Pfaffenhofens Landrat Martin Wolf. Am 2. April jährt sich sein schwerer Motorradunfall. Foto: Picture-alliance
Landrat Wolf

Das Jahr nach dem Unfall

Interview Als Martin Wolf im Mai 2017 mit fast 75 Prozent der Stimmen erneut zum Landrat von Pfaffenhofen gewählt wurde, lag er im Koma. Ein Jahr nach seinem schweren Motorradunfall ist der CSU-Politiker (62) wieder zurück im Amt. Wie geht es ihm heute?

Herr Wolf, in Ihrem Fall ist diese Frage weit mehr als reine Höflichkeit: Wie geht es Ihnen?

Mir geht es wieder sehr gut. Ich fühle mich, als wäre ich angekommen an einem Ziel, auf das ich monatelang hingearbeitet habe.

Ihr Unfall jährt sich am 2. April. Woran erinnern Sie sich?

An den Unfall gar nicht mehr. Dafür bin ich sehr dankbar. In der Klinik und im Laufe meines Genesungsprozesses habe ich viele Menschen kennengelernt, die sich nicht nur an den Unfall selbst erinnern, sondern auch an die erlittenen Schmerzen. Insofern bin ich froh, dass bei mir dieses Ereignis komplett gelöscht wurde.

Wo setzen Ihre Erinnerungen wieder ein?

Mit meiner Wahl am 7. Mai zum Landrat. Ich war stundenweise bei Bewusstsein und wurde von meiner Familie auf dem Laufenden gehalten über die Ereignisse. Allerdings stand ich unter starken Medikamenteneinflüssen. Erst im Juni bin ich wirklich zurückgekehrt ins Bewusstsein. Damals habe ich ganz bewusst mit meinem Stellvertreter gleich dienstliche Angelegenheiten besprochen.

Sie wollten keine Schonfrist?

Das Wahlergebnis hat mich motiviert, frühestmöglich zurückzukehren. Zunächst war ich davon ausgegangen, dass mir dies zum Herbst hin gelingen würde – leider eine Fehleinschätzung. Die Ärzte hatten mich gewarnt, dass es sicher Jahresende werden würde, doch das wollte ich nicht wahrhaben. In den Phasen, in denen ich wach war, konnte ich mich ja völlig klar unterhalten. Mir war aber nicht bewusst, wie viele Stunden ich pro Tag nicht präsent war aufgrund der Medikamente. Deshalb hatte ich die Gesamtsituation falsch eingeschätzt.

Wann war Ihnen klar, dass Sie im Herbst noch nicht im Landratsamt sitzen werden?

Das wurde mir klar während der Reha-Phase. Ich habe eine sogenannte Heim-Reha absolviert, in der ich auch von zu Hause aus aufarbeiten wollte, was liegen geblieben war. Dabei spürte ich, dass ich mehrere zusammenhängende Stunden im Amt noch nicht durchstehen würde. Meine Arbeitswoche früher hatte eher acht als sieben Tage. Das ist in dieser Form heute für mich nicht mehr leistbar. Der Unfall hat mich unter anderem gelehrt, mit meinen Kräften hauszuhalten. Ich muss mich nun einem strengen Zeitmanagement unterwerfen. Zum Glück werde ich darin sehr gut unterstützt von meinem Vorzimmer. Eingestiegen bin ich dann im Dezember mit einer 14-tägigen Wiedereingliederungsmaßnahme…

… was extrem kurz ist.

Ich wollte meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht zwei Chefs über einen längeren Zeitraum hinweg zumuten. Anfangs dachte ich, dass es so sein würde wie die Rückkehr aus einem sehr langen Urlaub: Dass ich einfach nur mehr lesen und mehr machen müsste, um alles aufzuholen. Doch das ist nicht so einfach. Der Unfall hat meiner körperlichen Belastbarkeit neue Grenzen gesetzt. Sich jeden Tag zu zwingen, weniger zu machen als man eigentlich im Kopf hat: Das fällt schwer.

Nicht nur Sie haben sich verändert, sondern auch die Welt hat sich während Ihrer achtmonatigen Abwesenheit weitergedreht. Wie haben Sie Ihren Landkreis erlebt nach der Rückkehr ins Amt?

Da hatte sich politisch einiges verändert. Der Landkreis Pfaffenhofen ist vom ländlichen Gebiet zum Ballungsraum von München und Ingolstadt geworden, was neue Schwerpunkte mit sich bringt: Wohnungsnot, Flächenknappheit und öffentlicher Nahverkehr etwa sind drängende Themen geworden. Während meiner Auszeit wurden zudem PFC-Rückstände im Umfeld des Flugplatzes Manching im Boden gemessen: Per- und Polyfluorierte Chemikalien, also krebserregende Substanzen. Im Bereich des Flugplatzes hatte die Feuerwehr bei Einsätzen und Übungen – damals zugelassene ­- Löschschäume verwendet, die PFC enthielten. Dabei wurden der Boden, das Grundwasser und auch Oberflächengewässer erheblich verunreinigt. Das hat für Eigentümer und Landwirte natürlich große Auswirkungen. All das sind Herausforderungen, die neu auf meiner Agenda stehen.

Wie haben Sie die Partei erlebt nach Ihrem Unfall?

Meine Partei hat sehr gut zu mir gestanden, gerade in der kritischen Frage, ob ich die Wahl überhaupt annehmen kann. Das war ja eine juristische Grauzone. Die Parteikollegen haben mir aber immer signalisiert, dass nicht zählt, wann ich zurückkomme, sondern nur, dass ich zurückkomme.

Die Option Rücktritt hatten Sie nie in Erwägung gezogen?

Nein. Durch das Wahlergebnis war der Wunsch, zurückkehren zu wollen, so dominant, dass mir der Gedanke an Ausstieg nie gekommen ist. Jede Therapiemaßnahme hatte meine Rückkehr als Ziel.

Damit Sie Ihre Wähler nicht enttäuschen müssen?

Das war der Grund, ja. Zugleich habe ich sorgfältig abgewogen, inwiefern ich diesen Anforderungen gerecht werden kann. Sollte ich das Gefühl haben, es nicht mehr zu schaffen, würde ich mir den Mut zutrauen zu sagen, dass sich meine Rückkehr als Fehleinschätzung erwiesen hat.

Haben Sie Ihr soziales Umfeld aufgefordert, ein kritisches Auge auf Sie und Ihre Leistung zu haben?

Nicht aktiv, aber ich habe zum Glück Menschen um mich, die ich vertrauensvoll ins Gespräch ziehen kann, und die mir auch ehrlich Rückmeldung geben. Ich frage beispielsweise nach schwierigen Terminen, wie sie den Ablauf erlebt haben. Sie sagen, dass sie durchaus Veränderungen feststellen.

Welche Veränderungen sind das?

Ich reagiere heute auf Gegenäußerungen anders als vor dem Unfall. Bei zehn Wortmeldungen habe ich früher nur die zwei aufgenommen, die meines Erachtens die Sitzung voranbringen konnten. Den Rest habe ich in der entsprechenden Deutlichkeit kommentiert. Andere Meinungen lasse ich heute länger gelten. Das ist zwar zeitaufwändig, lässt aber ein breiteres Gedankenspektrum zu. Ich bin stärker auf der Suche nach der optimalen Lösung. Wobei ich in der Entscheidung – und das beruhigt mich – genauso entschlossen und konsequent bin wie früher. Und manchmal sogar härter bei Ablehnungen.

Worauf führen Sie diese Änderungen zurück?

Ich habe nach meinem Unfall viele Leute kennengelernt, die einen persönlichen Schicksalsschlag zu verdauen haben, und gehe seither stärker davon aus, dass jeder Mensch einen Grund für seine Meinung hat. Es ist nur fair, dass ich seinen Vorstellungen Zeit widme, auch wenn sie von meinen abweichen.

Womit wir wieder beim Thema Zeitmanagement wären.

Mit dem Konflikt, mir mehr Zeit nehmen zu wollen und doch strenger mit meiner Zeit haushalten zu müssen, lebe ich nun jeden Tag. Eine Therapeutin mahnte allerdings, dass ich darauf achten müsse, nicht nur zu funktionieren. Jeden Tag solle man mindestens 51 Prozent Lebens- und Arbeitsfreude erreichen. Es reicht nicht, am Abend festzustellen, dass man den ganzen Tag über nur gut funktioniert hat. Vor dem Unfall gab es bei mir dieses sehr schöne Nebeneinander von Arbeit und Freizeitaktivitäten. Die allerdings muss ich nun komplett umstellen. Das Motorradfahren ist weggefallen.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie nun im Frühling die ersten Motorräder auf den Straßen sehen?

Das ist schwer. Noch in der Reha hatte ich überlegt, ob ich nicht doch wenigstens in einer Gruppe fahren könnte. Man wird dann nicht so leicht übersehen. Aber das Risiko ist zu groß. Ich hatte großes Glück mit meinen Sanitätern und der medizinischen Erstversorgung. Ich hätte auch querschnittsgelähmt oder gar tot sein können. Ein zweites Mal sollte ich das Schicksal nicht herausfordern.

Was hat Ihnen das Motorradfahren bedeutet?

Es hatte einen sehr hohen Stellenwert. Vor allem, weil ich diese Leidenschaft mit meiner Frau geteilt habe. Wir haben oft Wochenendausflüge gemacht, und auch einen 16-tägige Deutschlandrundfahrt: hoch an die Ostsee und durch alle Mittelgebirge Deutschlands zurück nach Bayern. Es war ein unvergleichliches Erlebnis.

Fährt Ihre Frau noch Motorrad?

Mein Unfall war auch für sie ein einschneidendes Erlebnis, deshalb hat sie aufgehört. Ich würde aber generell keinem vom Motorradfahren abraten; es ist zu schön.

Womit werden Sie das Hobby ersetzen?

Da bin ich auf der Suche. Im Moment bin ich körperlich noch eingeschränkt; die Ärzte schätzen, dass meine Wirbelsäule erst in zwei bis drei Jahren wieder die alte Stabilität haben wird. Ich hoffe aber, dass ich mit der Zeit etwas finden werde, das mein Leben bereichert. Ich war stets ein großer Musik- und Theaterfreund, habe selbst aktiv Theater gespielt. Vielleicht kann ich das ja reaktivieren.

Trauern Sie Ihrem früheren Leben noch hinterher?

Von dem Menschen, der ich einmal war, musste ich mich verabschieden und mich anfreunden mit der neuen Situation. Anfangs wollte ich nur so schnell wie möglich nur der Alte sein, körperlich und mental. Heute sage ich: Ich werde nie wieder der alte sein.

Und das ist gut so?

Das ist auch gut so, ja.

Wie werden Sie den 2. April 2018 begehen?

Das weiß ich noch nicht. Ich werde wohl versuchen, ihn vorbeistreichen zu lassen, ohne groß darüber nachzudenken. Der 2. April soll in den nächsten Jahren immer stärker an Bedeutung verlieren.

Interview

Das Gespräch führte Beate Strobel. Das Interview lesen Sie auch in unserem neuen BAYERNKURIER-Magazin.