Das Rathaus im schwäbischen Neu-Ulm. Die Stadt will ihren Landkreis verlassen und - wie einst - wieder kreisfrei werden. (Archivbild: Stadt Neu-Ulm)
Neu-Ulm

Zeit für den „Nuxit“?

Die Stadt Neu-Ulm prüft die Möglichkeit, aus dem eigenen Landkreis auszutreten und kreisfreie Stadt zu werden. Es wäre das erste Mal seit der Gebietsreform in den 1970er Jahren, dass sich eine Stadt von ihrem Kreis "lossagt". Als Hauptgründe nennt die Stadt finanzielle Belastungen und die schwerfällige Verwaltung.

Bis 1972 war die schwäbische Stadt Neu-Ulm kreisfrei – dann verlor die Kommune die Selbstständigkeit und wurde in den gleichnamigen Landkreis eingegliedert. Jetzt, knapp 45 Jahre später, könnte sich an dieser Konstellation etwas ändern: Denn in der Stadtregierung gibt es Überlegungen, Neu-Ulm aus dem Landkreis herauszulösen und wieder zur kreisfreien Stadt zu machen.

„Nuxit“ wäre eine Premiere

Für den Freistaat wäre es ein Novum: Es wäre das erste Mal seit der Gebietsreform in den 1970er Jahren, dass eine kreisangehörige Stadt aus dem eigenen Landkreis austreten würde. Die Stadt prüft derzeit die Vor- und Nachteile eines solchen Schritts. In einigen Monaten soll entschieden werden – in der lokalen Presse sprechen die Journalisten schon vom „Nuxit“ – in Anlehnung an den „Brexit“, den Austritt Großbritannens aus der EU.

Einwohnerzahl übersteigt die 60.000er-Marke

Seit der Eingliederung in den Landkreis ist die Einwohnerzahl von Neu-Ulm stark gestiegen, um fast die Hälfte. Heute hat die Stadt mehr als 60.000 Einwohner – Tendenz steigend – und bildet zusammen mit der doppelt so großen Schwesterstadt Ulm in Baden-Württemberg ein bedeutendes wirtschaftliches Zentrum. Neu-Ulm liegt bei den größten Städten Bayerns an 15. Stelle. Alle Kommunen im Freistaat, die noch größer sind, sind kreisfrei. Und hinter Neu-Ulm rangieren mehrere Städte wie Coburg, Amberg oder Memmingen, die weit weniger als 50.000 Einwohner haben, aber trotzdem kreisfrei sind.

Rein formal erfüllt Neu-Ulm jedenfalls die Voraussetzungen dafür, wieder kreisfrei zu werden. Nach der Bayerischen Gemeindeordnung muss eine Stadt dafür mindestens 50.000 Einwohner haben. Dann könnte die Staatsregierung mit Zustimmung des Landtags und bei Anhörung des Kreistages die Gemeinde für kreisfrei erklären.

Die Stadtverwaltung teilte mit, sie prüfe und sammle aktuell „alle Details“ zu einem möglichen Austritt. Das Ergebnis werde dann dem Neu-Ulmer Stadtrat vorgelegt. Bis Mitte des Jahres 2017 solle die Prüfung aber abgeschlossen sein.

Was wird aus dem Landkreis?

Der Landkreis Neu-Ulm gehört zu den bevölkerungsreichen Kreisen Bayerns – auch und gerade wegen der Kreishauptstadt. Mit Austritt Neu-Ulms würde rund ein Drittel der Bevölkerung wegbrechen. Landrat Thorsten Freudenberger sieht die Überlegungen in der Kreisstadt daher „sehr nüchtern“, wie der CSU-Politiker mitteilte. „Der Landkreis wäre auch ohne die Stadt Neu-Ulm eine für bayerische Verhältnisse normal große kommunale Einheit“, betonte er. Allerdings machte Freudenberger auch klar, dass er einen Austritt der Stadt bedauern würde: „Man hat gemeinsam eine Erfolgsgeschichte von 44 Jahren.“

Der Landkreis wäre auch ohne die Stadt Neu-Ulm eine für bayerische Verhältnisse normal große kommunale Einheit. Allerdings hat man gemeinsam eine Erfolgsgeschichte von 44 Jahren.

Thorsten Freudenberger, Landrat von Neu-Ulm

Krankenhäuser in der Krise, Verwaltungsstruktur zu unflexibel

Die Hauptgründe für die Überlegungen der Stadtregierung sind finanzieller Natur: Ein Aspekt ist die Krise der Kreiskrankenhäuser. Zuletzt war mitgeteilt worden, dass die Kliniken ein Defizit von 13 Millionen Euro verbuchen werden. Dies könnte bedeuten, dass die von der Stadt zu zahlende Kreisumlage um mehrere Millionen Euro steigen werde, kritisierte die Neu-Ulmer CSU-Stadtratsfraktion und fordert, dass die Umlage „kein Selbstbedienungsladen für den Landkreis“ sein dürfe.

Landrat Freudenberger: Stadt profitiert vom aktuellen Status

Genau diese Umlage dürfte in diesem Jahr von 28 auf etwa 35 Millionen Euro steigen. Die Stadt aber, so betonte Landrat Freudenberger, profitiere von ihrem aktuellen Status und habe in den vergangenen Jahren vom Kreis mehr zurückerhalten, als sie Umlage gezahlt habe. Die Stadt profitiere auch von den etablierten Verwaltungsstrukturen und müsse sich sonst künftig selbst um Schulen und Sozialkosten kümmern.

CSU-Stadtratsfraktion sieht Debatte positiv

Die CSU-Stadtratsfraktion in Neu-Ulm steht der Diskussion um die Kreisfreiheit dagegen durchaus aufgeschlossen gegenüber. Die Fraktion teilte mit, man wolle sich mit dem „wichtigen Thema und seinen möglichen Konsequenzen intensiv auseinandersetzen“. Im Austritt aus dem Landkreis bietet sich in den Augen der Christsozialen um Oberbürgermeister Gerold Noerenberg eine „gute Chance, Verwaltungsstrukturen schlanker, effizienter, effektiver und insgesamt bürgernäher zu organisieren“, wie es Fraktionschef Johannes Stingl formulierte. Auch die SPD als zweitgrößte Fraktion hat klar gemacht, dass sie über einen möglichen Kreisaustritt diskutieren möchte. Eine endgültige Entscheidung, so machte eine Sprecherin der Stadt aber deutlich, sei noch lange nicht gefallen.