Der Kampf gegen Doping geht weiter. (Bild: BMG)
Doping

Der Kampf gegen die Monster

Diese Art von Protest ist in der Form und Schärfe neu in der Sportwelt: Mit einem YouTube-Video haben Diskus-Olympiasieger Robert Harting und andere Leichtathleten den Weltverband IAAF attackiert. Wenig verwunderlich: Es geht um das Thema Doping – und den Umgang des Weltverbands mit den jüngsten Doping-Enthüllungen in ihrem Sport.

Diskus-Olympiasieger Robert Harting und weitere deutsche Spitzen-Leichtathleten haben den Leichtathletik-Weltverband IAAF auf sehr scharfe und vor allem ungewöhnliche Weise attackiert. Harting und seine Mitstreiter drehten ein YouTube-Video mit Aussagen wie „Wir können euch nicht mehr trauen“ oder „Ihr zerstört unseren Sport“. Sie protestieren damit gegen den Umgang der IAAF mit den jüngsten Doping-Enthüllungen in ihrem Sport.

In dem komplett in englischer Sprache gehaltenen Video hält 800-Meter-Läufer Robin Schembera ein Schild hoch, auf dem steht: „Ich möchte gegen saubere Athleten laufen – nicht gegen Monster.“ Die Botschaft von Hammerwerferin Kathrin Klaas lautet: „Euch ist das Geld wichtiger als die Athleten.“ Diskuswerferin und Harting-Freundin Julia Fischer meint: „Ihr habt meinen Kindheitstraum zerstört.“ Harting selbst erklärt in einer Anmoderation: „Wir müssen jetzt handeln.“

Neue Enthüllungen erschüttern die Leichtathletik

Die Leichtathletik wird seit mehreren Tagen von neuen Doping-Enthüllungen der ARD und der britischen Zeitung Sunday Times erschüttert. Die Journalisten hatten eine Datenbank der IAAF mit insgesamt 12.000 Bluttests von rund 5000 Läufern untersuchen lassen. 800 von ihnen sollen eindeutig dopingverdächtige Werte aufgewiesen haben, darunter nach Informationen des Anti-Doping-Experten Fritz Sörgel auch deutsche Athleten. Bei 146 dieser Athleten soll es sich um Medaillengewinner bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen handeln, die von 2001 bis 2012 in den Ausdauer-Disziplinen gestartet sind – 55 davon mit Gold ausgezeichnet. Hinzu kommt der Vorwurf, dass die IAAF diese Werte in den meisten Fällen geheim gehalten und nicht weiter verfolgt hat. Nur gegen ein Drittel dieser Athleten läuft ein Verfahren oder sie sind bereits gesperrt. Die Dokumentation weist außerdem auf systematische Manipulationen in Kenia und erneut in Russland hin, belegt durch zahlreiche Aussagen von Athleten, Betreuern oder Ärzten und durch versteckte Kameraaufnahmen.

Es ist einfach grotesk, wie hoch einige dieser Werte waren. Es waren die schlimmsten, die ich jemals gesehen habe.

Michael Ashenden, Anti-Doping-Experte

Namen wurden in der Dokumentation „Geheimsache Doping: Im Schattenreich der Leichtathletik“ nicht genannt. Aber die Erkenntnisse waren für die Sportwelt erschütternd genug. Außerdem zeigen die Recherchen, wie leicht der von der IAAF zum Hauptinstrument ihres Anti-Doping-Kampfes erklärte biologische Blutpass von den Athleten unterlaufen werden kann. Die beiden maßgeblichen Wissenschaftler aus dem Bericht haben ihre Arbeit gegen Vorwürfe der IAAF verteidigt. „Wir stehen zu unseren Untersuchungen, die wir der ARD und der Sunday Times vorgelegt haben“, erklärten die Anti-Doping-Experten Michael Ashenden and Robin Parisotto in einer Stellungnahme. „Die Datenbank ist verlässlich. Die IAAF selbst hat auf ihrer Grundlage schon Athleten sanktioniert.“  Parisotto sagte in der Dokumentation: „Ich habe niemals so alarmierende, unnormale Blutwerte gesehen.“ Die Australier Ashenden und Parisotto, zwei Experten auf dem Feld des Blutdopings, hatten die Datenbank  unabhängig voneinander analysiert. Weitere Ergebnisse: 20 Athleten wiesen derart extreme Blutwerte auf, dass sie nah am Herzinfarkt waren. Mit Abstand die meisten Verdachtsfälle gab es bei russischen Athleten, bei den Disziplinen waren es die Mittelstrecken (1500 vor 800 und 5000 Meter) sowie die Geher-Disziplinen. „Es ist einfach grotesk, wie hoch einige dieser Werte waren. Es waren die schlimmsten, die ich jemals gesehen habe“, erklärte Ashenden.

Forderung nach Ehrlichkeit und Transparenz

Harting und seine Mitstreiter sind ebenfalls der Meinung, dass die IAAF den Doping-Missbrauch nicht entschieden bekämpft, sondern eher vertuscht und geschehen lässt. Am Ende des Videos fordern sie den Verband zu Ehrlichkeit, Integrität und Transparenz auf.

Kein Wunder: Die IAAF war bereits im Dezember 2014 durch eine ARD-Dokumentation über angeblich flächendeckendes Doping und ein korruptes Sportsystem in Russland mit in die Kritik geraten. Im Zuge dieser Affäre hatte Russlands Verbandspräsident Walentin Balachnitschew nicht nur sein Amt aufgegeben, sondern war auch als IAAF-Schatzmeister zurückgetreten.

Verbandssprecher: „Wir kämpfen mit Leidenschaft gegen Doping“

Der Verband wiegelt wie schon in den letzten Tagen ab. Die IAAF hatte die Doping-Enthüllungen in ihrer ersten offiziellen Stellungnahme als „sensationslüstern und konfus“ zurückgewiesen. „Ich glaube, es besteht die Absicht, diese hundert Medaillen neu zu verteilen“, äußerte gar Leichtathletik-Weltpräsident Lamine Diack eine abstruse Verschwörungstheorie. Er betonte, sein Verband sei ein Vorreiter im Anti-Doping-Kampf und habe als einziger schon 1993 eine vierjährige Sperre für Doping-Vergehen gefordert. Nur: Wenn niemand bestraft wird, wie die Dokumentation nahelegt, sind diese Forderungen scheinheilig. Auf die konkreten Vorwürfe der ARD und der Sunday Times geht die IAAF dagegen kaum ein. IAAF-Sprecher Chris Turner betonte in einer ersten Reaktion, der Weltverband begrüße zwar die Leidenschaft und die Hingabe „aller sauberen Athleten“ für einen dopingfreien Sport.

Großartig zu sehen, wie andere Athleten für uns aufstehen. Gut gemacht, Rob. Ich bin stolz auf euch.

Greg Rutherford, britischer Weitsprung-Olympiasieger

In diesem Fall würde der große Frust von Harting und seinen Mitstreitern aber auf einem „haltlosen Fernsehbericht“ beruhen. Turner lud Harting und seine Mitstreiter in die IAAF-Zentrale ein. Dort könne sich der Olympiasieger selbst ein Bild machen, mit „welcher Leidenschaft“ der Verband gegen Doping kämpfe.

Von anderen Athleten erhielt die Video-Aktion dagegen breite Zustimmung. Der britische Weitsprung-Olympiasieger Greg Rutherford etwa twitterte: „Großartig zu sehen, wie andere Athleten für uns aufstehen. Gut gemacht, Rob. Ich bin stolz auf euch.“ Auch der deutsche 100-Meter-Rekordhalter Julian Reus forderte die IAAF via Twitter dazu auf, „über die Konsequenzen ihres Handelns für den Sport nachzudenken, den wir alle lieben“.

Vertrauenskrise wie im Radsport?

Und Harting legte den Finger in einer Pressekonferenz am Dienstag weiter in die Wunde: „Es gibt eine riesige Lücke zwischen den Funktionären und den schweißtreibenden Athleten. Was mich furchtbar erschüttert hat, ist, wie auch unser DLV-Präsident Clemens Prokop in der Doping-Debatte rhetorisch untergegangen ist.“ Dieser hatte nach den Enthüllungen etwas hilflos erklärt: „Die Vorwürfe im Film sind natürlich frustrierend, aber andererseits ist ein Dopingverdacht – wie im Film selbst betont wird – noch nicht ein Nachweis des Dopings.“ Es gelte nun, die Vorwürfe und Verdachtsmomente aufzuklären und für die Zukunft Strukturen aufzubauen, um die Effizienz der Dopingbekämpfung noch zu verbessern.

Es darf nicht das passieren, was mit dem Radsport passiert ist. Es muss das Ziel sein, das Vertrauen in unseren Sport zurückzugewinnen.

Robert Harting

Harting fuhr fort: „Vielleicht liegt es an seiner Kandidatur für das IAAF-Council. Aber ein Präsident muss für seine Sportler da sein. Ich habe heute eine Aussage von ihm gehört, da zeigt sich immer wieder, dass das alles Taktik ist. Er hätte ja auch mal Kritik an der IAAF üben können. Wenn es die Länder beziehungsweise die Verbände nicht tun, wer soll es denn sonst machen? Wir Athleten sind die Existenzberechtigung der Funktionäre. Es darf nicht das passieren, was mit dem Radsport passiert ist. Es muss das Ziel sein, das Vertrauen in unseren Sport zurückzugewinnen.“ Der Diskus-Olympiasieger hatte in der Doping-Debatte auch zuvor schon mehrfach gegen die IAAF Stellung bezogen. So ließ er sich 2014 von der Kandidatenliste zum „Leichtathleten des Jahres“ streichen, weil er dort nicht neben einem ehemaligen Doping-Sünder wie Justin Gatlin geführt werden wollte. Danach änderte der Verband die Kriterien, nach der nun Doping-Sünder nicht mehr nominiert werden dürfen.

Gut zwei Wochen vor der WM in Peking steht die Leichtathletik inmitten einer großen Glaubwürdigkeitskrise.

dos//dpa