bereits 1888 wurden 10.000 Besucher in Linderhof gezählt. 1913 waren es für alle drei Königsschlösser – Linderhof, Neuschwanstein und Herrenchiemsee – schon 92.000 Touristen. Und das bei einer Saison, die erst im Mai begann und bereits im Oktober endete. 1925 zählte man 200.000 Menschen, und 1939 kamen allein ins Schloss Neuschwanstein 290.000 Personen. Und heute? Wie Anfang Februar 2015 Bayerns Finanz- und Heimatminister Markus Söder verkündete, waren es 2014 396.000 Besucher in Herrenchiemsee, 441.000 in Linderhof und – mit erneutem Rekord in Folge – fast 1,6 Millionen Besucher in Neuschwanstein.

Hohenschwangau mit Vorreiterrolle

Zuvor, noch zu Lebzeiten Ludwigs II., war bereits das väterliche Schloss Hohenschwangau ein beliebtes Reiseziel – vor allem für Bildungsbürger, die sich dort die zahlreichen Wandgemälde zur regionalen und allgemeinen Geschichte anschauen wollten. Bauherr König Maximilian von Bayern beförderte die öffentliche Wahrnehmung dieses von vornherein als im besten Sinne des Wortes „belehrendes Haus“ konzipierten Schlosses. Ludwig II. kannte demzufolge den Tourismus von Kindheit an. Auch später als König hielt er daran fest, dass der öffentliche Zugang beibehalten wurde, wenn weder er noch seine Mutter das Schloss bewohnten. Besonders während der Oberammergauer Passionsspiele kam zahlreiches Publikum aus ganz Europa zu der Sehenswürdigkeit nach Hohenschwangau. So blieben auch Ludwigs eigene Bauaktivitäten oberhalb des elterlichen Schlosses der Öffentlichkeit nicht ganz verborgen und sorgten bereits damals für Neugier und Spekulationen.

Mythos Königsschlösser

Und allein die Zahlen belegen: Die Königsschlösser faszinieren und der Mythos lebt – mehr denn je. Nur ein Jahr nach der Öffnung war bereits eine beträchtliche Menge an Reise- beziehungsweise Schlossführern, Post- beziehungsweise Ansichtskarten und Gemälden beziehungsweise Druckgrafiken im Umlauf. Auch Modellbaubögen, kleine Alben und Leporellos kamen bald in Umlauf, gefolgt von Bierkrügen, Tellern aller Art, Vasen und Briefbeschwerern mit den Schlössern als Motiv. Meist handelte es sich dabei um Souvenirs, deren Produktion mit steigenden Besucherzahlen proportional zu wachsen begann. Hatte doch nahezu jeder Besucher von Anfang an das Bedürfnis, ein Erinnerungsstück – und sei es nur ein Foto – vom Schloss-Besuch mitzunehmen.

Dabei wollte, als sich das Königreich Bayern mit Prinzregent Luitpold an der Spitze, für die Öffnung der Schlösser entschied, es die Öffentlichkeit mit dem Zugang zu den Objekten eher von der Richtigkeit des eigenen Handelns überzeugen, das in der vom Staat und der Familie betriebenen Entmündigung Ludwigs II. wegen vermeintlicher „Geistesgestörtheit“ gipfelte. So manche Verfasser der ersten Publikationen über die als die „Königsschlösser“ bezeichneten Objekte Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee schlossen sich dieser Interpretation an, bewunderten jedoch zugleich die Qualität des Kunsthandwerks und deren positive Folgen für München als eines der wichtigsten deutschsprachigen Zentren für angewandte Kunst. Und der Durchschnittsbesucher war ohnehin begeistert von der „Märchenwelt“ und deren Pracht. Der Mythos Ludwigs II. als „Märchenkönig“ und seiner Bauwerke als „Märchenschlösser“ war nicht mehr aufzuhalten.

Entdeckung des Mythos für die Werbung

Von da an war es nicht mehr weit, dass die Werbung den Mythos für sich entdeckte. So zierten bereits früh Abbildungen der Schlösser Verpackungen von Produkten oder versprachen Slogans Märchenhaftes im Sinne der Märchenkulisse. Natürlich machte auch Bayern selbst nach und nach Werbung für seine Schlösser – auch im Ausland, wie beispielsweise mit einer Ansichtskarte von Neuschwanstein, vertrieben auf der Weltausstellung in St. Louis in den USA 1904. Trotzdem wurde der sich um die Schlossbauten entwickelnde und entwickelte Markt von der Administration und der Familie Wittelsbach in der Anfangszeit deutlich weniger genutzt, als es von beiden Seiten nun im 21. Jahrhundert geschieht. Erst seit dem Ende der Monarchie ergänzen „Amtliche Führer“ den bereits damals schier unübersichtlich gewordenen Markt an Publikationen.

Mit der ersten republikanischen Regierung unter Kurt Eisner hatte überhaupt ein neues und bis heute anhaltendes Kapitel in der Geschichte der Schlösser begonnen: Es ist bestimmt von einer starken Musealisierung, einer kunsthistorischen Einordnung und strukturierten Vermarktung des übernommenen Erbes. Adolf Hitler hatte dann ein eher ambivalentes Verhältnis zu den Schlössern und deren Schöpfer: Als starker Individualist mit homoerotischem Odium passte dieser so gar nicht in die Ideologie der Nationalsozialisten. Die Königsschlösser blieben aber glücklicherweise während des Zweiten Weltkriegs von Kampfhandlungen und Bombenhagel unberührt; und bereits 1946 waren sie wieder für das Publikum zugänglich.

Bald UNESCO-Welterbe?

Aktuell steht die Bestrebung des Freistaats Bayern, die Schlösser zum UNESCO-Welterbe erklären zu lassen, im Raum. Passend zum 170. Geburtsjahr Ludwigs II. und zum bevorstehenden 130-jährigen Jubiläum der Öffnung der Schlösser war auch dies ein Beweggrund der Ausstellungsmacher, die Schau zu zeigen. Diese stößt auch bei den Wittelsbachern auf Gegenliebe: So konnten bei der Eröffnung der Leiter der Staatlichen Bibliothek Regensburg, Bernhard Lübbers, und Kurator und Kunsthistoriker Marcus Spangenberg Luitpold Prinz von Bayern als Überraschungsgast begrüßen. Die rund 220 Objekte der Ausstellung dürften auch ihm nicht alle bekannt gewesen sein und liefern vor allem einmal ein anderes Bild der Schlösser: nämlich jenes – ausgehend von den eigentlichen Absichten des Bauherrn – der historischen Entwicklung der Bauten zu Touristenmagneten und der Folgen bis hin in die Werbung – insgesamt also eine Zeitreise durch die Rezeption der Bauwerke und ihre ungebrochene touristische Anziehungskraft von 1836 bis 2015.

Ausstellung „Traumschlösser? Die Bauten Ludwigs II. als Tourismus- und Werbeobjekte“:

Die Ausstellung ist noch bis 19. September (ursprünglich bis 31. August) in der Staatlichen Bibliothek Regensburg zu sehen. Geöffnet ist bis einschließlich 28. August wegen der Urlaubszeit von Montag bis Donnerstag von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr und am Freitag von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr und ab 31. August wieder zu den regulären Öffnungszeiten von Montag bis Freitag von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr und am Samstag von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Der Eintritt ist frei; das zur Ausstellung im Regensburger Verlag Peter Morsbach erschienene Begleitbuch mit umfangreichem, kommentiertem Katalogteil ist in der Bibliothek zum Preis von 19,95 Euro erhältlich.

Weitere Informationen unter: www.staatliche-bibliothek-regensburg.de.