Mit einer eigenen Ausstellung bis 9. Oktober nimmt sich das Haus des Deutschen Ostens anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs dem Thema der daraufhin erfolgten Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa an. (Foto: HDO)
Ausstellung

Mitgenommen im doppelten Wortsinn

Wer meint, dass mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 bei allen Deutschen Ruhe eingekehrt wäre, der irrt: Für einige von ihnen begann ein neues leidvolles, schicksalhaftes Kapitel: die Flucht und Vertreibung aus Osteuropa. Das Haus des Ostens in München zeigt dies mit einer Sonderausstellung nun plastisch anhand von Fluchtgegenständen.

Auch wenn am 8. Mai vor 70 Jahren mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches der Zweite Weltkrieg und damit auch der systematisch betriebene Holocaust endeten, so kann das Jahr 1945 heute nicht mehr als „Stunde Null“ betrachtet werden. Ursächlich für diese Einschätzung von Historikern sind vor allem die großen Bevölkerungsverschiebungen infolge und zum Teil auch schon während des Krieges. Der „Verschiebebahnhof Europa“, wie es die Wissenschaftler formulieren, blieb auch nach dem Krieg in Bewegung. Dies betraf vor allem die Deutschen aus dem östlichen Europa, die zunächst kriegsbedingt vor der Roten Armee flohen und später grenzbedingt von den neuen Nationalregierungen vertrieben wurden.

Mitgenommene Gegenstände als Erinnerungsgegenstände

Wer könnte das alles besser wissen als das Haus des Deutschen Ostens in München. Anlässlich des „großen Gedenkjahrs zum Ende des Zweiten Weltkriegs“, das gleichzeitig den Beginn von Flucht, Vertreibung und Deportation der Deutschen aus dem östlichen Europa markiere, wie es Direktor Prof. Andreas Otto Weber erklärt, haben daher er, seine Stellvertreterin Brigitte Steinert und seine Mitarbeiterin Patricia Erkenberg eine Ausstellung zu diesem Thema konzipiert. Übrigens „die erste Ausstellung, die das Haus komplett selbstständig erarbeitet hat“, wie Weber stolz betont. Die Ausstellungen davor seien jeweils extern organisiert worden. Insofern sei diese Ausstellung nun für das Haus „ein Novum“, so Weber, der gleichzeitig an der Universität Erlangen-Nürnberg Mittelalterliche und Neuere Landesgeschichte lehrt.

„Mitgenommen – Heimat in Dingen“ lautet der Titel der Ausstellung, die auch konzeptionell neue, derzeit im Trend liegende Wege geht. Sie besteht in ihrem Kern aus persönlich-individuellen Gegenständen, die die Menschen bei ihrer Flucht mitgenommen haben. Die Exponate stammten somit alle aus Familienbesitz und nicht aus einer musealen Sammlung, erläutert Weber und erklärt weiter: „Wir haben beschlossen, das Ganze auf einer sehr persönlichen Ebene darzustellen.“

Persönliche Dinge, persönliche Schicksale

Persönlich ist die Ausstellung schon allein wegen der Geschichten, die die meisten Leihgeber zu ihren Leihgaben mitgeliefert haben. So nahm die Mutter von Brigitte Lachmann die als Taufgeschenk erhaltene Namenstasse ihrer Tochter mit, was sich im Laufe der Flucht noch als äußerst nützlich erweisen sollte. Denn: „In der Emailtasse hat meine Mutter auf der Flucht über offenem Feuer Rührei zubereitet, das Ei bekamen wir geschenkt“, erinnert sich Brigitte Lachmann. Hertha Simon entschied sich dagegen für die Mitnahme eines Füllers, um ihre Fluchterlebnisse aufschreiben zu können. Und für die Eltern und Großeltern von Joachim Wodok standen die Haustürschlüssel symbolisch für die Hoffnung, eines Tages wieder in ihr Heim zurückkehren zu können. Aber auch weniger typische, weil sperrige Fluchtgegenstände wie eine Fußorgel oder eine Karlsbader Uhr wurden wegen ihrer großen emotionalen Bedeutung mitgenommen.

„Die Dimension von Flucht und Vertreibung ist immer auch eine persönliche“, weiß Weber. Deshalb ziele die Ausstellung – wie auch ihr Titel – auf Doppeldeutigkeit ab: So zeige die Ausstellung nicht nur, was die Menschen bei ihrer Flucht mitgenommen hätten und ihnen somit als Einziges von ihrer alten Heimat geblieben sei, sondern auch, dass die Menschen durch ihr Fluchtschicksal selbst Mitgenommene seien. Flucht und Vertreibung hätten bis in die Enkelgeneration Spuren hinterlassen, betont der Direktor der Einrichtung des Freistaats.

Große Resonanz und Auskunftsfreude bei den Betroffenen

Dass das Thema bei den Betroffenen immer noch präsent ist, zeigt sich auch an der Vielzahl der Exponate, die das Haus nach einem schriftlichen Aufruf an ihre Gäste erhalten hat: „Der Brief war keine Woche draußen, da kam eine Flut auf uns zu. Die Betroffenheit ist auch heute noch da“, berichtet Webers Stellvertreterin Steinert, die gleichzeitig bedauert: „Da mussten wir notgedrungen sogar ein bisschen auswählen.“ Gut das Doppelte an Exponaten hätte man aufstellen können, ergänzt ihr Chef. Mit der getroffenen Auswahl seien aber nun die verschiedensten Regionen und Schicksale exemplarisch in den Blick genommen und damit ein Querschnitt des Exodus der Deutschen aus Osteuropa geleistet. Auch das Thema des Spätaussiedelns wollten die Ausstellungsmacher nicht aussparen. Und der Exodus von Osteuropäern deutscher Sprache sei im Grunde auch heute noch nicht zu Ende, bilanziert Weber. Und auch die derzeitigen großen Flüchtlingsströme aus den afrikanischen Ländern, so Weber, ließen das Thema „Flucht und Vertreibung“ gerade wieder aktueller denn je werden.

Ausstellung im Haus des Deutschen Ostens:

Die Ausstellung „Mitgenommen – Heimat in Dingen“ ist von 12. Juni bis 9. Oktober 2015 im Haus des Deutschen Ostens zu sehen. Geöffnet ist Mo-Do 10-20 Uhr, Freitag und in den Ferien 10-15 Uhr. Der Eintritt ist frei. Zu der Ausstellung gibt es einen Begleitkatalog sowie zahlreiche -veranstaltungen. Weitere Informationen unter: www.hdo.bayern.de.

Schirmherrin der Ausstellung ist die Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, Emilia Müller. Ihrem Ministerium untersteht das Haus, das sich sowohl als kulturvermittelnde Behörde als auch als Begegnungsort für alle deutschen Heimatvertriebenen – mit Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit der Geschichte und Kultur der früheren deutschen Staats- und Siedlungsgebiete im Osten und Südosten Europas – versteht.

Seine Arbeit aufgenommen hat das Haus 1970 infolge eines 1964 gefassten Beschlusses des 6. Bayerischen Landtags. Die treibende Kraft hinter dem Antrag waren der FDP-Abgeordnete Thomas Dehler und seine Fraktion. Der Bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU) sagte bei der Eröffnung: „Das Haus des Deutschen Ostens ist ein Geschenk des Bayerischen Staates an die vertriebenen Mitbürger.“