Frachtschiff auf dem Main-Donau-Kanal in Mittelfranken. (Bild: Imago/Westened61)
Main-Donau

Lebensader oder Geisterkanal?

Vor 25 Jahren wurde der Rhein-Main-Donau-Kanal fertiggestellt. Was hat die Wasserstraße für die Region, für Binnenschifffahrt, Tourismus und Umwelt gebracht? Der Versuch einer keineswegs endgültigen Bilanz des Großprojekts.

Als der Verein Brose Bamberg kürzlich seine neunte Basketball-Meisterschaft gewann, kündigte Coach Andrea Trinchieri im Überschwang an: „Alles, was ich kriege, werde ich heute trinken. Ich werde den ganzen Main-Donau-Kanal trinken.“ Damit hätte er sich zweifellos schwer getan. Denn der Kanal ist insgesamt 171 Kilometer lang, in der Regel 4,25 Meter tief und an der Oberfläche zwischen 43 und 55 Meter breit.

Eigentlich steht erst Ende September das 25-jährige Jubiläum der Freigabe des letzten Bauabschnitts des Kanals an. Die Schifffahrtsbehörde und die Tourismusregion Naturpark Altmühl feiern aber schon seit dem Frühjahr mit Schleusenkonzerten, Tanzfahrten, Feuerwerken, Wanderungen und Infoveranstaltungen. Höhepunkt ist am 24. Juni die Eröffnung der „Erlebniswelt Wasserstraße“ bei Beilngries (Landkreis Eichstätt). Beleuchtet wird in dieser Ausstellung neben der „Rolle des Kanals für die Binnenschifffahrt“ vor allem seine „Bedeutung als Lebensader für die Region“.

Feierzeit

Auch die Städte feiern: Berching am 21. und 22. Juli mit dem Fest „Kanal im Feuerzauber“ inklusive Feuerwerk, Musik, Fackelschwimmen, Saugrill, Fischerstechen und Paddelbootrennen. Zum eigentlichen Jubiläum findet dann die Berchinale statt – mit Lichtkunst sowie Speis und Trank unter dem Motto „Europa lädt ein“. Beilngries feiert – neben der genannten „Erlebniswelt“ – am 22. und 23. Juli zusammen mit dem Motoryachtclub, der zu Lichterfahrt und Wasserskifahren einlädt. Dietfurt, auch Bayrisch-China genannt, wird am 9. Juli ein Drachenbootrennen veranstalten, Riedenburg am 22. und 23. Juli ein Festwochenende unter dem Motto „Wasser verbindet-bewegt-verändert“ samt Schlemmermeile „von der Nordsee zum Schwarzen Meer“. Zudem gibt es für die Kommunen eine Wander-Fotoausstellung über die Kanalbauphase.

Der Kanal

32 Jahre dauerte der Bau des Main-Donau-Kanals, die Kosten betrugen 4,7 Milliarden DM, umgerechnet 2,4 Milliarden Euro. Für den Kanal gab es technische Innovationen wie wassersparende Schleusen. Der damalige bayerische Ministerpräsident Max Streibl eröffnete am 25. September 1992 das letzte Teilstück. Der Kanal verläuft ab Kelheim durch das Altmühltal, weiter über Nürnberg und Forchheim zur Regnitz und sieben Kilometer unter­halb Bambergs in den Main. Die Binnenschiffe werden auf der Fränkischen Alb auf bis zu 406 Meter über Meereshöhe angehoben, dem höchsten Punkt des europäischen Wasserstraßennetzes. Insgesamt acht Kanalbrücken überqueren eine Straße oder ein Tal. 16 Schleusen regeln den Verkehr, darunter Deutschlands größte Schleuse bei Hilpoltstein mit einer Hubhöhe von fast 25 Metern.

Der Bund und der Freistaat Bayern hatten von 1960 bis 1992 mit dem Bau des Kanals einen mehr als 1000 Jahre alten Traum wahr gemacht – den von einer durchgehenden Wasserstraße zwischen Nordsee und Schwarzem Meer. 793 hatte ihn Karl der Große als Erster angedacht.

Dieser Kanal soll eine europäische Wasserstraße sein, die 15 Nationen verbindet in Frieden, in Freiheit, in Wohlstand. 

Max Streibl, früherer Bayerischer Ministerpräsident, 1992

Weil der Kanal die Flüsse Rhein, Main und Donau verbindet, heißt er auch Rhein-Main-Donau-Kanal. Seitdem können Massengüter ohne Umladen vom holländischen Nordseehafen Rotterdam per Binnenschiff bis ins rumänische Konstanza verfrachtet werden. Bayern hat damit direkten Anschluss an die Nordsee und das Schwarze Meer. Über die 3500 Kilometer lange Wasserstraße und ihre Nebenflüsse sind 15 europäische Staaten wirtschaftlich vernetzt.

Die Binnenschifffahrt

Die Kanalhäfen Nürnberg und Kelheim haben sich in kürzester Zeit zu moder­nen Güterverteilungszentren entwickelt. Allein von der Binnenschifffahrt und den bayerischen Häfen sind direkt und indirekt über 40.000 Arbeitsplätze abhängig. Seit 1993 wurden durchschnittlich rund 6,2 Millionen Tonnen Güter transportiert. Das ist mehr als die ursprünglich prognostizierten 5,5 Millionen Tonnen und deutlich mehr als die durch die Gegner um den damaligen Bundesverkehrsminister Volker Hauff (SPD) prognostizierten 2,7 Millionen Tonnen. Die wurden schon im Anfangsjahr 1992 mit 3 Millionen Tonnen übertroffen. Von einem „Geisterkanal“ war dennoch vor Eröffnung die Rede.

Spitzenjahr war bis heute das Jahr 2000 mit 8,53 Millionen Tonnen. 2015 lag das Volumen bei 4,8 Millionen Tonnen, 2016 bei 4,6 Millionen. „Wir hatten 2015 und 2016 wesentlich stärkere Rückgänge gehabt als vorher. Das lag am niedrigen Wasserstand auf Rhein und Donau“, berichtet der Leiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Nürnberg, Guido Zander. „Erst seit Herbst 2016 läuft es wieder gut.“ Nach dem 2013 beschlossenen sanften Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen könnte es noch besser werden.

Hilfe für den Wasserhaushalt

Über die Wasserstraße und die Stauseen des Fränkischen Seenlandes werden außerdem jährlich rund 125 Millionen Kubikmeter Donau- und Altmühlwasser ins regenarme Franken geschleust. Ohne die Überleitung aus dem wasserreicheren Donauraum würden mehrere Mainzuflüsse in heißen Sommern trockenfallen und die Wasserqualität sowie der Grundwasserspiegel leiden. Als Puffer dient im Wesentlichen der Rothsee sowie die Überleitung aus dem Altmühlsee in den Kleinen und Großen Brombachsee. Mit dem dort gespeicherten Donauwasser werden in Trockenperioden mehrere Mainzuflüsse gespeist. Zugleich werden größere Hochwasser im Tal der mittleren Altmühl vermieden.

In den vergangenen 20 Jahren flossen so schon über 2,4 Milliarden Kubikmeter Wasser nach Nordbayern – in etwa das Volumen des Chiemsees.

Tourismus in der Region

Der Freizeit- und Erholungs­wert des Kanals ist so groß, dass der Tourismus mittlerweile zu einem der wichtigsten Wirtschafts­faktoren der Region geworden ist. Zum einen gäbe es ohne den Main-Donau-Kanal das touristisch bedeutsame fränkische Seenland mit Altmühl-, Roth- und Brombachsee nicht. Zum anderen ist am gesamten Kanal an mindestens einem Ufer ein Betriebsweg, der für Fußgänger und Radfahrer freigegeben ist. Aufgrund seiner minimalen Steigungen ist er eine beliebte Wander- und Radlroute (als Teil des Fünf-Flüsse- und des Altmühltal-Radweges mit bis zu 60.000 Radler pro Jahr) sowie ein Naherholungsgebiet für Badegäste geworden.

Für den Tourismus im Altmühltal ist der Main-Donau-Kanal eine Erfolgsstory.

Christoph Würflein, Geschäftsführer des Tourismusverbands Naturpark Altmühltal

Einen überraschenden Boom hat auch der Flusskreuzfahrt-Tourismus genommen, für Schiffsreisen zwischen Rotterdam und Wien oder Basel und Budapest. Allein 2016 passierten 1272 schwimmende Hotels den Kanal – vier Mal so viele wie vor 15 Jahren. Davon profitieren vor allem die Städte Nürnberg und Bamberg. Auch in Roth wurde deshalb sogar eine neue Anlegestelle gebaut. Von dem Kuchen des Flusskreuzfahrt-Tourismus hätte auch gerne Christoph Würflein, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Naturpark Altmühl, etwas ab. „Ich würde mir wünschen, dass die Schiffe auch bei uns mal halten“, sagt er. Die Zahl der Touristen habe jedenfalls mit dem Kanalbau deutlich zugelegt. Beliebt seien die Fahrten mit den Ausflugsschiffen zwischen Berching und Kelheim von April bis Oktober. Auch andere Kommunen profitieren: „Insbesondere der Tourismus in der Dreiburgenstadt hat im Zuge des Kanalbaus einen deutlichen Aufschwung erfahren“, ließ die Stadt Riedenburg zum Kanaljubiläum verlauten. Die Übernachtungszahlen in Riedenburg seien von 1992 bis 2015 um 75 Prozent gestiegen.

Die Eingriffe in die Umwelt

Etwa 20 Prozent der Projektsumme, also rund 460 Millionen Euro, flossen in ökologische Ausgleichsmaßnahmen, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik. Auf der Südstrecke entstanden flache Ufer und Stillwasserzonen. Naturschützer sprachen und sprechen dennoch von einem „ökologisch-ökonomischen Alptraum“. Auch wenn die schweren Landschaftseingriffe mittlerweile unter dichtem Grün verschwunden sind. Dem Kanalbau seien „Höhepunkte mitteleuropäischer Kulturlandschaften“ zum Opfer gefallen, heißt es beim Bund Naturschutz, angeblich „600 Hektar schutzwürdigste Feuchtgebiete irreparabel vernichtet“. Dadurch sei eine Vielzahl von Tier und Pflanzenarten dort für immer verschwunden.

Eine ökologische Gesamtbilanz des Main-Donau-Kanals wurde bis heute nicht erstellt. Die Altmühl ist zweifellos beeinträchtigt, über 34 Kilometer. Das idyllische obere Tal blieb unangetastet. „Nicht zu leugnen ist die Tatsache, dass sich das Landschaftsbild im Altmühltal durch den Verlauf des Kanals geändert hat“, steht auf der Webseite der RMD Wasserstraßen GmbH. „Dennoch zeigt die ökologische Beweis­sicherung, dass jetzt ein Natur­raum entstanden ist, der hinsichtlich Flora und Fauna im Vergleich zu früher auch dazugewonnen hat.“ Neben dem Kanal seien neue großflächige Feuchtgebiete, Altwässer und Nebenarme geschaffen worden, die heute wertvolle Rückzugsgebiete für geschützte Tier- und Pflanzenarten seien. Es gibt für Teilabschnitte ökologische Kontrollbilanzen, die 2013 eine Erhöhung der Artenvielfalt feststellten. Mehr als ein Drittel aller vorgefundenen Tierarten seien Rote-Liste-Arten. Allerdings seien Teile der durchgeführten Ausgleichsmaßnahmen nicht erfolgreich gewesen, insbesondere bei Feucht- und Moorgebieten.

Es braucht Zeit

Die Natur braucht Zeit für eine Rückkehr. Einige Tier- und Pflanzenarten wanderten ab, andere kamen hinzu. Aber man wird wohl erst zum 50-jährigen Jubiläum feststellen können, wie sich die Natur langfristig verändert hat.

Immerhin: Im neu geschaffenen Altmühlsee entstand auf einer Insel ein Naturschutzgebiet von circa 200 Hektar Größe. Über 200 verschiedene Vogelarten sind dort zu Hause. Und durch die eingesparten LKW-Fahrten bedeutet das auch eine deutliche Reduktion des umweltschädlichen CO2-Ausstoßes sowie der Straßenschäden. 6,2 Millionen Tonnen Güter entsprechen 310.000 Zwanzig-Tonner-LKW. Hinzu kommt: Der Seeweg von der Nordsee ins Schwarze Meer ist um 60 Prozent geschrumpft, auch hier gibt es Einsparungen.

Kanal im Kopf

Zuallererst hat der Kanal Karl den Großen 793 fas­ziniert, er baute die „Fossa Carolina“ (Karlsgraben), deren Erfolg unklar ist. In nur 10 Jahren Bauzeit (1836 – 1845) entstand dann unter dem damaligen König Ludwig I. von Bayern der Ludwig-Donau-Main-Kanal mit 100 Schleusen zwischen Bamberg und Kelheim. Der Ludwig-Kanal und einige zugehöri­ge Bauwerke sind heute noch großteils wie im Ursprung erhalten – und Bayerns längstes Baudenkmal.