Eine Frage des Stils
Noch bevor er seine eigene Partei über seinen Entschluss informiert hat, gab er offenbar seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur einigen Medien gegenüber preis. Deutlicher kann man kaum zeigen, wie wenig man von den eigenen Leuten hält. Auch die Wähler können sich vom SPD-Chef für dumm verkauft fühlen.
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Eine Frage des Stils

Kommentar Noch bevor er seine eigene Partei über seinen Entschluss informiert hat, gab er offenbar seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur einigen Medien gegenüber preis. Deutlicher kann man kaum zeigen, wie wenig man von den eigenen Leuten hält. Auch die Wähler können sich vom SPD-Chef für dumm verkauft fühlen.

Stilloser geht es kaum. Über Monate hat Sigmar Gabriel seine Partei und die Öffentlichkeit darüber im Unklaren gehalten, ob er denn nun als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten zur Bundestagswahl antreten will oder nicht. Immer wieder hat er bei Fragen auf den vereinbarten „Fahrplan“ verwiesen. Ende Januar sollte die Parteiführung das Ergebnis der Kandidatenfindung bekannt geben.

Und jetzt das: Vom Titelblatt der neuen Ausgabe des Magazins Stern lächelt ein entspannter Sigmar Gabriel. „Der Rücktritt“ lautet die Schlagzeile. Und darunter: „SPD-Chef Sigmar Gabriel über seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur, seinen Nachfolger, seine Vorwürfe gegen Merkel und sein neues, privates Glück.“ Dieser Stern-Titel wird bekannt, wenige Stunden bevor sich in Berlin das SPD-Präsidium treffen will, um über das Spitzenpersonal für die Bundestagswahl zu beraten.

Lange Gespräche mit Journalisten

Zeitgleich meldet die Zeit ebenfalls Gabriels Entscheidung. „Welche privaten Motive und politischen Erwägungen den SPD-Chef zum Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bewogen haben, hat Gabriel dem stellvertretenden ZEIT-Chefredakteur Bernd Ulrich in den vergangenen sechs Monaten in vielen Gesprächen dargelegt“, schreibt das Blatt in einer Vorab-Meldung.

Deutlicher kann man der eigenen Partei und den Wählern kaum den Stinkefinger zeigen. Obwohl er sich offenbar längst entschieden hatte, führte Gabriel der Öffentlichkeit ein Schmierenstück vor. Der politische Anstand hätte es verlangt, erst die Partei und dann die Öffentlichkeit zu informieren. Zeit für große Rechtfertigungs-Interviews und verständnisvolle Porträts wäre dann immer noch genug geblieben. Aber Gabriel wollte offenbar ein Zeichen setzen, vor allem gegenüber seiner eigenen Partei: Ihr seid die letzten – die letzten, denen ich es sage. Gabriels Vorgehen lässt tief in die innerparteilichen Abgründe der Sozialdemokraten blicken.

Selbstdemontage der SPD

Tatsächlich dürfte das Verhalten der Genossen keine unwesentliche Rolle bei Gabriels Entschluss gespielt haben. Brutaler als er wurde schon lange kein Partei-Chef mehr demontiert. Gerade einmal 74 Prozent der Stimmen bekam er bei der letzten Wahl zum Parteivorsitzenden. Die Abstimmung über das Handelsabkommen CETA inszenierten die Sozialdemokraten als Scherbengericht über ihren Vorsitzenden. Zuletzt durfte ihn jeder kritisieren, der wollte. Etwa die Juso-Chefin Johanna Uekermann, selbst gerade bei der Listenaufstellung in Bayern krachend gescheitert: Eine „vier minus“ gab die Jungsozialistin ihrem Parteivorsitzenden. „Die SPD spielt am liebsten das Spiel ‚Wir gegen uns‘, hat sich Gabriel unlängst beklagt. Jetzt macht er dabei nicht mehr mit und räumt sich selbst vom Spielfeld.

Neuer Posten: Außenminister

Doch halt, so ganz gehen will der Berufspolitiker dann doch nicht. Für sich hat er längst einen neuen Posten ausgeguckt. Außenminister als Nachfolger des künftigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier möchte er werden. Und auch die Nachfolgerin im Wirtschaftsministerium steht dem Vernehmen nach schon fest: Brigitte Zypries, als Justizministerin noch in unguter Erinnerung, soll ihm nachfolgen. Als Spitzenkandidat soll der ehemalige Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, in den Wahlkampf ziehen. Auch hier stellt Gabriel seine Partei offenbar vor vollendete Tatsachen. Ein abgekartetes Spiel, das auch den Wählern nicht gefallen kann. Auch sie stellen sich zu Recht die Frage, wann einmal nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden wird.