Die Religion oder Nationalität von Straftätern dürfen Journalisten in ihren Berichten nur nennen, wenn es einen "begründeten Sachbezug" zur Tat gibt. (Bild: Anja Schuchardt)
Pressekodex

Maulkorb für Redaktionen?

Ist es für das Textverständnis relevant zu erfahren, welche Nationalität jemand hat? Nach den Vorfällen in der Silvesternacht von Köln und die folgende Berichterstattung setzte der Presserat das Thema auf seine Agenda. Medienvertreter streiten jetzt über die Entscheidung, dass der sogenannte Diskriminierungsschutz im Pressekodex bestehen bleibt.

Die Religion oder Nationalität von Straftätern sollen Journalisten in ihren Berichten nur nennen, wenn es einen „begründeten Sachbezug“ zur Tat gibt. Das hat der Deutsche Presserat mehrheitlich bestätigt. Die entsprechende Richtlinie 12.1 im Pressekodex soll nicht geändert und damit die Diskriminierung von Minderheiten verhindert werden. „Die Richtlinie bleibt, wie sie ist“, sagte Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats.

„Es gab eine ganz breite Mehrheit dafür. Sie ist kein Sprachverbot und kein Maulkorb für Redaktionen. Sie sind autonom in ihrer Arbeit und sollen es auch bleiben.“ Im Vorfeld der Sitzung hatte er sich noch dafür ausgesprochen, die Nennung von Nationalitäten bei Straftätern prinzipiell zu erlauben: „Es ist ein Bedürfnis der Gesellschaft zu erfahren, ob es vielleicht Auffälligkeiten bei einzelnen Tätergruppen gibt“, zitiert ihn die Badische Zeitung.

Kein Verbot, nur Handlungsempfehlung

Manfred Protze, der neue Sprecher des Presserats, macht aber deutlich, dass der Presserat „nicht der Vormund von Journalisten und Medien“ sei. Der Kodex soll Handlungsorientierungen geben und die Eigenständigkeit der Entscheidung von Redaktionen damit nicht tangieren. Es ist also nicht verboten, die Herkunft von Straftätern oder Tatverdächtigen zu nennen.

Es gibt lediglich das Gebot, diese Herkunftsinformation zu unterlassen, wenn die Diskriminierungsgefahr höher zu veranschlagen ist als die Information zum Verständnis des berichteten Vorgangs beiträgt.

Manfred Protze, Sprecher des Presserats

Chefredakteure kritisieren Entscheidung

Dennoch: von Medienseite hagelt es Kritik. Darunter sind nicht nur Redakteure auflagenstarker Boulevard-Zeitungen wie Bild-Chefin Tanit Koch. Gegenüber der Tagesschau sagte sie: „Wir halten das für falsch, weil die Menschen merken, wenn ihnen etwas verschwiegen wird, und sie dann mit Misstrauen reagieren. Und dieses Misstrauen ist brandgefährlich.“

Die Rhein-Zeitung aus Koblenz kündigte an, sich künftig nicht mehr daran gebunden zu fühlen. Chefredakteur Christian Lindner kündigte eigene Empfehlungen für seine Redaktion an, „die hilfreicher sein werden als die aus der Zeit gefallene Richtlinie 12.1“. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, begrüßte die Position des Presserates, betonte aber: „Das Thema darf nun aber nicht zu den Akten gelegt werden, wir müssen uns damit beschäftigen, wie die Richtlinie im Alltag gelebt wird.“

So erwägt die Sächsische Zeitung, die Herkunft von Straftätern in der Berichterstattung künftig generell anzugeben. Chefredakteur Uwe Vetterick, der an der Sitzung des Presserats teilgenommen hatte, schlug dabei vor, künftig konsequent die Nationalität zu nennen, egal ob es sich dabei um Deutsche handele oder um Ausländer. Vetterick begründete das mit den Ergebnissen einer repräsentativen Befragung der Sächsischen Zeitung: Sie habe gezeigt, dass viele Leser davon ausgingen, die Täter seien Asylbewerber, wenn in der Berichterstattung keine Nationalität genannt werde.

Eigenverantwortung der Redakteure gefragt

Tillmanns möchte jetzt einen Leitfaden mit Kriterien für Entscheidungen im Redaktionsalltag entwickeln. Trotzdem geht er nicht davon aus, dass die Diskussion darüber nun zu Ende ist. Das sieht Volker Lilienthal, Professor für Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg, ähnlich: Auch wenn es künftig eine Beispielsammlung als Hilfestellung für Redaktionen gebe, müssten Redakteure immer neu entscheiden. „Jeden Streit wird man damit also nicht beenden. Dieses Problem wird uns die ganzen nächsten Jahre begleiten, aber das müssen Journalisten auch aushalten.“

Angestoßen wurde die aktuelle Debatte von der problematischen Berichterstattung über die Silvesternacht in Köln. Damals sprach die Polizei erst von „weitgehend friedlichen Feiern“. Später war die Rede von Straftätern, die „dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum“ stammten. Dann wurden daraus viele Algerier, Marokkaner, Iraner und Syrer. Diese anfänglichen Ungenauigkeiten sorgten für Vorwürfe, dass die Presse nur unwillig und nur mit unangebrachter Zurückhaltung berichten würde.

(dpa/AS)