Edmund Stoiber, Ehrenvorsitzender der CSU und ehemaliger Bayerischer Ministerpräsident (Foto: BK/Nikky Maier).
Stoiber-Kolumne

Sozial ist, was Arbeit schafft

Gastbeitrag Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber erklärt, warum Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft und Chancengerechtigkeit wichtig für unser Land sind und wir nicht noch mehr Umverteilung brauchen.

Jeder möchte, dass es in Deutschland sozial gerecht zugeht. Nur, was bedeutet eigentlich soziale Gerechtigkeit? Die SPD und ihr Kandidat Martin Schulz verstehen unter sozialer Gerechtigkeit in erster Linie eine stärkere Umverteilung von „oben“ nach „unten“, durch eine Ausweitung von Sozialleistungen oder durch Steuererhöhungen. Sie lassen dabei außer Acht, dass wir bereits sehr hohe Sozialstandards haben und diese erst einmal erwirtschaftet werden müssen. 2015 beliefen sich die gesamten deutschen Sozialausgaben auf 888 Milliarden Euro, davon 282 Milliarden Euro für die Rente und 212 Milliarden Euro für die Krankenversicherung.

CDU und CSU als Begründer der Sozialen Marktwirtschaft verstehen unter sozialer Gerechtigkeit die gerechte Verteilung von Chancen.

Edmund Stoiber

Im Jahr 2016 stellt allein der Bund 161 Milliarden Euro für die soziale Sicherung zur Verfügung, das ist über die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts. Und entgegen der Behauptung der SPD geht es auch nicht ungerecht zu in Deutschland: 40 Prozent der Steuerpflichtigen zahlen kaum oder überhaupt keine Einkommensteuer. Und die 10 Prozent Top-Verdiener müssen fast 50 Prozent der Einkommensteuer an den Staat zahlen. Soziale Gerechtigkeit im Sinne von möglichst hoher Umverteilung spielt auch deshalb für die meisten Menschen keine Rolle. Es ist deshalb ein großer strategischer Fehler der SPD, eine vermeintliche soziale Ungerechtigkeit in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs zu stellen.

Facharbeiter als Spitzensteuerzahler

CDU und CSU als Begründer der Sozialen Marktwirtschaft verstehen unter sozialer Gerechtigkeit die gerechte Verteilung von Chancen. Jeder soll in der Lage sein, aus seinem Leben das Bestmögliche zu machen. Dazu zählt neben einer Bildungspolitik, die alle Talente unabhängig von deren materieller Situation fördert, vor allem auch eine leistungsgerechte Besteuerung. Heute müssen rund 2,7 Millionen Haushalte den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zahlen, mehr als doppelt so viele wie 2004. Auch das Einkommen vieler Facharbeiter fällt mittlerweile unter den Spitzensteuersatz. Diese Leistungsträger müssen wir entlasten. Die Einnahmen sind da: Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft machen die Steuereinnahmen mittlerweile 22,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, gestiegen von 19,5 Prozent im Jahr 2004. Es wird höchste Zeit, dass der Staat zumindest einen Teil der Mehreinnahmen wieder an die Bürger zurückgibt. Damit kann der Soli schrittweise abgeschafft und die Einkommensteuerlast für kleine und mittlere Einkommen deutlich gesenkt werden. Gleichzeitig können auch die Investitionen in Bildung und Infrastruktur erhöht werden, ohne die stabilen Staatsfinanzen zu gefährden. Investieren und entlasten sind kein Widerspruch!

Kein Wettlauf um immer höhere Sozialleistungen

Die CSU wird jedenfalls konsequent für Steuerentlastungen eintreten und einen Wettlauf um höhere Sozialleistungen nicht mitmachen. Die aktuelle Sondersituation, dass Bund und Länder aufgrund der guten Wirtschaftslage, aber auch aufgrund der künstlichen Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank Einnahmen im Überfluss haben, wird nicht ewig andauern. Soziale Wohltaten, die nicht nachhaltig finanziert werden können, die Arbeitskosten der Unternehmen verteuern oder dem Arbeitsmarkt zusätzliche Fesseln anlegen, sind eine Wachstumsbremse und führen mittel- und langfristig zu höherer Arbeitslosigkeit. Es ist und bleibt richtig: Sozial ist, was Arbeit schafft. Arbeit muss gefördert werden, nicht Arbeitslosigkeit!

Wer sein Land nicht fit macht für die globalen wirtschaftlichen Herausforderungen, legt die Axt an die Stärke der Volksparteien.

Edmund Stoiber

Lebt ein Land dauerhaft über seine Verhältnisse, wie es oft bei sozialistischen oder sozialdemokratisch geführten Regierungen der Fall ist, gibt es für diese Regierungen meistens ein böses Erwachen, wie sich in Frankreich oder Griechenland beobachten lässt. So haben die französischen Sozialisten bei der Wahl zur Nationalversammlung im Jahr 2012 fast die absolute Mehrheit der Mandate erreicht. Heute ist die Partei des Ex-Präsidenten Hollande in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Bei der jüngsten Parlamentswahl stürzten die Sozialisten auf unter zehn Prozent der Stimmen ab.

Unfähigkeit zu Reformen

In Griechenland wurde die ehemals dominierende Partei, die sozialistische PASOK, mit einem Absturz von 44 Prozent in 2009 auf knapp über 6 Prozent 2015 geradezu pulverisiert. Und in Italien liegt die „5 Sterne“-Protestbewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo in Umfragen ganz vorne, zulasten von Sozialdemokraten, aber auch Konservativen. In allen drei Ländern wurden notwendige Strukturreformen besonders im Sozial- und Arbeitsmarktbereich nicht angepackt. Diese Unfähigkeit der regierenden Parteien zu Reformen war letztlich die Ursache für ihren Niedergang. Das von den Volksparteien hinterlassene politische Machtvakuum kann von extremistischen Parteien ausgenutzt werden. Frau Le Pen vom rechten Front National in Frankreich wäre nie so stark geworden, wenn die Franzosen mit ihrer wirtschaftlichen Situation nicht so unzufrieden gewesen wären.

Die Freiheit des Einzelnen im Mittelpunkt

Die Botschaft aus Europa lautet also: Wer sein Land nicht fit macht für die globalen wirtschaftlichen Herausforderungen, legt die Axt an die Stärke der Volksparteien und leistet einer Zersplitterung der Parteienlandschaft Vorschub. Volksparteien leisten aber für die politische Stabilität eines Landes unschätzbare Dienste, weil sie Meinungen bündeln und einen guten Ausgleich der verschiedenen Interessen erreichen. Eine Politik für das ganze Volk gelingt nur mit Volksparteien und nicht mit Klientelparteien; so habe ich es schon auf dem CDU-Parteitag in Dresden 2006 gesagt. Dazu stehe ich unverändert auch heute noch. Neben dem alles überstrahlenden Thema der Inneren Sicherheit tut die Union also gut daran, die Wirtschaft und die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs zu rücken, weil nur so der wirtschaftliche Erfolg eines Landes dauerhaft gesichert werden kann. CDU und CSU haben die richtigen Rezepte dafür: Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft und Chancengerechtigkeit sind die sozial gerechtesten Bausteine der Politik.