Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn präsentiert in Rom das Papstschreiben zu Ehe und Familie „Amoris Laetitia“ / „Die Freude der Liebe“. (Foto: ZUMA-Press/imago)
Papst zu Ehe und Familie

Die Freude der Liebe

Auch in der Frage des Sakramenten-Zugangs für wiederverheiratete Geschiedene soll in der katholischen Kirche künftig Barmherzigkeit gelten. Das hat Papst Franziskus im Schreiben „Amoris Laetitia“ / „Die Freude der Liebe“ zur Ehe- und Familienpastoral angeordnet. Der Papst fordert, Priester und Bischöfe sollten die moralischen Regeln nicht „wie Felsen“ auf das Leben der Gläubigen werfen.

Papst Franziskus eröffnet Katholiken bei den heiklen Streitthemen Ehe und Familie neue Spielräume, lässt die kirchenrechtlichen Vorgaben aber in Kraft. In seinem mit Spannung erwarteten Schreiben „Amoris Laetitia“ / „Die Freude der Liebe“ wirbt er für einen neuen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Wegen der zahllosen Unterschiede konkreter Situationen sei es klar, „dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte“, heißt es in dem am Freitag in Rom veröffentlichten Dokument.

Im Zentrum des 188 Seiten langen Textes steht die Liebe mit all ihren Facetten. Dabei spricht der Papst auch ganz offen Themen wie Leidenschaft und Erotik an, die bisher in der katholischen Kirche meist ein Tabu waren: „Wir dürfen also die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten.“

Seelsorger müssen nun Lebenssituation jedes Einzelnen bewerten

Aus Sicht der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ergeben sich aus dem Schreiben weitreichende Konsequenzen: Seelsorger müssten nun „in jedem einzelnen Fall die besondere Lebenssituation“ wiederverheirateter Geschiedener betrachten und könnten dann über eine Zulassung zur Kommunion entscheiden.

„Nur im Blick auf die jeweilige Lebensgeschichte und Realität lässt sich gemeinsam mit den betroffenen Personen klären, ob und wie in ihrer Situation Schuld vorliegt, die einem Empfang der Eucharistie entgegensteht“, teilte die DBK mit. Unterschrieben wurde die Erklärung vom DBK-Vorsitzenden Reinhard Marx aus München, vom Berliner Erzbischof Heiner Koch und vom Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Sie hatten im vergangenen Herbst in Rom an der vorbereitenden Synode zum Thema Ehe und Familie teilgenommen.

Pastorale Güte statt lebenslange Verurteilung

Mit Blick auf die Teilnahme an der Kommunion setzt der Papst auf die Gewissensentscheidung Wiederverheirateter und auf die pastorale Kompetenz der Priester. Bisher sind Geschiedene nach einer neuen Heirat vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen. Franziskus fordert nun eine „verantwortungsvolle persönliche und pastorale Unterscheidung der je spezifischen Fälle“, Barmherzigkeit und Integration: „Niemand darf auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des Evangeliums.“

Im Grunde unterstreicht der Papst damit die pastorale Grundregel, dass der Priester ausschließlich gegen die Sünde zu kämpfen habe – und nicht gegen den Sünder. In seelsorgerlichen Individual-Entscheidungen können wiederverheiratete Geschiedene damit auch offiziell von ihrem Priester wieder zu den Sakramenten zugelassen werden. In fortschrittlichen Ländern in Deutschland war dies in den allermeisten Gemeinden ohnehin geduldete Praxis, die freilich nicht so richtig vom Kirchenrecht abgedeckt war.

Schlusspunkt eines weltweiten innerkirchlichen Diskussionsprozesses

Franziskus habe einen Ton gewählt, der voller Achtung und Respekt für alle Menschen sei und ihnen Mut mache, sagte der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn, der die deutsche Fassung des Textes in Rom vorstellte. „Es ist eine Freude, wie der Papst über Ehe und Familie schreibt, ich habe den Text voller Dankbarkeit und Emotion gelesen.“ Schönborn räumte aber auch ein: „Viele, die sich eine Regel erwartet hatten, werden enttäuscht sein.“

Mit dem Lehrschreiben fasst der Papst die Ergebnisse der beiden Bischofstreffen aus den vergangenen Jahren mit seinen eigenen Schlussfolgerungen zusammen. Im vergangenen Jahr hatten die Bischöfe in ihrem Abschlusspapier für eine vorsichtige Öffnung plädiert und Einzelfallprüfungen angeregt. Diese Idee greift Franziskus wieder auf, jedoch ohne verbindliche Vorgaben zu machen.

Rechtlich nichts geändert – und doch alles ganz anders

„Er ändert nichts und macht doch alles anders“, erklärt der Regensburger Theologie-Professor Wolfgang Beinert und spricht von einem „wirklichen Reformschreiben“. Die Stoßrichtung bestehe darin, „dass der Papst von innen heraus das Ganze aushöhlt und damit eigentlich zum Einsturz bringt bei Wahrung der Fassade des Kirchenrechts“.

Auf das zweite Streitthema – den Umgang der Kirche mit Homosexuellen – geht der Papst hingegen kaum ein. In einem kurzen Absatz erklärt er, jeder Mensch müsse „unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden“. Eine Gleichstellung mit der Ehe zwischen Mann und Frau lehnt er ab.

Kirchliche Morallehre hatte zuletzt kaum noch Akzeptanz unter Gläubigen

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sieht eine Chance auf Annäherung zwischen Gläubigen und Kirche. „Das Wichtigste am ganzen Papier ist, dass die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Handeln der Gläubigen in Fragen der Ehe, Partnerschaft und Sexualität und der kirchlichen Lehrverkündigung durch diesen Text abgemildert und verändert wird“, sagte der ZdK-Präsident Thomas Sternberg. Spätestens seit der Pillen-Enzyklika „Humanae Vitae“ von 1968 habe die katholische Moralverkündigung kaum noch Akzeptanz und Anerkennung unter den Gläubigen gefunden.

Der Freiburger Theologe Magnus Striet bewertet das Schreiben als Plädoyer für die freie Gewissensentscheidung der Gläubigen: „Die Konsequenz ist ein anderes Verständnis von Kirche. Das Ideal einer lebenslangen Ehe bleibt, aber Ambivalenzen und Brüche werden nicht einfach verurteilt.“

dpa/wog