Judith Gerlach ist Bayerns Digitalministerin. (Foto: J. Gerlach)
Portrait

„Der beste Job der Welt“

27 Jahre alt und plötzlich Abgeordnete: 2013 zog Judith Gerlach als jüngste Parlamentarierin in den bayerischen Landtag ein. Inzwischen hat das „Landtagsküken“ seinen Platz gefunden und blickt kämpferisch auf die Wahl im Jahr 2018.

Ihre Chancen auf einen Sieg lägen „im Minusbereich“, hatte man ihr versichert. Weil sie auf einen höheren Bekanntheitsgrad für die bevorstehenden Stadtratswahlen hoffte, hatte sich Judith Gerlach trotzdem vor knapp fünf Jahren auf das Abenteuer Landtagswahlkampf eingelassen: Dabei sein ist alles, gewinnen nicht nötig. Schließlich hatte die junge Frau gerade ihr Jura-Studium abgeschlossen und war in Aschaffenburg in der Kanzlei des Vaters eingestiegen. Judith Gerlach ist eine Frau, die gerne einen Plan hat und höchst ungern davon abweicht. Die nächsten fünf Jahre im Bayerischen Landtag arbeiten? War nicht Bestandteil ihres Lebensplans.

Vom Hörsaal in den Landtag

16.121 Wähler sahen das anders. Am 16. September 2013 stand fest, dass Judith Gerlach zu den Gewinnern der Landtagswahl in Bayern gehörte. Nach Landtagspräsidentin Barbara Stamm hatte sie – für alle überraschend – das zweite Listenmandat für die CSU Unterfranken geholt. Und Gerlach war nach Heulen zumute. „Judith, das sagen wir ab“, rief die Mutter spontan angesichts der Situation ihrer Tochter.

In der Politik reicht es nicht, seine Themen fleißig zu beackern. Man muss sie auch nach außen verteidigen.

Judith Gerlach, CSU-Landtagsabgeordnete

Ihre ersten Wochen als Abgeordnete: Es herrschte nach eigenen Angaben „reine Panik.“ Wenn man 27 Jahre alt ist, gerade erst den Hörsaal verlassen hat und sich plötzlich als jüngste Abgeordnete neben 179 meist routinierten Parlamentariern im Münchner Maximilianeum wiederfindet, kann das ein durchaus verstörendes Erlebnis sein. In den ersten Wochen einer Legislaturperiode geht es um Proporz und Posten, man rangelt um Positionen und rumpelt aneinander. „Kopf runter und unter dem Radar segeln“, war Gerlachs Überlebensstrategie für diese erste Phase. Ihre größte Sorge damals: ihre gut 16.000 Wähler zu enttäuschen.

Schon der Großvater war Politiker

Ende 2017 sitzt Judith Gerlach mit durchaus erhobenem Kopf im Parlament. Und heute auch im Stuhlkreis: Es ist bundesweiter Vorlesetag an der Astrid-Lindgren-Grundschule in Großostheim, und auch wenn die Schülerinnen und Schüler noch lange keine Wähler sein werden, ist Gerlach gekommen, um ihnen vorzulesen. „Ich bin die Judith, mein Beruf ist Landtagsabgeordnete“, stellt sie sich den Kindern vor. Und lächelt dabei. Manchmal hat das Leben eben sehr eigenwillige Vorstellungen davon, wohin jemand gehört. Und man muss ein bisschen Zeit und Geduld mitbringen, um diesen Plan zu verstehen.

Natürlich hätte man auch schon früher erkennen können, dass das Maximilianeum eine Station in Gerlachs Lebensplan sein könnte. Großvater Paul Gerlach saß von 1969 bis 1987 für die CSU im Bundestag, Vater Thomas Gerlach engagiert sich bis heute als Stadtrat für die CSU in der Aschaffenburger Kommunalpolitik. Leidenschaftliche Politikdiskussionen waren Alltag im Hause Gerlach. 2002 trat Judith in die Junge Union ein, „nicht wegen, sondern trotz meines Vaters“.

Wenn der beim Abendbrot die eine Kopfseite am Tisch einnahm, saß Judith ihm gegenüber. Und wie beim Tennismatch schlugen sich die beiden die Argumente um die Ohren, sehr zum Vergnügen von Judiths drei Geschwistern. Mit so einer Kinderstube wird man entweder Juristin oder Politikerin. Oder wie Judith Gerlach eben beides.

Dass sie sich in den ersten Wochen und Monaten im Landtag ständig in Situationen wiederfand, für die sie sich nicht optimal vorbereitet fühlte, war schlimm für eine Perfektionistin wie Judith Gerlach. Presseinterviews, Ausschusssitzungen und abends noch ein Grußwort beim Schützenverein – heute zuckt Gerlach bei so einer Agenda nur noch mit der Schulter. Damals griff sie dankbar zurück auf ihre Erfahrungen aus dem Schultheater: die eigenen Gefühle hinter einer Maske verbergen, ins Rampenlicht treten – und funktionieren.

Begeisterung für „Frauenthemen“

Der Judith Gerlach von 2017 will man ihren Erzählungen von der anfänglichen Verzagtheit kaum glauben. Locker liest sie den Kindern aus dem Buch „Der kleine König“ vor, der Pferdeschwanz wippt und die braunen Augen strahlen. Im Gegensatz zu ihrer Erscheinung ist Gerlachs Stimme eher fest als mädchenhaft, das Unterfränkische lässt sie charmant durchblitzen. Selbstbewusster hätten die Jahre im Landtag sie gemacht, sagt sie, aber auch härter und ungeduldiger. Schwerste Lernerfahrung: „Dass es in der Politik nicht reicht, seine Themen fleißig zu beackern. Man muss sie auch nach außen verteidigen. Sonst kommen andere und ernten, was man gesät hat.“ Bescheidenheit ist in der Politik fehl am Platz, und wer auf die Anerkennung anderer hofft, wartet meist vergeblich. Das weiß Gerlach heute – aber verinnerlicht hat sie es noch nicht so recht: „Eigen-PR, das muss ich erst noch lernen.“

Manche Freunde gingen verloren in dieser Zeit, es fehlte irgendwann an gemeinsamen Gesprächsthemen. Die Politik mit ihrer Rund-um-die-Uhr-Beanspruchung ist eine sehr einnehmende Gefährtin. Und dennoch, wird sie später sagen in ihrem Aschaffenburger Büro, dennoch ist sie „furchtbar froh“, dass sie sich den Einsatz als Landtagsabgeordnete zugemutet hat: „Das ist doch der beste Job der Welt! Kein anderer Beruf ist so abwechslungsreich.“ Jeden einzelnen Tag habe sie Neues gelernt. Sie engagiert sich im Ausschuss „Soziales“, hat sich für den ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst stark gemacht und für den Ausbau der B26 daheim. „Klar, meist klassische Frauenthemen“, sagt sie. „Aber dafür kann ich mich eben begeistern. Und mit Leidenschaft kämpfen.“

Der Sohn hilft beim Kofferpacken

Ausgerechnet die Frau, die am liebsten alles unter Kontrolle hat, wagte mitten in der Legislaturperiode das Abenteuer Familie. 2014 heiratete Gerlach ihren Lebensgefährten, einen Sportwissenschaftler. 2016 kam Söhnchen Samuel auf die Welt – und reiste erstmal mit der Mama regelmäßig nach München. Elternzeit ist für Parlamentarier nicht vorgesehen, und den MdL-Alltag macht ein Baby nicht wirklich leichter. Aber gerade weil die Politik so viel Einfluss auf ihr Leben hat, wollte Gerlach sich nicht auch noch die Familienplanung davon diktieren lassen – nur um dann vielleicht irgendwann festzustellen, dass es den perfekten Zeitpunkt für ein Kind gar nicht gibt.

Das ist doch der beste Job der Welt! Kein anderer Beruf ist so abwechslungsreich.

Judith Gerlach, MdL

Heute passen Ehemann und Oma abwechselnd auf den Kleinen auf, außerdem geht er drei Vormittage pro Woche in die Kita. Und wenn die Mama nach München fährt, hilft er beim Kofferpacken, das ist schon festes Ritual. Gegen die Sehnsucht nach dem Kind wiederum helfen die Videos, die die Oma per Handy nach München schickt. Letztendlich ist alles so gut gelaufen, dass nun sichtbar Baby Nummer zwei unterwegs ist, Anfang März soll es zur Welt kommen. Rund und kurzatmig ist sie geworden, wie sie sagt, zudem zwickt der Ischias. Und doch ist noch so viel zu tun und zu erledigen bis zur Babypause. Die natürlich kurz ausfallen wird, denn 2018 ist Wahlkampf angesagt.

Dass sie noch einmal für das Landtagsmandat antreten will, daran gibt es für Judith Gerlach keinen Zweifel: „Jetzt bin ich so drinnen in den Themen, für die ich brenne – da kann ich doch nicht schon wieder aufhören!“. Und deshalb wird sie Mitte September 2018 vielleicht wieder weinen, wenn sie erneut gewählt wird. Diesmal aber vor Freude.