Menschen aus Ost und West feierten im November 1989 den Fall der Berliner Mauer am Brandenburger Tor. (Bild: Imago/imagebroker)
9. November

Ein historischer Tag

Novemberrevolution, Hitlerputsch, Reichspogromnacht und Mauerfall: Der 9. November wird nicht zu Unrecht als Schicksalstag der Deutschen bezeichnet. Auch heute wird der Geschichte und den Geschichten gedacht, die diesen Tag so besonders machen.

Bei zahlreichen Gedenkveranstaltungen in ganz Deutschland wird an diesem Donnerstag an den 79. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 sowie an den 28. Jahrestag des Mauerfalls vom 9. November 1989 erinnert.

Der Mauerfall 1989

28 Jahre stand sie, seit 28 Jahren ist sie nun Geschichte: Die Berliner Mauer. Nach Michail Gorbatschows Perestroika, gefälschten DDR-Kommunalwahlen, der ungarischen Grenzöffnung, den BRD-Botschaftsbesetzungen durch DDR-Flüchtlinge und den Leipziger Montagsdemos wackelte im Herbst 1989 auch die DDR bedenklich – und wirtschaftlich drohte die Staatspleite. Der ewige Staats- und Parteichef Erich Honecker musste Egon Krenz weichen. Auch Reiseerleichterungen sollten Druck aus dem Kessel nehmen, eine Pressekonferenz wurde angesetzt. „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort… unverzüglich“, stammelte dann SED-Politbürofunktionär und Pressesprecher Günter Schabowski auf Nachfrage eines Reporters zur Geltung der Reisefreiheit.

Neben dem Live-Bericht des DDR-Fernsehens verbreitet auch das Westfernsehen diese Botschaft. „Dieser 9. November ist ein historischer Tag“, begann Tagesthemen-Sprecher Hanns Joachim Friedrichs seine Moderation. Die DDR habe mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für Jedermann geöffnet seien. Zehntausende DDR-Bürger sahen das und eilten zu den Grenzübergängen. Völlig überforderte und von der SED-Führung im Stich gelassene Grenzsoldaten versuchten zunächst, die Bürger abzuweisen. Doch es kamen immer mehr, zehntausende: „Wir wollen raus“, schallte es an den Grenzkontrollpunkten, und auch „Wir kommen wieder“. Es folgten hektische Telefonate, die keinen Ausweg wiesen. Immer bedrohlicher empfanden die wenigen DDR-Grenzer die Situation, fragten sich, ob man sie lynchen würde, sollten sie das Feuer eröffnen. Um 23:30 Uhr kapitulierte der sterbende Sozialismus zuerst am Grenzübergang Bornholmer Straße. Die Grenzer öffneten den Schlagbaum.

Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort … unverzüglich.

Günter Schabowski, SED-Funktionär, mit dem Irrtum seines Lebens

Damit war die DDR endgültig gescheitert. Die Mauer, die seit 1961 die Hauptstadt teilte, fiel. Nur elf Monate danach stand die Deutsche Einheit am 3. Oktober 1990. Schabowski, der einer der wenigen selbstkritischen Ex-SED-Funktionäre war, antwortete Jahre später auf Kritik seiner einstigen Genossen: „Wenn ein System daran zu Bruch geht, dass sich die Menschen frei bewegen können, hat es nichts Besseres verdient.“ Dennoch nannte Schabowski die Pressekonferenz, deren Tonaufnahmen zum UNESCO-Weltdokumentenerbe gehören, den „Sargnagel“ des Sozialismus. Die eigentlichen Pläne der DDR-Führung zu einer streng regulierten Ausreise ihrer Bürger, da sind sich Historiker sicher, hätten ohnehin nicht lange gehalten. Zu groß war der Druck des Volkes.

Wenn ein System daran zu Bruch geht, dass sich die Menschen frei bewegen können, hat es nichts Besseres verdient.

Günter Schabowski, Jahre nach seinem Irrtum

An zahlreichen Orten in ganz Deutschland wurde nun an den Fall der innerdeutschen Grenzanlagen erinnert. Auch 2017 fand die zentrale Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte Berliner Mauer statt. Neben Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) wurden auch Zeitzeugen und viele Jugendliche erwartet. Um 10 Uhr erklang ein Posaunenruf, später gab es in der Kapelle der Versöhnung eine Andacht. Am „Tränenpalast“ gegenüber dem Bahnhof Friedrichstraße konnten Zeitzeugen des Mauerfalls ein mobiles Aufnahmestudio besuchen, um von ihren Erinnerungen an das Leben in der DDR und an die Grenzöffnung zu berichten.

Die Reichspogromnacht 1938

Auch anlässlich des 79. Jahrestages der Pogromnacht 1938 hat es eine Reihe von Gedenkveranstaltungen gegeben. Ein Attentat auf einen deutschen Diplomaten in Paris durch einen jüdischen Polen diente 1938 Propagandaminister Joseph Goebbels als Vorwand. SA- und SS-Leute zündeten am 9. November 1938 in ganz Deutschland Synagogen an, plünderten jüdische Geschäfte, zerstörten Wohnungen jüdischer Bürger, misshandelten tausende, verhafteten rund 30.000 und töteten mehr als 400 jüdische Mitbürger. Viele der Inhaftierten wurden anschließend in KZs deportiert. Die vielen zerstörten Fenster sorgten für den bis in die Neuzeit üblichen Namen „Reichskristallnacht“. Es war der Beginn der systematischen Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland.

In Berlin empfing heute Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Präsidium des Internationalen Auschwitz-Komitees in seinem Amtssitz Schloss Bellevue. In München wurden bei einer Veranstaltung mit OB Dieter Reiter die Namen von Opfern verlesen. Schüler legen vielerorts Kränze nieder – etwa am Güterbahnhof Berlin-Moabit, von wo zu NS-Zeiten Tausende Menschen in Konzentrationslager gebracht wurden. Auch die Berliner Jüdische Gemeinde las vor ihrem Gemeindehaus die Namen der 55.969 ermordeten Berliner Juden vor.

Der 9. November – ein Datum mit Geschichte

Das Datum steht neben Mauerfall und Reichspogromnacht vor allem für drei weitere wesentliche Ereignisse in der deutschen Geschichte.

Paulskirche 1848: Der erste Versuch, in deutschen Landen demokratische Strukturen zu etablieren, fand am 9. November 1848 einen herben Dämpfer. Die Hinrichtung des Abgeordneten Robert Blum, führender Demokrat aus dem Frankfurter Paulskirchen-Parlament, durch österreichische Truppen war eine Kriegserklärung der Monarchen an den Parlamentarismus, der im Juli 1849 mit der Niederlage der Aufständischen im badischen Rastatt endet.

Novemberrevolution 1918: Aus Sorge vor einem politischen Umsturz nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg verkündete am 9. November 1918 Reichskanzler Prinz Maximilian von Baden eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann rief vom Balkon des Reichtags die erste deutsche Republik aus, um den Plänen Karl Liebknechts zur Ausrufung einer sozialistischen Räterepublik zuvor zu kommen. „Arbeiter und Soldaten, seid euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewusst: Unerhörtes ist geschehen. (…) Alles für das Volk. Alles durch das Volk“, so Scheidemann. Liebknecht rief dennoch die Räterepublik aus, was monatelange bürgerkriegsähnliche Konflikte entfachte. Erst 1919 entstand die Weimarer Republik.

Hitlerputsch 1923: Mit einem Marsch wollte Adolf Hitler am 9. November 1923 die junge Republik stürzen. Doch er scheiterte an der bayerischen Polizei, die vor der Feldherrnhalle das Feuer auf die Putschisten eröffnete. Den 9. November wählte Hitler, der zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, bewusst: Das Geburtsdatum der Republik sollte auch ihr Todestag sein.