Der Lärmschutzwall befindet sich nur entlang des Grünstreifens zum Wohngebiet. (Bild: A. Schuchardt)
Neuperlach

„Die Mauer muss nicht weg“

Bei der Diskussion um einen Münchner Lärmschutzwall zwischen Wohngebiet und Flüchtlingswohnheim steht das Wohl dieser Menschen längst nicht mehr im Vordergrund. Die Debatten machen deutlich, wie Polemik Fakten schlägt und welche Macht die Medien dabei haben.

Der Münchner Merkur titelte „Mauer gegen Flüchtlinge“, die Süddeutsche „Grenze zwischen wir und die“, in der ARD ist die Rede vom „Realen Irrsinn“. Der Lärmschutzwall an der Flüchtlingsunterkunft im Münchner Stadtteil Neuperlach sorgt für massiven Streit, bis hin zu Vandalismus. Auf der Seite der Mauer, die den Anwohnern zugewandt ist, prangen nun die Worte „Rassismus pur“ und „Gegen Grenzen“. Mehrfach haben unbekannte Schmierfinken Hauswände der Anwohner mit Beleidigungen verunstaltet – die üblichen hochintellektuellen, linken Parolen von den „Drecks-Faschos“, „Rassisten“ und „Nazis“. Sachlich hinterfragt wird das Bauprojekt nicht.

Dabei handelt es sich um einen ausgehandelten Kompromiss. Bereits vor Jahren klagten Anwohner gegen den Bau der Flüchtlingsunterkunft. Um den Bau fortführen zu können, einigte man sich vor dem Verwaltungsgericht auf eine Lärmschutzmaßnahme. Das Ergebnis – die sogenannte „Mauer“ – besteht aus in Gitter geschichteten Steinen und soll zudem begrünt werden. Zusätzlich ist ein bepflanzter Erdwall geplant. Ein Schallschutzgutachten ergab die Höhe von vier Metern für die Mauer, die technisch abhängt vom Ausgangspunkt und vom Empfangspunkt der Schall-Emissionen. Schon diese Fakten werden in der Berichterstattung kaum erwähnt.

Video sorgt für Wirbel

Der Bau des Wohnheims für rund 160 unbegleitete, junge Flüchtlinge in dem Gewerbegebiet in Neuperlach war 2014 vom Stadtrat beschlossen worden. Ein Lärmschutz war ursprünglich überhaupt nicht geplant. Doch die Bürger protestierten.

Deshalb habe es ein Gespräch im Rathaus mit Anwohnern, Bezirksausschuss, Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) und Verwaltung gegeben. Dabei sei ein Lärmschutz als Kompromiss ausgehandelt worden, damit die Unterkunft endlich gebaut werden konnte. Doch warum stürzen sich plötzlich die Medien auf das Thema? Das hat Guido Bucholtz vom Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach forciert, ein aus den Grünen ausgetretener Parteiloser. Er hatte ein Video von der Mauer an Münchner Zeitungen geschickt und damit die Debatte mit ins Rollen gebracht. „Das ist ein Signal: Man schottet die Flüchtlinge ab, weil man sie eh nicht haben will“, warf er der Stadt vor. Auch die Geschäftsführerin des selbsternannten Münchner Flüchtlingsrates, Monika Steinhauser, sagte: „Wer andere ausschließt, der schließt sich selber ein.“

Es ist eine Schallschutzmaßnahme, um die Spielwiese für die Flüchtlinge zu ermöglichen.

Thomas Kauer, CSU

Dabei ist die Unterkunft nicht von der Mauer umschlossen. Da sie zwischen Gewerbe- und Wohngebiet liegt, befindet sich das Bauwerk nur entlang des Grünstreifens zum Wohngebiet. Zu allen anderen Seiten ist die Fläche offen.

Künstler bauen „Checkpoint Ali“

Trotzdem: „Die Mauer muss weg“, lautete ab sofort der Tenor. Grüne Partei und Stadtratsfraktion forderten den Abriss. Alt-Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), stets einer der ersten Empörten, ereiferte sich über ein „entsetzliches Symbol“, SPD-Landtags-Fraktionschef Markus Rinderspacher nannte die Mauer im BR ein „Symbol der Abgrenzung und Abschottung“ und „ein völlig falsches Signal“. Am 9. November rief das Bündnis „Bellevue di Monaco“ gegen die Maßnahme gar zum Protest auf.

Die Sozialgenossenschaft errichtete mit Künstlern einen „Checkpoint Ali“ als symbolischen Grenzübergang zwischen dem Wohnheim und dem Rest des Stadtviertels. „Mögen sich die Menschen auf beiden Seiten der Mauer, hier wie drüben, kennen- und schätzen lernen“, heißt es dazu pathetisch auf der Internetseite von Bellevue die Monaco. Die Initiatoren erschienen in Uniformen verkleidet und schenkten sich Sekt ein. Flüchtlinge waren bei der Aktion nicht dabei, aber einige Anwohner kamen.

Fakten statt Polemik

Unter ihnen Roland Fischer, stellvertretender Vorsitzender der SPD München. Er kann den Aufruhr um die Lärmschutzmauer nicht nachvollziehen. Zudem kritisiert er, wie auch viele andere, den Vergleich zur Berliner Mauer, an der Menschen erschossen und gestorben seien.

Die Protestaktion ist dem historischen Datum des 9. Novembers nicht angemessen. Die Frage lautet hier: wo endet das Recht des Einzelnen und wo beginnt das der Allgemeinheit.

Roland Fischer, stellvertretender Vorsitzender der SPD München

Alles halb so wild

Nicht nur Fischer, ein Großteil der Anwohner bedauert, dass der Stadtteil Neuperlach aufgrund der Diskussionen in ein schlechtes Licht gerückt wird. „Die Berichterstattung hat Neuperlach nicht verdient“, bedauert Fischer. Hier gehe es nicht um Abschottung. Das Ziel sei eigentlich, dass der Bau endlich voran komme und die Flüchtlinge untergebracht werden können. „Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass jetzt das Ende der Münchner Willkommenskultur ausgerufen wird“, sagte auch SPD-Bürgermeisterin Strobl in der AZ. „Wir haben einen guten Betreuungsschlüssel, gerade bei dieser Unterkunft viele Möglichkeiten zur Bewegung.“ Schallschutzmauern gebe es doch auch bei „x Bezirkssportanlagen“.

Der Chef des örtlichen Bezirksausschusses, Thomas Kauer (CSU), betonte ebenfalls in der AZ: „Es ist keine Mauer gegen Flüchtlinge. Das hätten in München Gerichte und Politik nicht zugelassen. Es ist eine Schallschutzmaßnahme, um die Spielwiese für die Flüchtlinge zu ermöglichen.“ Die Checkpoint-Aktion hielt er für geschmacklos. „Die Hälfte der Leute, die da am Mittwoch in NVA-Jacken herumgelaufen ist, kennt Neuperlach sonst nur vom Stadtplan“, so Kauer im Münchner Merkur. Und weiter: „Ich respektiere die Kunstfreiheit, aber genauso einen rechtsgültigen Bebauungsplan.“

Aber bei der Debatte steht das Wohl dieser Menschen längst nicht mehr im Vordergrund. Dabei könnten die Pflanzen entlang der Steinmauer und auf dem Erdwall bis zu ihrem Einzug bereits ordentlich blühen. Denn erst im Frühjahr 2017 ist das Wohnheim bereit für den Einzug. Voraussetzung dafür wären allerdings kein weiterer Vandalismus und eine an Fakten orientierte Berichterstattung der lokalen Medien.