Europas Wohlstand und der Euro
Das schafft Europa: Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Vom Euro profitieren nicht nur die Deutschen, sondern alle Euro-Länder. Die Nato bleibt unverzichtbar. Ein spannendes Europa-Gespräch mit Theo Waigel und Gerda Hasselfeldt in Mammendorf.
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Europas Wohlstand und der Euro

Das schafft Europa: Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Vom Euro profitieren nicht nur die Deutschen, sondern alle Euro-Länder. Die Nato bleibt unverzichtbar. Ein spannendes Europa-Gespräch mit Theo Waigel und Gerda Hasselfeldt in Mammendorf.

Für Theo Waigel ist Europa immer ein emotionales Thema. Beim Trauerakt für Helmut Kohl in Straßburg hat er das wieder intensiv gespürt. Ein Stück westlich von Straßburg liegen auf einem Soldatenfriedhof 15.000 deutsche Soldaten, die allesamt in später Phase des Zweiten Weltkriegs gefallen sind. Darunter auch Waigels älterer Bruder. Mit 18 Jahren verlor er in Frankreich sein Leben.

Auf dem Grab seines Bruders liegen immer wieder Münzen, hat ihm einmal jemand berichtet. Waigel wusste warum und erzählt es gern: Der Soldatenfriedhof ist eine französisch-deutsche Jugendbegegnungsstädte. Europäische Jugendlichen haben die Pflege der Gräber übernommen. Ein Leiter der Stätte führt die jungen Leute immer wieder zum Grab von Waigels Bruder. Er erzählt ihnen dann, der Bruder des Gefallenen habe „irgendetwas mit dem Euro zu tun“. Er lässt sie Euro-Münzen anschauen und hin und her wenden: auf der einen Seite französisch, deutsch oder was auch immer, auf der anderen Seite europäisch. Vor 70 Jahren, erinnert der Leiter der Begegnungsstätte schließlich, hatten alle Münzen auf beiden Seiten nur das gleiche nationale Gesicht. Und viele Länder trennte der Hass aufeinander. Heute ist das nur eine ferne Erinnerung. Die Münzen führen es vor. Und manche Euro- oder Cent-Münze landet nach der kleinen Lektion Geschichtsunterricht dann eben auf dem Grab von Mr. Euros Bruder.

Was schafft Europa?

Ein nachdenklicher – und nachdenklich machender – Einstieg in einen spannenden Mammendorfer Europa-Abend. Mit der Frage „Was schafft Europa?“ hatte die Mammendorfer CSU zum „Gespräch über Freiheit, Wohlstand, Sicherheit“ mit dem CSU-Ehrenvorsitzenden Theo Waigel und der Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt geladen. Der engagierte Ortsvorsitzende Benjamin Miskowitsch und die dynamische Bundestagskandidatin Katrin Staffler hatten mit dem Thema in der 16.000 Einwohner großen Verwaltungsgemeinschaft Mammendorf offenbar einen Nerv getroffen: Der große Saal im Mammendorfer Bürgerhaus war sehr gut gefüllt.

Man kann nicht oft genug sagen, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass wir in Europa in Frieden leben.

Gerda Hasselfeldt

Auch Gerda Hasselfeldt hatte Persönliches aus Europa zu erzählen: Als Vizepräsidentin des Bundestags war sie wohl der erste deutsche Politiker, der ganz offiziell und bewusst das kleine südwestfranzösische Städtchen Oradour-sur-Glane, nahe Limoges, besuchte. Eine Einheit der Waffen-SS hat dort am 10. Juni 1944 ein furchtbares Massaker angerichtet: 642 Dorfbewohner kamen dabei ums Leben, zumeist Frauen und Kinder. In Oradour hatte man auf deutschen Besuch lange keinen Wert gelegt − verständlich. Nach drei Tagen Besuch und Gespräch schloss Hasselfeldt Freundschaft mit dem Bürgermeister. Beide nahmen sich vor, die Vorbehalte im Ort abzubauen. Mit Erfolg: 2013 besuchten die damaligen Präsidenten Joachim Gauck und Francois Hollande gemeinsam Oradour und setzten ein schönes Zeichen der Versöhnung. Hasselfeldts Schlussfolgerung hätte auch von Waigel kommen können: „Man kann nicht oft genug sagen, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass wir in Europa in Frieden leben.“

Europäischer Erfolgsgeschichte: der Euro

Die EU ist für die Europäer ein Glücksfall. Trotzdem gibt es Kritik an ihr, zur Zeit mancherorts sogar besonders stark. Die Menschen wollen sich nicht in einem supranationalen Gebilde verlieren, überlegte Gesprächsmoderator Alex Dorow, seines Zeichens Mitglied im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten des Bayerischen Landtags: „Welche Kompetenzen sollen die Mitgliedsländer an Brüssel abgeben, welche nicht?“

Heute exportieren Bayerns Bauern jedes Jahr für 8 Milliarden Euro.

Theo Waigel

Für Waigel eine klare Sache: Seine nationale Sicherheit kann heute kein Nationalstaat mehr alleine leisten. Oder der Welthandel: Auch da müssen die Europäer gemeinsam auftreten. Und die Währung: „Stellen Sie sich vor, wir hätten in der großen Krise vor zehn Jahren in Europa 30 Währungen gehabt.“ Ein uferloses Auf- und Abwertungschaos wäre die Folge gewesen. Waigel trauert der DM keine Minute hinterher. 1995, zu allerstärksten DM-Zeiten, hatte er als Finanzminister Exportrückgang, hohe Arbeitslosigkeit, niedriges Wachstum und ein Haushaltsdefizit von 30 Milliarden DM zu verantworten. „Herr der Löcher“ hat man Waigel damals genannt. Was der gar nicht lustig fand. Heute exportieren Bayerns Bauern Produkte für unfassliche acht Milliarden Euro an die EU-Nachbarn. Bayerns Wirtschaft exportiert Güter für 180 Milliarden und erzielt damit einen Überschuss von 20 Milliarden. Waigel: Undenkbar in einem chaotischen System mit dauernden Auf-und Abwertungen.

Verbraucher, Unternehmer – alle profitieren vom Euro.

Gerda Hasselfeldt

Ohne den Euro müssten die Deutschen sich auf einen jährlichen Wachstumsverlust von wenigstens 0,5 Prozent einstellen, zitiert Hasselfeldt aus einer neuen Untersuchung. In der Krise 2008/2009 wäre der wirtschaftliche Einbruch (5 Prozent minus) noch um bis zu 1,5 Prozent bitterer ausgefallen. Für Hasselfeldt kein Zweifel: „Verbraucher, Unternehmer – alle profitieren vom Euro. Und am allermeisten wir in Deutschland – und in Bayern – weil wir so exportorientiert sind.“

Auch schwächere Länder profitieren

Aber ist das, was für Deutschland gut ist, auch gut für wirtschaftlich schwächere EU-Länder? Sind die Stabilitätskriterien für sie nicht zu drückend? Im Gegenteil, meint Hasselfeldt und erzählt, was Irlands Premierminister ihr in der Krise einmal gesagt hat: „Wir brauche die Stabilitätskriterien und den Druck aus Europa – sonst würden wir die Strukturreformen nie anpacken.“

Ein italienischer Minister hat Waigel das Gleiche gesagt: „Wenn ich Reformen nur national machen und erklären würde, könnte ich sie nie durchsetzen.“ Abwertungen helfen immer nur ganz kurzfristig, erklärt der ehemalige Bundesfinanzminister im oberbayerischen Mammendorf: Die Schulden explodieren, die Wettbewerbsfähigkeit wird nicht wirklich besser. Waigel: „Wenn ein Land seine Wettbewerbsfähigkeit erhöhen will, dann kommt es um Strukturreformen nicht herum.“ Aber die Italiener hätten auch ganz direkt vom Euro profitiert: „Durch die viel niedrigeren Euro-Zinsen sparen sie jedes Jahr 30 bis 40 Milliarden Euro.“

Der Fall Griechenland

Vom Euro profitieren also wirklich alle. Nur die Griechen haben es halt übertrieben. Was nicht passiert wäre, wenn es nach Waigel gegangen wäre. „Ihr seid beim Euro nicht dabei und werdet niemals dabei sein“, hatte er Ende der 90er Jahre seinem griechischen Amtskollegen klipp und klar gesagt. Es war grob fahrlässig, dass sich die Regierung Schröder von den Griechen hat erweichen lassen.

Ihr seid beim Euro nicht dabei und werdet niemals dabei sein.

Theo Waigel

Aber in der Krise aus dem Euro rausgeworfen hätte auch er die Griechen nicht:  „Das wäre eine europäische Tragödie geworden – und in der Flüchtlingskrise eine Katastrophe.“ Einen neuen Schuldenschnitt brauchen die Griechen aber nicht, so Waigel: 90 Milliarden sind ihnen schon erlassen worden – der größte Schuldenschnitt, den es je irgendwo gegeben hat. Jetzt ist Griechenland auf dem Weg der Besserung und erwirtschaftet schon einen kleinen Primärüberschuss.

Sicherheit: Mehr Zusammenarbeit

Nötigt US-Präsident Donald Trump jetzt die Europäer auf dem Feld der Sicherheit mehr zu tun? Auch ohne das Phänomen Trump wären die Europäer gezwungen ihre Pontentiale zu bündeln, meint Hasselfeldt: „nicht als Gegenstück zur Nato, sondern als starker Pfeiler in der Nato – alles andere wäre gefährlich.“ Auch Waigel glaubt nicht an eine europäische Armee. Weil die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, könnte sie ohne Grundgesetzänderung gar nicht in einer EU-Truppe aufgehen. Aber mehr Kooperation, gemeinsamer Einsatz und gemeinsame Waffenbeschaffung müssten sein.

Mehr Zusammenarbeit braucht es auch bei der Inneren Sicherheit, so Hasselfeldt: „aber keine neuen europäischen Institutionen und Apparate.“ Die Sicherheit der Bürger, erinnert sie, „das ist die vorrangige Pflicht eines jeden Staates“.

Was ist heute in Europa anders als 1914?

Beim Stichwort Freiheit wird Waigel in Mammendorf wieder emotional: „Es gibt keine Region der Welt, wo die Freiheit und der Schutz der Menschenwürde so viel gelten wie in Europa.“ Aber die Freiheit müsse halt immer wieder neu erobert werden. Nichts ist ewig. Immerhin: „Anders als etwa am 20. Juli 1944 ist es heute recht einfach, in Europa für die Freiheit zu kämpfen.“

Dass es die Europäische Union gibt.

Christopher Clark, australischer Historiker

Damit ist Waigel wieder zur Zeit seines gefallenen Bruders zurückgekehrt. Wie gefährlich sind die Nationalismen von damals heute noch? Was ist heute anders als 1914, hat Waigel den australischen Experten des Ersten Weltkriegs, Christopher Clark, einmal gefragt: „Dass es die Europäische Union gibt“, hat der kluge Historiker geantwortet. Was das konkret heißt, hat Waigel beim Trauerakt in Straßburg wieder einmal erlebt: „Heute kann man so unkompliziert von Kehl auf der deutschen Seite des Rheins nach Straßburg fahren wie von Neu-Ulm nach Ulm“. So einfach ist das mit der EU und mit Europa. Damit es so bleibt, müssen sich die Europäer für Europa engagieren und sich jeden Tag klar machen: Nichts ist für die Ewigkeit. Jedenfalls nicht, wenn man sich nicht dafür einsetzt.