Glaube und Patriotismus: Die Kirche St. Coloman in Kirchseeon erstrahlte während der Fußball-EM im vergangenen Jahr in Schwarz-Rot-Gold. (Foto: Imago/epd)
Werte

Heftige Debatte um die Leitkultur

Bundesinnenminister Thomas de Maizière stellt einen Zehn-Punkte-Katalog auf, warum die Deutschen ihre Leitkultur-Grundwerte selbstbewusst vertreten sollten. SPD, Grüne und FDP wettern dagegen. Unterstützung für den Minister kommt von der CSU.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat die Bundesbürger aufgerufen, sich selbstbewusst zu einer deutschen Leitkultur zu bekennen und sie vorzuleben. „Wer sich seiner Leitkultur sicher ist, ist stark“, schrieb de Maizière in der Bild am Sonntag. Wenn diese eigene Kultur „uns im besten Sinne des Wortes leitet, dann wird sie ihre prägende Wirkung auf andere entfalten. Auch auf die, die zu uns kommen und bleiben dürfen“.

Leitkultur in zehn Punkten

De Maizière nannte einen Katalog von zehn Punkten, der jenseits von Grundrechten und Grundgesetz nach seiner Einschätzung die Leitkultur ausmacht. Dies seien keine Rechtsregeln, „sondern ungeschriebene Regeln unseres Zusammenlebens“, die durchaus um weitere Punkte ergänzt werden könnten, argumentierte der Innenminister. Unter anderem hob er hervor, dass Deutschland eine „offene Gesellschaft“ sei. „Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.“

Wer sich seiner Leitkultur sicher ist, ist stark.

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister

In Deutschland sei „Religion Kitt und nicht Keil der Gesellschaft“. Kirchliche Feiertage „prägen den Rhythmus des Jahres. Kirchtürme prägen unsere Landschaft“. Gleichwohl sei Deutschland weltanschaulich neutral. „Für uns sind Respekt und Toleranz wichtig.“ Zum Mehrheitsprinzip gehöre der Minderheitenschutz. Gewalt werde grundsätzlich nicht akzeptiert. „Wir verknüpfen Vorstellungen von Ehre nicht mit Gewalt.“ Die Deutschen seien „aufgeklärte Patrioten. Ein aufgeklärter Patriot liebt sein Land und hasst nicht andere.“ Zur Leitkultur gehörten zudem ein gewisses Bildungsideal, der Leistungsgedanke, das Erbe der deutschen Geschichte mit dem besonderen Verhältnis zu Israel und der kulturelle Reichtum, so de Maizière.

Widerspruch vom politischen Gegner

Aus den Reihen von SPD, FDP und Grünen kam Widerspruch. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bezeichnete den Vorstoß von Bundesinnenministers für eine Leitkultur als unsinnig. „Die deutsche Leitkultur ist Freiheit, Gerechtigkeit und ein gutes Miteinander, so wie es im Grundgesetz steht“, sagte Schulz der Süddeutschen Zeitung. Die Vorsitzenden der Grünen Jugend, Moritz Heuberger und Jamila Schäfer, nannten ihre Replik „Wir sind nicht Lederhose“ – vermutlich gedacht als eine der üblichen Spitzen gegen Bayern und die CSU. Darin kritisierten sie das Leistungsprinzip, das „krank“ mache und „keinen Stolz“ verdiene. Deutschen Nationalstolz könne es angesichts der NS-Geschichte ohnehin „niemals“ geben. Damit nicht genug: „Vaterlandsstolz ist gefährlich“, er gefährde „die Demokratie“, so die grünen Nachwuchshoffnungen.

Zustimmung kam hingegen aus CDU und CSU. CDU-Vize Thomas Strobl sagte der Heilbronner Stimme: „Der Einwurf des Bundesinnenministers ist goldrichtig.“ Er erklärte zudem: „Wenn ich mir anschaue, wie die in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger beim Referendum abgestimmt haben, muss ich sagen: Das ist auch eine Folge gescheiterter Integration.“

Klare Ansage von der CSU

CSU-Chef Horst Seehofer fügte hinzu: „Ich sage: Endlich findet diese Diskussion jetzt auch auf Bundesebene statt.“ Das Bekenntnis zur Leitkultur sei eine der Voraussetzungen für gelingende Integration. Die Leitkultur sei deshalb auch im bayerischen Integrationsgesetz „längst verankert“, erklärte der bayerische Ministerpräsident. „Das ist notwendig für die kulturelle Identität im Land.“ Der CSU-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, verteidigte de Maizière und verlangte konkrete Taten: „Wir brauchen nicht nur Worte, sondern auch eine klare Umsetzung: Wer sich als Zuwanderer nicht in Deutschland integrieren will, muss in letzter Konsequenz unser Land verlassen. Denn nicht zuletzt der starke Flüchtlingszustrom der letzten Jahre hat große Teile der Bevölkerung verunsichert“, sagte er der Welt.

Wer sich als Zuwanderer nicht in Deutschland integrieren will, muss in letzter Konsequenz unser Land verlassen.

Joachim Herrmann, Innenminister

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der Passauer Neuen Presse: „Es ist überfällig, dass die Debatte über Leitkultur endlich auch in Berlin geführt wird.“ Ohne gemeinsame Selbstverständlichkeiten zerfalle eine Gesellschaft; die deutsche Leitkultur sei viel mehr als das Grundgesetz. Das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn erklärte: „CDU und CSU stehen für ein klares Bekenntnis zu unserer Leitkultur. Gerade weil wir durch Zuwanderung und gesellschaftliche Offenheit vielfältiger werden, brauchen wir die Leitkultur als das einigende Band.“

Der stellvertretende CSU-Generalsekretär Markus Blume ergänzte gegenüber dem Bayernkurier: „Ich habe keinerlei Verständnis für die ewige Aufregung in linken Kreisen beim Thema Leitkultur. Wer sich gegen die Leitkultur stellt, stellt sich gegen unser Land“, sagte der Vorsitzende der Grundsatzkommission der CSU.

Wir kämpfen für die Leitkultur, weil wir wollen, dass Bayern Bayern und Deutschland Deutschland bleibt.

Markus Blume, Vorsitzender der CSU-Grundsatzkommission

Nach Ansicht Blumes müsste „inzwischen dem Letzten klar sein, dass Multi-Kulti gescheitert ist“. Ein überwältigender Teil der Bevölkerung wolle, „dass wir Integration nicht ins Belieben stellen, sondern unsere Leitkultur zur Richtschnur machen“. Noch wichtiger als die Debatte über Leitkultur sei ihre konkrete Verankerung. „Der Bund und die anderen Länder sollten dem Vorbild des bayerischen Integrationsgesetzes folgen und Integration konsequent an unserer Leitkultur ausrichten“, meint Blume.

CDU und CSU stehen für ein klares Bekenntnis zu unserer Leitkultur.

Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

Konsequenzen aus der von Innenminister de Maizière angestoßenen Debatte fordert auch der Unions-Wirtschaftsflügel. „Immer nur ‚Nein‘ zu sagen, reicht nicht aus“, sagte der Vorsitzende der Unions-Mittelstandsvereinigung MIT, Carsten Linnemann (CDU). „Richtig ist, dass die Debatte nur der Anfang sein kann. Am Ende müssen gesetzgeberische Schritte folgen. Appelle allein reichen nicht.“

SPD klagt gegen Integrationsgesetz

Unterdessen wurde bekannt, dass das von der CSU gegen erbitterte Widerstände durchgesetzte Integrationsgesetz vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof überprüft werden muss. Die Landtags-SPD reichte wie angekündigt Klage gegen das Gesetz ein – und griff dabei Staatsregierung und CSU mit scharfen Worten an. „Die CSU verordnet dem Freistaat Bayern eine Leitkultur und macht damit ein Stück weit aus unserem Land auch einen autoritären Bevormundungsstaat“, behauptete SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. Die CSU hatte das Gesetz im Dezember im Landtag durchgedrückt – es wurde aber wegen langen Widerstands von SPD und Grünen erst nach einer nächtlichen Marathonsitzung beschlossen.

Angesichts der Gegenwehr von Rot und Grün gegen die Leitkultur-Diskussion erstaunt das Ergebnis einer Umfrage vom vergangenen Herbst, die das Institut „Policy Matters“ im Auftrag der CSU-Landtagsfraktion durchgeführt hat: Darin gaben 95 Prozent der befragten SPD-Wähler, 90 Prozent der CSU-Wähler und sogar 78 Prozent der Grünen-Wähler an, dass sie die Leitkultur als Maßstab bei der Integration von Einwanderern gewahrt sehen wollen.