Wahlkampf bis zur letzten Stimme: CDU-Plakat in Freiburg. (Bild: Imago/Eibner/Fleig)
Bundestagswahl

Nichts ist entschieden

Kommentar Weckruf vier Wochen vor der Wahl: Fast die Hälfte der Wähler weiß noch gar nicht, wen sie wählen soll. Wer sich da auf Umfragen verlässt, schläft gefährlich. Im Sechs-Parteien-Parlament können kleine Gewinne oder Verluste viel entscheiden.

Paradoxe Zahlen vier Wochen vor der Wahl: 71 Prozent der Wähler sind sich sicher, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Knapp 50 Prozent halten die Bundestagswahl schon für entschieden – aber 46 Prozent wissen noch gar nicht, welche Partei sie wählen sollen. Beunruhigend: Noch nie war die Unschlüssigkeit der Wähler so hoch wie 2017.

Nichts ist sicher

Das Institut für Demoskopie Allensbach hat die erstaunlichen Zahlen zusammengetragen und für die Frankfurter Allgemeine Zeitung analysiert. Sie bedeuten vor allem eines: Die Wahl ist noch lange nicht gelaufen. Erdrutsche sind zwar nicht zu erwarten. Aber vieles ist möglich, viel mehr jedenfalls als die Wähler – und manche Wahlkämpfer – glauben. Nichts ist sicher.

Wer mobilisiert, gewinnt. 69 Prozent der Wähler sagen, dass sie bestimmt zur Wahl gehen wollen, 18 Prozent vielleicht. 2013 lag die Wahlbeteiligung bei 71,5 Prozent – nach dem absoluten Bundestagswahl-Tiefststand von 2009 mit 70,8 Prozent. Bei der Wahlbeteiligung ist also Bewegung möglich, sogar kräftige: Im Osten wollen bis jetzt nur 58 Prozent zur Wahl gehen, von den unter 30-Jährigen 59 Prozent. Ein Weckruf: Die Wähler wollen mobilisiert werden, sie warten darauf. Besonders im „Schlafwagenwahlkampf“ 2017 (The Economist).

Neue Koalitionsarithmetik

Vier Wochen vor der Wahl ist nichts entschieden, nur eines praktisch sicher: Im nächsten Bundestag werden nicht vier Parteien sitzen, sondern sechs. Fast eine kleine Revolution, die alles ändert. Derzeit sieht es mit 49,5 Prozent (Allensbach) gut aus für eine schwarz-gelbe Koalition der Vernunft. Aber Umfragen sind keine Wahlergebnisse. Bei sechs Parteien statt vier sind kleine oder auch mittlere Prozentverschiebungen leicht möglich. Und werfen dann alle Koalitionsarithmetik über den Haufen, machen eine Koalition möglich oder eben unmöglich. Schon jetzt signalisieren unterschiedliche Umfrageinstitute sehr unterschiedliche Koalitionsoptionen. Wer die Wähler für sich mobilisiert, entscheidet – 2017 mehr denn je.

Vor weltpolitisch schwierigen Zeiten

Viele Wähler sind gleichgültig. Noch. Paradoxerweise weil sie sich sicher fühlen und bedroht zugleich: Deutschland geht es wirtschaftlich besser denn je – da muss man nichts machen. Gefahr droht allenfalls von weltpolitischen Risiken am außenpolitischen Horizont – da kann man nichts machen. Glauben viele Wähler und zucken mit den Schultern.

Beide Annahmen sind falsch – und gefährlich. Wohlstand ist immer bedroht und schnell verspielt. Es ist eben nicht egal, wer ihn verwaltet – oder verprasst. In weltpolitisch schwierigen Zeiten geht es am Wahltag um Wohl und Wehe der Nation. Wer soll das Land durch absehbare weltpolitische Turbulenzen, gar Stürme, steuern? Der erfahrene Kapitän oder der Anfänger? Um diese Entscheidung geht es am 24. September. Fällen werden sie dann jene 46 Prozent, die heute noch nicht wissen, wen sie wählen sollen. Und der, der sie für sich gewinnt. Vielleicht am Abend vor der Wahl. Bis dahin gilt: Nichts ist entschieden.