Wiese mit Bambi vor der Rettung. (Foto: Florian Christner)
Landwirtschaft

Rettet Bambi

In Nordbayern werden Drohnen getestet, um Rehkitze vor der Mahd aus den Wiesen zu retten. Das geht schneller und ist sicherer. Denn ihre Körperwärme verrät die Tiere.

Mit ihren schwarzen Insektenfüßen und der weißen Haube erinnert sie an ein Raumschiff aus „Krieg der Sterne“, dem jederzeit ein kleiner Jedi-Ritter entsteigen könnte. Jörg Bumba muss lachen. „Wir fliegen in friedlicher Mission“, beteuert der Pilot, während er auf einem Feldweg bei Treuchtlingen seine Drohne aufsteigen lässt. Die Morgenröte taucht den angehenden Tag in ein diffuses Licht, das Gras ist noch nass vom Tau der Nacht. Schnell wird das Fluggerät kleiner, bis es über den Wiesen kaum noch auszumachen ist. Nur das Surren der Propeller bleibt die ganze Zeit im Ohr.

Ein weißer Punkt

Bumba ist an diesem frühen Morgen Mitte Mai nicht alleine. Gespannt schauen ihm Simon Burkhard, Geschäftsführer der Qualitätstrocknung Nordbayern eG (QTN), QTN-Vorstand Gerhard Rupp sowie Jagdpächter Uwe Kraft über die Schulter. Sie alle hoffen darauf, auf dem Display der Fernsteuerung einen weißen Punkt zu entdecken, während Bumba seine Drohne in 50 Metern Höhe über die Wiesen fliegen lässt. Denn ein weißer Punkt bedeutet: Im Gras liegt ein Rehkitz.

Jeder Landwirt kennt das Problem. Zwischen Mitte Mai und Mitte Juni bringen die Rehe ihren Nachwuchs zur Welt – Setzzeit sagen die Jäger dazu. Die Geißen setzen ihre Kitze bevorzugt ins hohe Gras. Dort sind sie gut getarnt. Während die Mutter bei Gefahr flieht, ducken sich die Jungen ins Grün, um nicht gesehen zu werden. Weil neugeborene Kitze keinen Eigengeruch haben, werden sie von Fressfeinden wie dem Fuchs nicht entdeckt. Eine perfekte Überlebensstrategie – wäre da nicht der Mensch.

Niemand möchte, dass ein Kitz ins Mähwerk gerät. Das ist ein schwer zu ertragender Anblick.

Gerhard Rupp

Denn in die Setzzeit der Rehe fällt auch die erste Mahd der Wiesen. Wenn der Traktor mit seinem Mähwerk näher kommt, folgt das Kitz seinem angeborenen Instinkt und bleibt still liegen. Das ist ein großes Problem für die Landwirte. „Niemand möchte, dass ein Kitz ins Mähwerk gerät. Es ist ein schwer zu ertragender Anblick, der einem jedes Mal an die Nieren geht. Also unternehmen wir alles Menschenmögliche, um die Tiere zu retten“, sagt Gerhard Rupp. Der QTN-Vorstand ist selbst Landwirt. Bisher telefonierte er am Tag vor der Mahd Nachbarn und Freunde zusammen. Dann bildeten sie eine Menschenkette und liefen über die Wiesen in der Hoffnung, möglichst viele Kitze zu entdecken.

Ein schwieriges und zeitraubendes Unterfangen. „Wenn sich die Tiere im hohen Gras unter ein paar Blättern verstecken, dann sind sie beinahe unsichtbar, selbst wenn man unmittelbar daneben steht“, sagt Rupp.

Es ist jedoch nicht nur Tierliebe, warum die Landwirte bei der Kitzsuche so einen großen Aufwand betreiben. Das Tierschutzgesetz verpflichtet sie wie alle anderen Bürger auch, das Wohl der Tiere zu achten und ihnen kein unnötiges Leid zuzufügen. Abgesehen davon wäre das gesamte Futtergras verdorben, wenn Tierkadaver in die Ernte geraten. Dann droht zum Beispiel Botulismus – eine Krankheit, an der Rinder in kurzer Zeit verenden, ohne dass Hilfe möglich ist. Im schlimmsten Fall steht der betroffene Bauer vor den Ruinen seiner Existenz.

Mit Technik zur Rettung

Inzwischen gibt es viele Techniken, um die Rehe vor dem Mähwerk zu retten. Manche Bauern bedienen sich einfacher Hilfsmittel wie Flatterbänder oder Kofferradios, um die Rehe mit Lärm aus ihren Wiesen und Feldern zu vertreiben. Andere setzen auf Hightech und installieren akustische Warnsirenen an ihren Traktoren oder stellen Stangen mit speziellen Duftschäumen auf. Allein: „Diese Techniken funktionieren im Allgemeinen ganz gut, aber leider nicht für die ganz kleinen Kitze, weil sie noch keinen Fluchtreflex haben“, sagt Rupp.

Doch es gibt etwas, was alle Säugetiere verrät, selbst wenn sie noch so gut versteckt sind: ihre Körperwärme. Deshalb trägt die Drohne von Jörg Bumba auch eine sehr wertvolle Nutzlast. Eine Wärmebildkamera, gerade einmal so groß wie eine Zigarettenschachtel, aber so teuer, dass die meisten Händler den Preis nur auf Anfrage herausgeben. Insgesamt hat Bumba für die komplette Ausrüstung einen fünfstelligen Betrag ausgegeben. Die Kamera nimmt kein Licht, sondern Wärmestrahlen auf. Je wärmer ein Objekt ist, desto heller wird es auf Bumbas Display wiedergegeben.

Suche per Drohne

Und so ein heller Fleck auf einer Wiese kann eben auch ein Rehkitz sein. Deswegen haben Simon Burkhard und Gerhard Rupp den Drohnenpiloten engagiert. Sie wollen testen, wie gut die Rehkitzsuche per Drohne funktioniert, um sie im Erfolgsfall auch den Mitgliedern der QTN als Lohnleistung anzubieten. Weil die Wiesen von Gerhard Rupp zur Mahd anstehen, lag es nahe, dort den Versuch mit der Drohne zu starten.

Konzentriert beobachtet Bumba das Display. „Wie weit geht die Wiese?“, fragt er Rupp. „Bis zum Graben dahinten“, antwortet dieser. Routiniert fliegt der Drohnenpilot Bahn für Bahn die Wiese ab. In 50 Meter Höhe ist die Kamera in der Lage, einen 30 Meter breiten Streifen zu erfassen. Nach wenigen Minuten ist die Fläche abgeflogen. „Nein, da ist nichts. Alles sauber. Auf zur nächsten Wiese“, sagt Bumba und packt die Drohne in den Kofferraum seines Autos.

Wenige Hundert Meter weiter steigen alle wieder aus ihren Fahrzeugen. Bumba wechselt den Akku der Drohne, und weiter geht‘s. Er bittet die QTN-Marketingleiterin Sonja Gutmann, als Referenz eine Wärmflasche aus seinem Auto zu holen und irgendwo in die Wiese zu legen. Sofort erscheint auf dem Display ein heller Fleck. Nicht zu übersehen. Als Gutmann wieder zurück ist, nimmt ihr Jagdpächter Uwe Kraft die Wärmflasche aus der Hand. „Maximal handwarm, da strahlt der Körper eines Rehkitzes mehr Wärme ab“, staunt er.

Rehkitz gefunden

Auch in dieser Wiese findet sich kein Rehkitz, die Karawane zieht weiter. „Vielleicht ist es noch etwas zu früh für Kitze, in zwei Wochen kann das schon ganz anders aussehen“, sagt Kraft. Doch bei der vorletzten Fläche hält Bumba inne. „Da ist was. Da hinten am Graben“, sagt er und steuert seine Drohne über die Stelle. Doch bevor Gerhard Rupp loslaufen kann, muss Bumba abbrechen. „Die Zeit war zu knapp. Ich muss erst noch den Akku wechseln. Nach spätestens 20 Minuten macht die Drohne schlapp.“

Bumba wechselt noch einmal zu einer strategisch günstigeren Startposition, dann lässt er seine Drohne wieder in die Höhe steigen. „Wo muss ich hin?“, fragt Rupp per Walkie-Talkie, der inzwischen rund 100 Meter durch das hohe Gras in die von Bumba angegebene Richtung gestapft ist. Weil die Verbindung zwischen den Funkgeräten nicht klappt, steuert der Drohnenpilot seinen Quadrocopter bis auf wenige Meter über die Stelle, wo er auf dem Display den hellen Fleck sieht.

Und da ist es. Klein, braun, mit weißen Punkten, schwarzen Kulleraugen und großen Ohren. Das Rehkitz duckt sich ganz ruhig ins Gras. Es zittert ganz leicht, ansonsten rührt es sich nicht von der Stelle. Gerhard Rupp zieht Handschuhe an, damit das Kitz keinen Menschengeruch annimmt und später wieder von seiner Mutter akzeptiert wird. „Jetzt komm, Kamerad“, sagt er und hebt das junge Tier vorsichtig aus dem Gras. Erst jetzt ist zu sehen, wie zierlich das Kitz im Vergleich zu den dicken Lederhandschuhen des Landwirts ist. Als Rupp es aus der Gefahrenzone in den angrenzenden Schilfgürtel tragen will, zappelt und fiept das Kitz plötzlich nach Kräften. Doch als er es absetzt, duckt es sich sofort wieder ins Gras und ist nicht mehr zu sehen – als wäre es nie dagewesen.

Tiere mit 99-prozentiger Sicherheit erkennen

Rupp ist die Erleichterung anzusehen. Zwei Stunden lang haben sie die Wiesen abgesucht, jetzt ist es fast sieben Uhr morgens. Recht viel länger hätte die Drohnensuche an diesem Tag keinen Sinn ergeben. „Wenn die Sonne stärker wird und sich der Boden erwärmt, dann erkennt die Kamera die Wärmeunterschiede zwischen den Tieren und ihrer Umgebung nicht mehr. Deshalb ist es nur am frühen Morgen bei kühler Witterung möglich, mit Drohnen nach Rehkitzen zu suchen“, sagt der Pilot und ergänzt: „Aber in dieser Zeit kann ich Tiere mit 99-prozentiger Sicherheit erkennen.“

Wir sind überzeugt von der Technik. Die Drohne ist einfach unschlagbar.

Simon Burkhard

15 Hektar Wiesen hat Jörg Bumba am Ende mit seiner Drohne abgesucht. „Ich bin überrascht, wie gut das funktioniert. Wenn wir das mit einer Menschenkette gemacht hätten, wären wir mindestens einen ganzen Tag lang unterwegs gewesen. Wenn dann zwei oder drei Landwirte gleichzeitig mähen wollen, dann ist dieser Aufwand gar nicht mehr zu leisten“, sagt Gerhard Rupp. Er wird Jörg Bumba mit ziemlicher Sicherheit auch im nächsten Jahr buchen.

QTN-Geschäftsführer Simon Burkhard wertet den Test ebenfalls als vollen Erfolg. „Wir sind überzeugt von der Technik, die Drohne ist einfach unschlagbar. Sie ist deutlich kosteneffizienter als alle anderen Alternativen, die zudem keine 100-prozentige Sicherheit bieten, dass die Kitze auch gefunden werden.“ Darum möchte die QTN bei jenen Mitgliedern, die Anbauverträge mit der Genossenschaft geschlossen haben, den Einsatz von Drohnen und die Abstimmung mit den Jägern vor Ort noch weiter intensivieren. Der Geschäftsführer denkt auch darüber nach, den Service allen Landwirten als bezahlte Dienstleistung anzubieten.

Zurück auf dem Hof von Gerhard Rupp, drängt Jörg Bumba zum Aufbruch. Er hat noch einen Folgetermin bei einem weiteren Landwirt, der ebenfalls seine Wiesen mähen will. „Drohnenpiloten sind derzeit sehr gefragt“, sagt er, packt sein Equipment in den Kofferraum und ist auch schon verschwunden.

Die Qualitätstrocknung Nordbayern eG

Mit über 4.000 organisierten Landwirten ist die QTN die mitgliederstärkste Trocknungsgenossenschaft in Deutschland. Für ihre Mitglieder trocknet und pelletiert sie Gras, Luzerne, Mais, Stroh und andere landwirtschaftliche Produkte. Jährlich produziert sie an ihren fünf Standorten über 35.000 Tonnen hochwertige Futtermittel ohne Gentechnik.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin „Profil“: https://www.profil.bayern/06-2019/praxis/rettet-bambi/