Höchstgelegene Baustelle der Republik: In die alte Gipfelstation der Zugspitz-Seilbahn kommt die neue. Im Vordergrund: die eigens installierte Lastenbahn. (Foto: Picture Alliance/ Angelika Warmuth)
Berg-Bau

Der Gipfel der Baukunst

Halbzeit beim Bau der neuen Seilbahn auf die Zugspitze: Bis Ende 2017 entsteht für 50 Millionen Euro eine neue Gondel-Verbindung auf Deutschlands höchstes Felsmassiv. Eine logistische Spitzenleistung – bei laufendem Bahnbetrieb errichten spezialisierte Berg-Arbeiter die neue Panorama-Gipfelstation.

Den Lärm von Presslufthämmern, den Dieselgestank der Kompressoren – all das erklärt Seilbahnschaffner Peter Langer zum wahren Hoch-Genuss. Er steht am Bedienpult seiner Gondel, gezwirbelter Schnauzbart unter der Nase und auf dem Kopf der Filzhut, auf dem mit rotem Faden eingestickt steht: „Zugspitze 2962 Meter“. So fährt er eine Fuhre Neuseeländer, Inder und Rheinländer zum Gipfel und verkündet: „Liebe Fahrgäste, wenn sie oben Lärm oder Staubbelästigung wahrnehmen – genießen Sie’s! Das ist zur Zeit Deutschlands höchste Baustelle.“ Langer zwinkert humorig, denn die Zustände auf dem höchsten Berg der Republik muss er für die verdutzten Touristen schon ein bisschen zur Sehenswürdigkeit überhöhen. „Momentan ist die Zugspitze sogar noch 16 Meter größer, bis zur Spitze des Baukrans“, erklärt er.

Das rund 50 Millionen Euro teure Bauprojekt ist das derzeit größte in den Alpen.

Surrend saust Langers Gondel hinauf, schwebt über die 30 Meter breite Schneise, die Forstarbeiter in den Bergwald geschlagen haben. Denn bis Dezember 2017 entsteht hier die neue Eibsee-Seilbahn, ein Stückchen weiter links von der bisherigen, die seit 1963 an der Nordwand auf- und abfährt. Mit einer modernen Talstation, einer futuristischen Gipfelglashochglanzmondstation. An den insgesamt 4,5 Kilometer langen Stahltauen werden zwei Panorama-Passagierkabinen hängen, die statt bislang 44 dann 120 Personen pro Fahrt transportieren können. Das rund 50 Millionen Euro teure Bauprojekt ist das derzeit größte in den Alpen. Eine planerische und logistische Topleistung, die den Berg nach Langers Behauptung schon jetzt in einen Gipfel der Genüsse verwandelt.

Mit einem dumpfen Schlag dockt die mehr als fünfzig Jahre alte Seilbahn oben an. Als Langer die Schiebetür öffnet, weht den Besuchern kühle Höhenluft entgegen. An diesem sonnigen Spätvormittag gleitet ihr Blick bei bester Fernsicht über das bayerische Voralpenland. Für eine Sekunde können sie sich wie an einem ruhenden Höhepunkt der Welt fühlen. Doch als hätte Langer einen Knopf gedrückt, um seine Ankündigung wahr zu machen, setzen einige Meter unter ihnen die Schlagbohrer ein. Kreischend zerteilt ein Arbeiter in blauer Latzhose mit der Kreissäge Bretter. „Oh“, entfährt es einer Inderin, die erstaunt ihre Sonnenbrille über die Nase lupft, um das Geschehen besser zu sehen. Langer grinst zufrieden.

Tiefbau auf fast 3000 Metern Höhe

Die Gipfelstürmer-Gruppe tappt hinein in die alte Gipfelstation. Durch die verstaubten Fenster können sie weit in Richtung Süden blicken, über schneebedeckte Berge bis nach Südtirol. Allerdings verstellt ihnen ein Bagger die Sicht. Muskulöse Männer tragen auf ihren Schultern Rohre vorüber. Mit der Flex kappt einer die Stufen einer Metalltreppe, die im Weg steht. Denn mitten durch das alte Gebäude sollen die tonnenschweren Stahlträger gezogen werden, auf denen künftig das neue Gehäuse ruht. Durch Krach und Dreck zieht die Touristengruppe weiter, hinauf zur Gipfelterrasse. Vorbei an Bauleiter Peter Spielmann, der mit rudernden Armen seine Arbeiter antreibt. „Das ist hier eine einzigartige Baustelle“, stöhnt der Österreicher, „bei konstant laufendem Besucherbetrieb setzen wir einen Neubau in den alten.“

Wenn die auf fast 3000 Metern den ganzen Tag schwere Baumaterialien herumschleppen – die Anstrengung geht in der Höhenluft brutal auf die Lunge.

Peter Spielmann, Bauleiter

Kurioserweise zählt das Projekt auf Bayerns höchstem Punkt ins Fachgebiet des Tiefbaus, weil eine Art Tunnel durch die Bauten von 1963 gezogen wird. Spielmanns Unternehmen, die Geo Alpinbau aus Tirol, ist spezialisiert auf solche Vorhaben in den Bergen. Vergleichbar ist die neue Seilbahnbaustelle nur mit zwei anderen Großprojekten aus jüngerer Zeit: dem „Skyway Monte Bianco“, der 2015 von der italienischen Seite zum Mont Blanc gezogen wurde, und der „E5“-Bahn, die seit 2013 von Ischgl zum Piz Val Gronda führt. Bauingenieur Spielmann beschäftigt ein Dutzend bergfeste Männer, alle müssen topfit sein. „Wenn die auf fast 3000 Metern den ganzen Tag schwere Baumaterialien herumschleppen – die Anstrengung geht in der Höhenluft brutal auf die Lunge“, sagt er. Gute Nerven brauchen sie obendrein. Im vergangenen Jahr hat Spielmann bereits drei Kranführer verschlissen. Denn täglich müssen bis zu 50 Kubikmeter Beton, dazu Stahl, Kunststoff, Holz, kleine und große Maschinen mit der eigens errichteten Lastenseilbahn aus dem Tal heraufgeschafft werden. Auf dem knappen Platz am Zugspitzgipfel kann Spielmann kaum Material zwischenlagern. Also kommt alles auf Anweisung seines Poliers minutengenau oben an. „Der Kranführer muss die Sachen dann sicher an den Zielort hieven, und zwar auch wenn heftiger Wind weht und gleichzeitig eine Gondel mit Besuchern ankommt“, raunt Spielmann, „das muss einer nervlich im Griff haben.“

Gebaut wird bei jedem Wetter

Oben auf der Terrasse steht der neue Kran-Mann mit der Fernbedienung in der Sonne und steuert konzentriert den gelben 30-Meter-Ausleger. Ein Hilfsarbeiter hakt Eisengitter für die Fundamente ans Transportseil, die gerade der Lift angeliefert hat. Wenig später kommen Schalungsbretter, dann der Beton in der so genannten „Bombe“. Der darf nicht zu lange in dem Schütttrichter lagern, weil er sonst zu früh aushärtet. Alles muss „just in time“ ablaufen, Verzögerungen können den Ablauf auf der Baustelle um Stunden aufhalten. Den tollen Ausblick von seinem Arbeitsplatz gönnt sich der Hebe-Experte nur in der Mittagspause. „Ach, bis in die Ötztaler Alpen könnte ich heute den ganzen Tag schauen“, schwärmt er. Seine Augen wandern über die schneebedeckten Bergspitzen bis zum Horizont. „Könnte“, betont er noch mal und wendet sich wieder einem Schwung Eisenträger zu, der über das Gipfelkreuz schweben lässt.

Die extremen Wetterbedingungen erschweren die Arbeiten auf Deutschlands höchstem Gebirgsmassiv. Der Seilbahn-Chef der Bayerischen Zugspitzbahn, Martin Hurm, blinzelt in die Sonne. „Heute ist alles leicht. Aber wir bauen durch, egal ob es regnet, stürmt oder schneit “, sagt er. Insgesamt 1200 Kubikmeter Beton und 1800 Tonnen Stahl wird er bis Ende nächsten Jahres hier oben verarbeitet und sogar 1000 Kubikmeter Fels an der Nordseite abgesprengt haben. Bis 2017 die funkelnde neue Bergstation mit einer umschlagsstärkeren Pendelbahn in Betrieb gehen kann.

Immer mehr Gäste kommen im Sommer

Speziell für die Sommersaison benötigt Hurms Unternehmen größere Kapazitäten. Jedes Jahr befördert die Tochtergesellschaft der Kommune Garmisch-Partenkirchen rund 500.000 Menschen auf die Zugspitze. Früher setzten sich die Passagierzahlen hälftig aus Skifahrern im Winter und aus Sommerfrischlern zusammen. Doch infolge des Klimawandels und verändertem Freizeitverhalten verschieben sich die Verhältnisse: auf 40 Prozent Wintersportler und 60 Prozent Sommer-Besucher. An stark frequentierten Wochenenden im Juni oder Juli stehen die Ticketkäufer bis zu zwei Stunden an der Talstation in der Schlange, bis sie zu Peter Langer in die enge Gondel gelangen. „Um die Wartezeit abzukürzen, brauchen wir die neuen Großkabinen“, erklärt Hurm. Um nicht in Verzug zu geraten, treibt er die Arbeiten mit Hochdruck voran.

Die Arbeiter haben Nerven wie Drahtseile.

Ralph Reinecke, Kioskverkäufer auf der Zugspitze

Regelmäßige Beobachter wie Ralph Reinecke bestaunen die waghalsigen Einsätze der Bauarbeiter. Seit zehn Jahren verkauft er im Kiosk vor dem „Deutschen Haus“, der Alpenvereinshütte auf der Zugspitze, Postkarten. Reinecke lehnt sich zum Verkaufsfenster heraus und lobt: „Die Arbeiter haben Nerven wie Drahtseile. Neulich haben die sogar ihren Bagger mit dem Kran von der Nord- auf die Südseite der Gipfelstation gehievt.“ Manchmal beobachtet er, wie sie mit schwerem Gerät direkt am Abgrund operieren und sich dafür anseilen müssen. „Großartig. Richtige Spezialisten“, findet Reinecke. Allerdings, das müsse er schon zugeben, sei er auch froh, wenn Lärm und Schmutz wieder vorbei sind. „Dann genießen hier wieder alle das ungetrübte Berg-Erlebnis.“