Die Nato muss sich ändern
So wichtig war die Münchner Sicherheitskonferenz noch nie: Sie ist der erste große internationale Auftritt von Spitzenrepräsentanten der neuen US-Regierung und die erste Gelegenheit zum direkten Gespräch mit ihnen. Wichtigstes Thema: die Zukunft der Nato. Zu den Top-Gästen zählen US-Vizepräsident Mike Pence, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der neue UN-Generalsekretär Antonio Guterres.
Sicherheitskonferenz

Die Nato muss sich ändern

So wichtig war die Münchner Sicherheitskonferenz noch nie: Sie ist der erste große internationale Auftritt von Spitzenrepräsentanten der neuen US-Regierung und die erste Gelegenheit zum direkten Gespräch mit ihnen. Wichtigstes Thema: die Zukunft der Nato. Zu den Top-Gästen zählen US-Vizepräsident Mike Pence, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der neue UN-Generalsekretär Antonio Guterres.

Die Münchner Sicherheitskonferenz kehrt zu ihren Anfängen zurück. Als Nato-Konferenz hat sie 1963 begonnen unter der harmlosen Bezeichnung „Wehrkundetagung“, für ein paar Dutzend Eingeweihte und Politiker, ohne Tross und ohne großes Publikum. Und immer ging es in der eher unauffälligen Nato-Konferenz vor allem um die Nato, damals im Kontext des Kalten Krieges.

US-Ultimatum an die Europäer

Ganz besonders um die Nato wird es nun auch auf der 53. Münchner Sicherheitskonferenz gehen, die an diesem Freitag beginnt. Und wie zu alten Wehrkundetagen sind die Amerikaner mit Abstand die wichtigsten Gäste und setzen das Nato-Thema. Genau das hat US-Verteidigungsminister James Mattis zwei Tage vor Beginn der Münchner Tagung getan – mit Knalleffekt: Die Europäer müssten sehr viel mehr für ihre Verteidigung und für die Nato tun, sonst müsse Washington seine Nato-Verpflichtungen überdenken, hat er auf dem Brüsseler Treffen der Nato-Verteidigungsminister angedroht. Es war sein erster Nato-Auftritt als US-Verteidigungsminister überhaupt. Mattis wörtlich: „Amerika wird seine Verantwortung erfüllen, aber wenn Ihre Nationen nicht erleben wollen, dass es seine Verpflichtungen für die Allianz abschwächt, muss jede Ihrer Hauptstädte Unterstützung für eine gemeinsame Verteidigung zeigen.“ Entscheidendes kleines Wort: „muss”.

Amerika kann sich nicht mehr um die Zukunft Ihrer Kinder kümmern, das müssen Sie tun.

US-Verteidigungsminister James Mattis

Die Nato-Partner sollen einen größeren finanziellen und materiellen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung leisten. Das hat Präsident Donald Trump in seinem Wahlkampf immer wieder gefordert, und dass forderte jetzt in Brüssel sein Verteidigungsminister in klarer Sprache. Mattis: „Amerika kann sich nicht mehr um die Zukunft Ihrer Kinder kümmern, das müssen Sie tun.“ Die europäischen Nato-Partner, soll das heißen, müssen sich selber mehr um ihre Sicherheit kümmern und selber mehr leisten. Deutlich mehr. In Brüssel hat Mattis den Europäern fast ein Ultimatum gestellt: Bis Ende des Jahres müssen die Verbündeten in einem Plan festhalten, wie sie ihre Verteidigungsausgaben erhöhen wollen. Der amerikanische Steuerzahler, so Mattis in Brüssel zu seinen Nato-Kollegen, könne nicht länger einen unverhältnismäßig hohen Anteil für die Verteidigung westlicher Werte zahlen.

Mehr Geld für Verteidigung

Das ist keine neue Forderung. Schon 2014, auf dem Nato-Gipfel im britischen Newport, hatten die Bündnispartner verabredet, ihre Verteidigungsausgaben innerhalb eines Jahrzehnts auf zwei Prozent ihrer Wirtschaftskraft zu erhöhen. Tatsächlich hat schon vor fast zwanzig Jahren Nato-Generalsekretär George Robertson (1999-2003) ähnliche Forderungen wieder und wieder vorgetragen. Doch geschehen ist nichts. Neben den USA haben im vergangenen Jahr nur zwei Länder das Zwei-Prozent-Ziel erreicht: Griechenland und Estland. Beide fühlen sich unmittelbar militärisch bedroht: Die Griechen vom Nato-Partner Türkei, die Esten von den Russen. Großbritannien und Polen liegen ganz knapp unterhalb der Zwei-Prozent Schwelle. Deutschland etwa ist mit 1,2 Prozent weit davon entfernt.

Seit Ende des Kalten Krieges ist der Beitrag der USA zu den Kosten der Nato von 50 Prozent auf heute 72 Prozent gestiegen.

Während die Amerikaner im Jahr 2015 etwa 594 Milliarden Dollar für Verteidigung ausgaben, investierten die europäischen Nato-Partner und Kanada zusammen etwa 273 Milliarden Dollar in ihre Verteidigungshaushalte. Rechnet man die internationalen US-Verpflichtungen heraus und schaut nur auf die Nato, so ist das Verhältnis noch ungünstiger: Seit Ende des Kalten Krieges ist der Beitrag der USA zu den Kosten der Nato von 50 Prozent auf heute 72 Prozent gestiegen (Le Monde). Schon vor sechs Jahren hat der damalige US-Verteidigungsminister Bob Gates in einer geharnischten Abschiedsrede in Brüssel seinen Nato-Kollegen genau diese Zahlen vorgetragen und warnend hinzugefügt, dass das so nicht weitergehen könne. Die Europäer haben es schulterzuckend über sich ergehen lassen und nicht reagiert. Das war wohl ein Fehler. Jetzt haben sie es mit einer US-Regierung zu tun, die sich solche europäische Gleichgültigkeit nicht länger gefallen lassen will.

Neue Washingtoner Sicht: Wenn die Nato relevant bleiben soll, dann muss sie sich ändern.

Washington will an der Nato festhalten, versicherte Mattis in Brüssel: „Die Allianz bleibt eine fundamentale Basis für die USA und für die ganze transatlantische Gemeinschaft, die uns verbindet.“ Dem Versprechen schickte er aber eine Mahnung hinterher, die die europäischen Kollegen auch als Drohung verstehen durften: „Wir müssen sicherstellen, dass der transatlantische Bund stark bleibt.“ Genau das will Washington eben nicht mehr alleine leisten müssen. Problem: Wenn der transatlantische Bund nicht stark bliebe, wäre er aus Washingtoner Sicht auch nicht mehr nützlich. Die Europäer haben es also in der Hand. Als „erfolgreichste Militärallianz der Geschichte“ hat Mattis unmittelbar vor dem Treffen in Brüssel die Nato bezeichnet und dann hinzugefügt: „Doch die Art der Kriege hat sich in den zurückliegenden Dutzend Jahren geändert. Und so muss sich auch die Art, wie sich Armeen dem entgegenstellen, ändern.“ Was heißen sollte: Wenn die Nato relevant bleiben soll, dann muss sie sich ändern. Insbesondere erwartet Washington von der Nato mehr Beteiligung am Krieg gegen den Islamischen Staat.

30 Staats- und Regierungschefs

Trump und sein Verteidigungsminister meinen es ernst mit ihren Ansprüchen an die Nato. Mit umso größerer Spannung wird nun die 53. Münchner Sicherheitskonferenz erwartet − der erste internationale Auftritt von Spitzenrepräsentanten der Trump-Administration und die erste Gelegenheit zum direkten persönlichen Kontakt mit ihnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erhält in München Gelegenheit zum Gespräch mit US-Vizepräsident Mike Pence. Ebenfalls in München dabei sind Verteidigungsminister James Mattis und Heimatschutzminister John Kelly. Eine über ein Dutzend Personen große Delegation des US-Kongresses wird von Senator John McCain angeführt. Bislang war McCain in München regelmäßig gut für sehr klare pointierte Statements. Weiterer Spitzen-Gast: der neue UN-Generalsekretär Antonio Guterres.

Mehr als 30 Staats- und Regierungschefs werden an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnehmen,  unter ihnen etwa der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, Norwegens Premierministerin Erna Solberg und Ungarns Premier Viktor Orban. Unter 80 Außen- und Verteidigungsministern in München befinden sich Russlands Sergej Lawrow, Frankreichs Jean-Marc Ayrolt, Großbritanniens Boris Johnson und Israels Avigdor Liberman. Mit Wang Yi ist zum ersten Mal ein chinesischer Außenminister dabei.

Die Bundesregierung wird nicht nur von der Bundeskanzlerin, sondern auch von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Außenminister Sigmar Gabriel und Innenminister Thomas de Maizère vertreten. Mit dabei sein werden auch mehr als 60 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen. Beim traditionellen Gala Dinner des bayerischen Ministerpräsidenten im mit Hunderten Kerzen festlich beleuchteten Kaisersaal der Residenz wird am Samstagabend Bundespräsident Joachim Gauck den diesjährigen Ewald-von-Kleist-Preis der Münchner Sicherheitskonferenz entgegennehmen. Die Laudatio hält Finnlands Präsident Sauli Niinstö.

Heikle anti-amerikanische Töne

Aber alle werden vor allem die Amerikaner hören und mit ihnen sprechen wollen. Da könnte sich rächen, dass manche Europäer schon sehr bitter über die neue US-Regierung gesprochen haben – in aller Öffentlichkeit und oft vor allem für die Öffentlichkeit. Das reichte von moralischen Belehrungen am Telefon, die dann öffentlich verkündet wurden, bis zu Fast-Beleidigungen – „Hassprediger“ – während des US-Wahlkampfes und seither.

Die Amtseinführungsrede von Präsident Donald Trump verwendete nicht Worte wie Demokratie, Freiheit oder Menschenrechte. Das verheißt nichts Gutes für liberale Werte überall in der Welt.

Munich Security Report 2017

Eine nicht nur kritische, sondern oftmals polemische Tonart beherrscht die europäische Debatte über die neue US-Regierung. Sie hat auch Eingang gefunden in eine textliche Grundlage der Münchner Sicherheitskonferenz. „Post-Truth, Post-West, Post-Order“ betitelt das Sicherheitskonferenz-Team seinen englischsprachigen Munich Security Report 2017. „Die Vereinigten Staaten könnten statt ein Lieferant öffentlicher Güter und internationaler Sicherheit zu sein, dazu übergehen, eine unilateralere, vielleicht sogar nationalistische Außenpolitik zu verfolgen“, warnt der Vorsitzende der Sicherheitskonferenz, Botschafter Wolfgang Ischinger, im Vorwort. Im ersten Kapitel des Munich Security Report ist die Rede vom „illiberalen Augenblick“, von „illiberalen Kräften, die an Boden gewinnen“, von der neuen Trennungslinie zwischen einem „liberalen kosmopolitischen Pol und einem populistischen (oder gar fremdenfeindlichen autoritären) Pol“. Und immer ist damit auch die neue US-Regierung gemeint. Bis hin zu einem etwas sonderbaren persönlichen Angriff gegen den neuen Präsidenten: „Die Amtseinführungsrede von Präsident Donald Trump verwendete nicht Worte wie Demokratie, Freiheit oder Menschenrechte. Das verheißt nichts Gutes für liberale Werte überall auf der Welt.“

Präsident Trump ist weniger bereit als seine Vorgänger, sich bittere – gar antiamerikanische – Töne ruhig anzuhören.

Man wird sehen, wie solche Münchner Tonlage bei den Vertretern der neuen US-Regierung ankommt. Sicher ist: Präsident Trump ist weniger bereit als seine Vorgänger, sich bittere – gar antiamerikanische – Töne ruhig anzuhören. Auch hier hat sich in Washington etwas geändert. Was nun Folgen haben könnte für die Nato. Die Europäer werden sich darauf einstellen und künftig gut überlegen müssen, wie sie mit – und über – Amerika reden. Jedenfalls dann, wenn ihnen ihre Nato lieb und teuer ist. Das sollte sie. Denn eines hat sich auch mit Donald Trump nicht geändert: Für die Europäer ist die Nato viel wichtiger als für die Amerikaner.