Erzieht die Erzieher: Eine Broschüre soll die richtige Weltanschauung näher bringen. (Bild: Imago/Müller-Stauffenberg)
Kitas

Ene, mene, muh, und rechtsextrem bist Du!

Kommentar Eine Broschüre zur "richtigen" Erziehung in Kitas sorgt für Empörung. Nicht nur Bayerns Familienministerin Kerstin Schreyer warnt vor einer Politisierung der Einrichtungen, Bespitzelung und der Einseitigkeit der Publikation. Eine Analyse.

Die Kita-Erzieher-Broschüre „Ene, mene, muh – und raus bist du! Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik“ der Amadeu Antonio Stiftung (AAS), „Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus“, sorgt für großes Unverständnis bei Politikern und Pädagogen. Die Publikation will Kita-Erziehern Tipps für den Umgang mit rechtsradikalen Familien geben. Doch nicht nur an der einseitigen Festlegung auf Rechtsextreme entzündet sich Kritik. Die Broschüre gleiche einer „Anleitung zur Elternbespitzelung“ und schüre „Misstrauen“ gegen Erzieher und Eltern, lauten weitere Vorwürfe.

Vorwort der SPD-Ministerin

Die Broschüre ist eine Publikation der umstrittenen Amadeu Antonio Stiftung, die vom Bundesfamilienministerium im Rahmen des Programms „Demokratie leben“ mit 4600 Euro für die Druckkosten gefördert wurde. Die Auflage beträgt 3000 Exemplare. „Das Ziel der Broschüre ist es, Erzieherinnen und Erziehern, die mit rechtsextremen oder radikalen Aussagen und Verhaltensweisen von Eltern in der Kita in Berührung kommen, Informationen, Beratung und Unterstützung im Umgang damit zu geben. Eine solche Publikation wurde immer wieder von Fachkräften aus der Praxis nachgefragt“, heißt es aus dem SPD-geführten Ministerium.

Im Geleitwort zur Broschüre schreibt Familienministerin Franziska Giffey (SPD) unter anderem: „Die Kinder von heute werden morgen unsere demokratische Gesellschaft tragen. Deshalb ist es wichtig, die frühkindliche Bildung demokratisch zu gestalten.“ Dann kommt die Warnung vor den Rechten: „Kinder schnappen rassistische Bemerkungen oder antisemitische Einstellungen auf und geben sie weiter. Oder Eltern kommen damit auf die Erzieherinnen und Erzieher zu. Was tun? Wie reagieren, wie vorbeugen?“

Wie erkennt man rechtsradikale Gesinnung?

Die Broschüre liefert fiktive oder echte Fallbeispiele (so genau lässt sich das aus dem Text nicht ableiten) über das (mögliche) Auftreten von Rechtsextremismus in Kitas. Und gibt durch diese Fälle indirekt Tipps, wie Kinder aus radikalen Familien zu identifizieren sind.

Eine Broschüre, die Vorurteile bekämpfen will, vermittelt selbst welche.

Nadine Schön, CDU

Es geht etwa um Kinder „aus völkischen Familien“. Hier wird als Beispiel ein Geschwisterpaar herangezogen, das „auffallend zurückhaltend ist und wenig von zu Hause erzählt“. Weiter heißt es: „Gleichzeitig gibt es keine sogenannten Disziplinprobleme, diese Kinder scheinen besonders ‚gut zu spuren‘. Außerdem sind traditionelle Geschlechterrollen in den Erziehungsstilen erkennbar: Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe, es wird zu Hause zu Haus- und Handarbeiten angeleitet, der Junge wird stark körperlich gefordert und gedrillt. Beide kommen häufig am Morgen in die Einrichtung, nachdem sie bereits einen 1,5-km-Lauf absolviert haben.“

Diese Erkenntnisse sind offenbar Hinweise auf ein rechtsextremes Elternhaus. Woraus umgekehrt folgen müsste: Normal sind undisziplinierte Kinder, die zudem unsportlich sind, daheim keine Hausarbeiten erledigen und ohne Kleider und Zöpfe auskommen. „Ich finde es unfassbar, dass eine mit Steuergeld finanzierte Broschüre junge Mädchen, die Zöpfe und Kleider tragen, als potenziell ‚völkisch‘ bezeichnet“, kritisiert der Bundestagsabgeordnete Christoph Bernstiel (CDU). Die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Nadine Schön sagt über dieses Fallbeispiel: „Eine Broschüre, die Vorurteile bekämpfen will, vermittelt selbst welche.“

Fixierung auf Vielfalt

Weitere Beispiele folgen: Wenn Eltern die Gender-Ideologie als „Quatsch“ bezeichnen, weil andere Kinder dem eigenen Sohn die Fingernägel lackiert haben, sollen sie zum Rapport bestellt werden.“ Die Wortwahl der Mutter gibt Grund zu der Annahme, dass diese sich im Kontext (neu-)rechter oder fundamentalistischer Ideologien verortet oder bewegt“, heißt es sorgenvoll in der mit unzähligen Gendersternchen versehenen Broschüre.

Gesungen wird das Hohelied der Vielfalt (der Wortstamm taucht 79 Mal in der Broschüre auf), die angeblich gute Demokraten hervorbringt: „Kindern Geschlechtergerechtigkeit und die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und Lebensweisen zu vermitteln, ist Teil des Erziehungsauftrags. Das Erlernen einer demokratischen Haltung, z.B. vermittelt durch Methoden der Vielfaltspädagogik, ist zentral, um Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder sexuellen Orientierung zu verhindern und um inter- und transgeschlechtliche Kinder zu empowern.“

Wer „Genderwahn“ sagt, macht sich verdächtig

Wer diese Pädagogik für seine Kinder ablehnt oder Worte wie „Genderwahn“ verwendet, wird möglicherweise recht schnell in die Schublade „rechtspopulistisch, neurecht oder religiös-fundamentalistisch“ eingeordnet. Mit letzterem sind vermutlich in erster Linie Christen gemeint. Auch Konservative seien gefährdet, wird suggeriert, weil Genderkritik „hochgradig anschlussfähig an die gesellschaftliche Mitte“ sei.

Geschlechter sind ohnehin Nonsens, davon sind die Verfasser der Broschüre überzeugt: „Die fachliche Auseinandersetzung darum, dass Geschlecht sozial konstruiert und erlernt wird und Geschlechterrollen veränderbar und je nach Zeit und Kontext anders verstanden werden, beugt vor, Kinder nach Geschlechtern zu sortieren und danach zu bewerten. Das befreit die Kinder von Einschränkungen (…).“

Ist die Figur im Rennauto von Lego schwul?

Broschüre „Ene, mene, muh“

Spielzeug und Kinderbücher sollten ebenfalls Vielfalt beinhalten. „So kann die Heldin in einem Kinderbuch ein muslimisches Mädchen sein oder der Junge im Rollstuhl.“ Wichtige Fragen werden gestellt: „Gibt es zum Beispiel eine Barbie als Naturwissenschaftlerin und ist sie Schwarz? Ist die Figur im Rennauto von Lego schwul? Gibt es Hautfarbenstifte und Bücher über außergewöhnliche Frauen?“ Oder gibt es in Kinderbüchern „nur weiße Protagonist*innen“? Welche Figuren, Mädchen oder Jungen, sind handlungsfähig, welche passiv? Auch könne ja mal ein Kinderbuch im Regal stehen, „in dem der Prinz nicht die Prinzessin heiraten möchte, sondern einen anderen Prinzen“, fordert im Broschüren-Anhang ein Interviewpartner. Spiele wie „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“ oder „Schwarzer Peter“ sind selbstverständlich von Übel.

Migrationspädagogik gegen Elternsorgen

„Jenseits des rechtsextremen Spektrums“ gebe es auch „flüchtlingsfeindliche Stimmung“. Dazu ein Beispiel aus der Broschüre: Eine Mutter macht sich Sorgen um eventuell sinkendes Bildungsniveau, weil Flüchtlingskinder in die Klasse kommen. Empfohlen wird eine Aussprache mit dem Ziel: „Diese Sorgen sind unbegründet.“ Das wisse man dank der „Migrationspädagogik“. Die Situation an vielen Schulen, an denen kaum noch ein Kind Deutsch als Muttersprache spricht und die in zahlreichen Brandbriefen von Lehrern und Erziehern dokumentiert ist, wird dabei konsequent ausgeblendet.

Bayerns Familienministerin Kerstin Schreyer warnt dann auch: „Ich kann mir nicht erklären, warum eine Bundesfamilienministerin mit ihrem Grußwort den Inhalten dieser Broschüre ihren Segen gibt! Für Bayern kann ich ganz klar sagen: Eine Politisierung der Erziehung wird es in unseren Kinderbetreuungseinrichtungen nicht geben. Keine Form von Extremismus hat dort einen Platz!“

Die Kitas dürfen nicht instrumentalisiert und Kinder und ihre Familien nicht pauschal vorverurteilt werden.

Kerstin Schreyer

Schreyer sieht in einzelnen in der Broschüre enthaltenen Fallbeispielen die Gefahr einer Pauschalierung, die der komplexen Thematik oftmals nicht gerecht werde. „Die Kitas dürfen nicht instrumentalisiert und Kinder und ihre Familien nicht pauschal vorverurteilt werden! Eltern unter Generalverdacht zu stellen, so dass sie Angst davor haben müssen, von den Erzieherinnen und Erziehern der Kita verdächtigt zu werden, das darf und wird es in Bayern nicht geben. Die Kitas sollen schließlich Orte des Vertrauens sein“, erläuterte Schreyer. Sie hält vielmehr eine von Wertschätzung geprägte Partnerschaft zwischen Erziehern und Eltern als unverzichtbar.

Spitzel in der Kita

Bespitzelung und Denunziation? Die Stiftung behauptet, nur „rechtspopulistische Alternativmedien“ hätten dies unterstellt, andere Medien dies „ungeprüft“ übernommen. Also prüfen wir: Die Broschüre fordert einerseits, Pädagogen sollten den Kindern „einen alternativen Erfahrungsraum zu ihrem Elternhaus“ öffnen, da die Herausnahme der Kinder aus rechtsextremen Elternhäusern nur in absoluten Ausnahmefällen möglich und ohnehin meist kontraproduktiv sei. Andererseits heißt es aber: „Im Sinne von Transparenz und Offenheit empfiehlt es sich, die gesamte Elternschaft über den Fall zu informieren sowie generell über Erscheinungsformen von Rechtsextremismus lokal/regional aufzuklären.“

An anderer Stelle wird von Erziehern gefordert, wenn diese ein problematisches Facebook-Posting von Kollegen entdeckten: „Außerdem sollten Sie im Weiteren die Online-Aktivitäten und Offline-Positionierungen der Kollegin im Auge behalten. (…) Sollte die Erzieherin ihren Arbeitgeber im Profil angegeben haben, können Sie ihn über das Verhalten der Mitarbeiterin informieren.“

Neukölln warnt vor der Broschüre

Für die CDU-Politikerin Schön ist die Broschüre eine „staatliche Handlungsanweisung zur Elternspionage“, die sofort eingestampft werden müsse. „Erzieherinnen sollen unsere Kinder betreuen, bilden und Werte vermitteln, nicht aber die politische Gesinnung der Eltern überprüfen und korrigieren“, so Schön. Das überschreite eindeutig Grenzen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, übt ebenfalls deutliche Kritik. Die Broschüre rufe zur „Gesinnungsschnüffelei“ auf. Mit fragwürdigen Kategorien werde ein „völkischer Typus“ kreiert. „Das ist abstoßend, kontraproduktiv und entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage“, so Meidinger.

Für untauglich hält auch der Berliner Bezirk Neukölln die Publikation – ausgerechnet der Stadtteil, den Ministerin Giffey noch vor kurzem als Bürgermeisterin regiert hat. Das Bezirksamt rät von der Nutzung der Broschüre ab. Der Neuköllner CDU-Jugendstadtrat Falko Lieck sagt dazu: „In Neukölln sehen wir eher ein Problem mit religiösem Extremismus, wenn Kinder beispielsweise zum Tragen des Kopftuches genötigt oder Zwangsehen schon im Kindesalter arrangiert werden. Auch die Indoktrination durch Linksextremisten ist eine Gefahr.“

Auch die von Giffey befürchteten antisemitischen Einstellungen lassen sich laut einer aktuellen Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte in Deutschland eher bei Muslimen finden: Angriffe gibt es demnach mehr als doppelt so oft aus muslimischen (41 Prozent) als aus rechtsradikalen (20 Prozent) Kreisen, und beinahe ebenso so oft aus linksextremen (16 Prozent) Gruppen unter dem Deckmantel der Israelkritik.