Theater für Kinder: „Der kleine Lord“ nach dem Kinderbuchklassiker von Frances Hodgson Burnett hat das Theater Ansbach als abenteuerliches Märchen für die ganze Familie inszeniert. (Foto: Theater Ansbach - Kultur am Schloss eG)
Theater Ansbach

Tatort, kein Museum

Ein Theater als Genossenschaft: In Ansbach ist daraus innerhalb von wenigen Jahren eine überregional beachtete Spielstätte gewachsen. Intendantin Susanne Schulz will mit neuen Formaten noch mehr Publikum anlocken.

„Franken wird allenfalls als romantische Museumslandschaft wahrgenommen – aber kaum als eigengeprägte Kultur- und Theaterlandschaft der Gegenwart“, beklagte das Magazin „Die deutsche Bühne“ jüngst in einer Ausgabe zur fränkischen Theaterszene. Noch nicht einmal der Ruhm der Bayreuther Festspiele habe es geschafft, die Kulturregion Franken jenseits pauschaler Klischees von Fachwerkromantik stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Doch wozu einen Themenschwerpunkt, wenn es nichts zu berichten gäbe? Das weiß auch Chefredakteur Detlef Brandenburg, der Franken einen enormen Theaterreichtum attestiert.

Leuchtturm der Theaterszene

Einer der Leuchttürme der fränkischen Bühnenszene ist das Theater Ansbach, getragen von der „Theater Ansbach – Kultur am Schloss eG“. Innerhalb von wenigen Jahren hat es die Genossenschaft geschafft, aus einem wenig beachteten Gastspielhaus ein Ensembletheater mit eigenen Produktionen zu machen, das in der Kulturszene weit über die Grenzen Frankens hinaus Bekanntheit erlangt hat. Auch „Die deutsche Bühne“ widmet sich dieser Erfolgsgeschichte. Vom „Theaterwunder von Ansbach“ wird gesprochen, sogar in den Medien. „Ja, diese Bezeichnung ist zu einem geflügelten Wort geworden“, bestätigt Heribert Schmidt, pensionierter Verwaltungsgerichtspräsident und seit 2012 Vorsitzender der Genossenschaft.

Seinen Anfang nahm das Theaterwunder im Jahr 2006. Der ehemalige Bundesminister Carl-Dieter Spranger, damals Vorsitzender der Genossenschaft, setzte alles daran, ein eigenes Stadttheater zu gründen. Er sprach mit Experten und ließ sich die Konzepte anderer erfolgreicher städtischer Bühnen erklären. Schon bald hatte er die Ansbacher Stadtspitze auf seiner Seite, die entsprechende Zuschüsse in Aussicht stellte. Dann ging alles ganz schnell: 2007 war mit Jürgen Eick der Gründungsintendant gefunden, seit 2008 läuft der Spielbetrieb.

In einem Interview beschrieb Eick die Situation, als er im Winter 2006 zum ersten Mal in die Stadt kam: „Ein Gastronomiebetrieb, wo kein Gast war. Ein Theater, das sich zwei Minuten nach dem Schlussapplaus komplett auflöste. Ein ehrenwertes, aber altes Abo-Publikum. Eine Kasse, die man als Fremder vergeblich gesucht hat.“ Trotzdem hatte Eick das Gefühl, etwas bewegen zu können. Er verzichtete auf Allerweltsstücke und bezog Stadt und Bürger in seine Arbeit ein. Das Ansbacher Theater sollte Tatort sein, nicht Museum.

Stark verjüngtes Publikum

Das gefiel zunächst nicht allen. Viele ältere Abonnenten kündigten, doch dafür erschloss sich das Theater neue Publikumsschichten. „Es war eigentlich der wesentlichste Vorgang in der Neuerfindung des Theaters in Ansbach“, blickte Eick zu seinem Abschied im vergangenen Jahr zurück. „Wir haben in der Tat das Publikum schätzungsweise um 20 Jahre verjüngt. Am Ende haben sich die Zuschauerzahlen im Theaterbereich von 7.000 auf 25.000 erhöht.“ Der Ritterschlag erfolgte 2012, als das Theater Ansbach in die Landesförderung des Freistaats Bayern aufgenommen wurde.

Doch auf Erfolg soll man sich nicht ausruhen, fand Eick, und wechselte als künstlerischer Leiter zum E-Werk in Freiburg. Die Genossenschaft ließ ihn nur ungern ziehen, merkte aber spätestens bei der Ausschreibung der Intendantenstelle, welchen Ruf sich das Theater innerhalb von sechs Jahren erarbeitet hatte. „Wir haben über 40 Bewerbungen bekommen, darunter waren viele bekannte Namen von großen Häusern. Wir waren richtig platt“, erzählt Schmidt.

Die Genossenschaft stellte eine Findungskommission zusammen und lud zehn Kandidaten zum Bewerbungsgespräch ein. Die Wahl fiel einstimmig auf Susanne Schulz, bis dahin Intendantin des Theaters Naumburg in Sachsen- Anhalt. Ein Glücksfall für Ansbach. Schmidt: „Als der Oberbürgermeister von Naumburg erfahren hat, dass Susanne Schulz wegen uns ihren Vertrag auflösen will, war er alles andere als begeistert.“

Vielseitiges Programm

Im vergangenen Herbst trat Schulz ihr Amt in Ansbach an. Ein Jahr lang hatte sie sich auf ihre Aufgabe vorbereitet. „Sie hat unserem Theater sehr schnell ihren Stempel aufgedrückt und bietet ein sehr vielseitiges Programm an“, lobt der Genossenschaftsvorsitzende.

Die neue Intendantin treibt die Verjüngung des Theaterpublikums und die Vernetzung mit der Stadt weiter voran. Ihr beachtetes Debüt gab sie mit „Elisabeth von England“, einem Schauspiel von Ferdinand Bruckner. Erstmals sind am Theater Ansbach acht Schauspielerinnen und Schauspieler durchgehend fest engagiert. „Alle können nicht nur spielen, sondern auch tanzen, singen und musizieren. Diese künstlerische Vielfalt eröffnet uns ungeahnte Möglichkeiten“, sagt Schulz. „So können wir die Zuschauer mit den verschiedensten künstlerischen Formen abholen und nicht nur klassisches Schauspiel anbieten, sondern zum Beispiel auch ein musikalisch-literarisches Programm.“ Der Spielplan konzentriert sich neben dem klassischen Theater für Erwachsene stark auf die Arbeit für Kinder und Jugendliche und die Kooperation mit den Ansbacher Schulen. Auch ein Klassenzimmerstück zur Drogenprävention in Zusammenarbeit mit dem Ansbacher Verein „Wir gegen Jugendkriminalität“ ist dabei.

Das ganze Haus wird zur Bühne

„Noch ist das Publikum von der Fülle des Angebots etwas überrumpelt“, hat Schulz festgestellt. Doch es gehe mit Neugier auf die zahlreichen neuen Formate zu. Die fallen tatsächlich nicht zu knapp aus. Alleine das Theater bietet gegenüber der vorangegangenen Saison fünf Neuproduktionen mehr, dazu hat die Intendantin das ganze Haus zur Bühne erklärt und im Foyer drei weitere Spielstätten eingerichtet. Das „Rote Kabinett“ ist für Kleinkunst-Abende und Einführungsveranstaltungen gedacht, die Lust auf Theater machen sollen. So sind zum Beispiel die „Theatermenschen im Dialog“ hinzugekommen – eine Matinée, bei der das Publikum am Sonntag vor ausgewählten Premieren mit den Theatermachern sowie einem Überraschungsgast über das Stück und dessen Hintergründe diskutieren kann.

Auch die Bar im Theaterfoyer wird zum Aufführungsort. Dort finden seit Kurzem die „LesBar“ und die „DenkBar“ statt. Bei Letzterer lesen Schauspieler aus dem Ensemble ausgewählte Texte von Philosophen, Historikern, Theologen oder Wissenschaftlern. Die Veranstaltung will ein „Zwischenruf in unserer beschleunigten Gesellschaft“ sein, wie Schulz es formuliert. Im oberen Foyer finden die Kindertheaterstücke und das Familienfrühstück statt, bei dem Klassiker der Kinderliteratur vorgelesen werden. „In der nächsten Spielzeit werden wir zudem ganz neue Spielorte in der Stadt etablieren“, kündigt Schulz an.

Welche Bedeutung das Theater Ansbach für die Region hat, formuliert die Intendantin ganz selbstbewusst: „Es verleiht der Stadt überregionale Strahlkraft und es garantiert die Bildung des Herzens und des Verstands von Kindheit an.“ Außerdem locke das Theater als wirtschaftlicher Standortfaktor neue Bürger und Touristen in die Stadt. „Kurzum: Unser Theater wirkt identitätsstiftend und ist ein energetischer Treffpunkt für alle Generationen.“

Von „Provinz“ keine Spur

Entsprechend allergisch reagiert Schulz, wenn sie auf den Begriff „Provinztheater“ angesprochen wird. „Ich finde diese Bezeichnung für die Verortung einer Theaterarbeit völlig aussagelos und nutzlos. Gutes Theater muss künstlerisch hochwertig und gesellschaftlich relevant sein – und das kann überall und auch nirgends stattfinden.“

So gesehen ist auch eine Kirche ein guter Ort für Theater: Gemeinsam mit der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde St. Gumbertus und der Augustana-Hochschule Neuendettelsau hält Schulz „Theaterpredigten“. In den Gottesdiensten werden die Premieren aus neuer Perspektive beleuchtet. „Wenn Religion und Theater einander offen wahrnehmen, dann können sie ins Gespräch kommen, voneinander lernen und einen weiten Horizont einnehmen“, sagt Schulz.

Genossenschaftsvorsitzender Schmidt hat mit Erstaunen festgestellt, wie gut das funktionieren kann. „Die Kirche war bei der ersten Veranstaltung voll, wesentlich voller als sonst“, berichtet er. Ein Theater sorgt für ein volles Gotteshaus – braucht es da weitere Beweise für das „Theaterwunder von Ansbach“?

 

Weitere Premieren:

  • Erich Maria Remarque: „Im Westen nichts Neues“, Bühnenfassung von Jürgen Apel und Dieter Powitz, 16. April
  • Eugene O’Neill: „Eines langen Tages Reise in die Nacht“, 4. Juni
  • Jutta Schubert: „Casanova und die Kunst der Verführung“, Uraufführung im Rahmen der Ansbacher Rokoko-Festspiele, 4. Juli
  • Eckart Böhmer: „Tote wissen mehr – Tatort Ansbach“, Uraufführung im Rahmen der Kaspar-Hauser-Festspiele, 31. Juli.

Kultur seit 1909:

Die Geschichte der heutigen Genossenschaft „Theater Ansbach – Kultur am Schloss eG“ reicht zurück bis ins Jahr 1909. Damals gründete sich der „Ansbacher Konzertverein“. Zehn Jahre später wurde daraus die „Vereinigung für Volksbildung“, ins Leben gerufen von 29 Ansbacher Vereinen. Weil Kultur und Bildung schon damals teuer waren, wurde im Mai 1919 die „Schlosslichtspiele eGmbH“ gegründet. Mit den Überschüssen des Kinos – als eingetragene Genossenschaft geführt – wurde das umfangreiche Angebot der Vereinigung finanziert, darunter Theater und Konzerte, aber auch eine Volksbücherei mit Lesehalle. 1929 wurde die „Vereinigung für Volksbildung“ aufgelöst und in die Genossenschaft überführt, die nun den Namen „Haus der Volksbildung eG“ erhielt. 1930 wurde das eigene Domizil mit gleichem Namen am Ansbacher Promenadeplatz fertig. Noch heute ist dieses Haus – umfassend modernisiert und erweitert – Sitz des Theaters. Die Bildungsangebote wurden später in der Volkshochschule Ansbach gebündelt. „Diese blieb bis in die 1980er Jahre unter dem Dach der eG, ehe sie von der Stadt übernommen wurde“, berichtet Heribert Schmidt, Vorsitzender der Genossenschaft. 1997 wurde die eG in „Kultur am Schloss – Haus der Volksbildung eG“ umbenannt, ehe sie 2009 mit „Theater Ansbach – Kultur am Schloss eG“ ihren heutigen Namen erhielt. Nach wie vor gehören auch Konzerte und Kinovorstellungen zum Programm der Genossenschaft. (fc)