In München werden bis 2030 rund 1,8 Millionen Menschen leben. Hier: Das Rathaus. (Bild: AS)
München

Stadt vor dem Kollaps

München platzt aus allen Nähten - die Straßen erreichen ihre Kapazitäten und Menschen finden keine bezahlbaren Wohnungen. Lösungen dafür bietet Bürgermeister Josef Schmid im Interview mit dem Münchner Merkur. Die CSU sieht er dabei als Beschleuniger.

Jedes Jahr wird München um 20.000 bis 25.000 neue Einwohner reicher – doch bereits jetzt versinkt die Stadt an vielen Stellen im Verkehrschaos und der Wohnungsmarkt ist leergefegt. Seit Beginn des Jahres 2010 bis Ende 2016 wuchs die Bevölkerung der Landeshauptstadt um 160.000 auf insgesamt 1,54 Millionen Einwohner. In der gleichen Zeit nahm die Zahl der Wohnungen aber nur um knapp 37.000 auf 770.000 zu. Bis 2030 rechnet München mit gut 1,8 Millionen Einwohnern.

Stadt reserviert Bauland im Norden

Entwicklungspotential für Bauland sieht die Stadt vor allem im Münchner Norden und Nordosten. Dort, zwischen Englschalking, Daglfing und Dornach, gibt es noch 600 Hektar unbebautes Land. Im Norden wird eine noch größere Fläche von etwa 900 Hektar zwischen Ludwigsfeld, Feldmoching und Fasanerie-Nord auf eine Bebauung hin untersucht. Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen (SEM) könnten in beiden Gebieten die Durchsetzung von Neubauprojekte in großem Stil erleichtern – vor allem den Grundstückserwerb. So wurden als erste Konsequenz die Bodenpreise im betroffenen Gebiet eingefroren, um Spekulation zu verhindern.

CSU unterstützt Protest

Protest formiert sich mit der Initiative „Heimatboden“. Denn gerade Landwirte sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Unterstützungen bekommen die Bürger von der CSU. Die Partei werde die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme im Stadtrat nicht mittragen, kündigte Bürgermeister Josef Schmid (CSU) im Interview mit dem Münchner Merkur an.

Mit der CSU wird es nicht zu Enteignungen kommen.

Josef Schmid, Bürgermeister

Ob das Instrument der SEM tatsächlich weiter verfolgt werde – wie bereits im Nordosten geschehen – werde der Stadtrat wohl im Herbst entscheiden, sagte er. Es könne gleichzeitig nicht sein, dass man im Norden die SEM nicht beschließen würde und trotzdem im Nordosten weiter verfolge, kritisierte Schmid. Nötig wäre von vorneherein ein Gesamtverkehrskonzept und als drittes Element eine maximale Kooperation mit den Grundstückseigentümern – und zwar im Vorfeld.

Keine Verkehrsplanung für den Norden

„Heimatboden“ schlägt statt der SEM das Instrument der sozialgerechten Bodennutzung vor. Dieses Verfahren garantiere ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Landwirtschaft, Erholung und Naturschutz. So erhält ein Investor nur Baurecht, wenn er sich zuvor bereit erklärt, 30 oder sogar 40 Prozent sozial geförderte Wohnungen zu errichten. Zudem müssten bis zu zwei Drittel der Wertsteigerung des Baulandes in die Infrastruktur fließen. Doch dieses Modell reiche für das große Bauerwartungsland im Norden nicht aus, sagte Schmid dem Münchner Merkur. Laut dem Bürgermeister fehle die einheitliche Verkehrsplanung.

Grünflächen erhalten

Seine Leitlinie laute „Wohnungsbau nicht um jeden Preis“. Zwar habe München nicht nur im Dienstleistungssektor kontinuierlich einen Anstieg bei den Beschäftigten, sondern auch im produzierenden Gewerbe. Dort wurden im Vorjahr 2500 Arbeitsplätze geschaffen. Die meisten Beschäftigten brauchen eine Wohnung. Wichtig sind Schmid aber auch genügend Grünflächen und dass München verschiedene Siedlungstypologien behalte: Hochhäuser, Doppelhaushälften, urbanes Wohnen und Häuser mit Garten.

U-Bahn statt Auto

Um Münchens Stadtverkehr in den Griff zu kriegen, setzt der Bürgermeister bei der Berechnung der Bundeszuschüsse an. Es müsse ein neues Maß entstehen, wann Ballungsräume Zuschüsse für Infrastrukturausbau bekämen, sagt er. So entstehe in Freiham derzeit ein neuer Stadtteil. Doch wenn dort keine U-Bahn fahre, die schnell große Massen transportieren könne, würden die Menschen von Freiham aus mit dem Auto fahren, prognostizierte Schmid. Ein Kollaps sei damit also vorprogrammiert, da die Straßen heute schon an der Grenze ihrer Kapazität sind.

Die Realisierung der U-Bahn nach Freiham ist aber abhängig von der Frage der Finanzierung und der Kosten-Nutzen-Analyse. Eine U-Bahn kostet sieben Mal so viel wie eine Tram, auch wenn sie natürlich viel mehr Personen transportieren kann und keine Straßen mit ihrer Trasse verengt. Dennoch falle die Bewertung aktuell wegen der Kosten negativ aus. Das müsse anders beurteilt werden, sagte Schmid. Nämlich unter der Prämisse, dass ein entscheidender Nutzen darin bestehe, dass die Leute ihr Auto zu Hause lassen.

Es ist gerade die CSU, die ständig mit den Bürgern in Kontakt ist.

Josef Schmid, Bürgermeister

Bei den aktuellen Diskussionen – seien es die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen oder Lösungen für den Stadt- und Nahverkehr sieht Schmid die CSU als Beschleuniger von Projekten. Denn die Partei habe das Ohr bei den Bürgern und erst mit deren Teilhabe „wird ein Schuh daraus“. Wenn sich also eine Bürgerinitiative wie „Heimatboden“ formiere, müsse man sich als Stadt einfach fragen: „Hat man da nicht schon vorher in der Kommunikation etwas versäumt?“ Was bei der SEM eindeutig der Fall gewesen wäre, sagte Schmid. Dabei empfände er eine größere Sensibilität für Veränderungen. „Daher ist eine intensive Diskussion mit den Bürgern notwendig“, forderte der Bürgermeister.