Die Milchpreiskrise ist eines der bestimmenden Themen der aktuellen Landwirtschaftspolitik. (Bild: protectnature / Fotolia)
EU-Milchquote

Einzug der Marktwirtschaft

Ein denkwürdiges Datum: Am 1. April endete das Zeitalter der Milchquote in Europa. Mit dem agrarpolitischen Sprecher der EVP-Fraktion, Albert Deß (CSU), sprach Andreas von Delhaes-Guenther über den Neubeginn.

Bayernkurier: Ab 1. April ist die Milchquote Geschichte. Wie sieht das künftige System aus?

Albert Deß: Das künftige System ist europaweit ein marktwirtschaftliches System – auf Angebot und Nachfrage basierend – ohne gesetzliche oder behördliche Mengensteuerung.

Bayernkurier: In der Landwirtschaft gibt es Unsicherheit. Werden die Preise fallen, die Macht der Discounter zunehmen?

Deß: Auch das bisherige Quotensystem hat Preiseinbrüche nicht verhindert. Wir hatten Preisschwankungen bis über 20 Cent. Dazu hatten Betriebe, die ihre Produktion ausgeweitet haben, noch die Kosten für den Kauf der Milchquote. Was die Macht der Lebensmitteldiscounter angeht, ist dies eine Sache der nationalen und europäischen Kartellbehörden. Verbindliche Zahlungsziele wie im Fleischbereich in Frankreich oder Einkaufspreise ohne die Sonderrabatte und -gebühren der Handelsketten wären geeignet, um die Milcherzeuger besser zu stellen.

Bayernkurier: Müssen wir nun die Rückkehr der Butterberge und Milchseen von früher befürchten, weil nun jeder so viel liefern darf, wie er kann?

Deß: Neue Butterberge und Milchseen befürchte ich nicht. Angebot und Nachfrage steuern nicht nur den Preis, sondern auch die Menge. In 20 Mitgliedstaaten wurde im letzten Jahr die mögliche Quotenmenge ohnehin schon nicht erreicht.

Bayernkurier: Welche Auswirkungen auf die Tiere wird das haben? Werden sie zu „Milchmaschinen“ gezüchtet? Und welche Auswirkungen hat es auf die nitratbelasteten Gewässer?

Deß: Die Frage ist nicht korrekt gestellt. Wir haben nicht durch die Milchviehhaltung Nitratprobleme und es sind in Bayern auch nur wenige Gebiete, wo die Nitratgrenzen stark überschritten werden. Auch der Begriff „Milchmaschinen“ ist eine Unterstellung. Wir hatten im eigenen Betrieb in den 90er Jahren Kühe mit über 10000 Litern Jahresmenge und sie sind genau so alt geworden wie Kühe mit geringerer Leistung. Es ist eine Frage der Fütterung und der Haltung. Es kommt ja auch niemand auf die Idee, Spitzensportler als „Leistungsmaschinen“ zu bezeichnen.

Neue Butterberge und Milchseen befürchte ich nicht. Angebot und Nachfrage steuern nicht nur den Preis, sondern auch die Menge.

Albert Deß

Bayernkurier: Werden kleine Bauernhöfe, von denen es gerade in Bayern viele gibt, verschwinden? Oder hat die Milchquote sowieso nie dazu gedient, alte bäuerliche Strukturen zu erhalten?

Deß: Die Milchquote hat den Strukturwandel nicht aufgehalten. Bei der Einführung der Milchquote 1984 hatten wir fast 370000 Milchviehbetriebe in Deutschland. 2014 wahren es nur noch 78000 Betriebe. Bei einer durchschnittlichen Kuhzahl von 100 Kühen würden in Deutschland unter 30000 Betriebe reichen, um die jetzige Quotenmenge zu erzeugen. Bei 100 Kühen handelt es sich um bäuerliche Landwirtschaft.

Bayernkurier: Es gibt aber auch Hoffnungen auf ein wachsendes Exportgeschäft, beispielsweise in Märkte wie China oder arabische Staaten. Zu Recht?

Deß: Wir müssen den europäischen Markt als eine Einheit betrachten. Es gibt kleine Molkereiunternehmen, die zum Teil nur lokal den Markt bedienen, aber es gibt auch Molkereiunternehmen, ob genossenschaftlich oder privat, die auch internationale Märkte bedienen. Wenn wir aus Bayern nicht viele Milchprodukte zum Beispiel nach Italien liefern könnten, müssten viele bayerische Milchbauern ihre Produktion einstellen. Ich sehe aber auch Chancen mit unseren hochwertigen Spezialitäten auf Märkten, nicht nur in China oder den arabischen Staaten. Bei einem vernünftigen TTIP-Abschluss auch in den USA. Gerade erst hat mir der US-Botschafter gesagt, dass besonders wir Bayern beste Chancen für hochwertige und hochpreisige Produkte hätten, weil in den USA jeder Bayern kennt.

Bayernkurier: Was wird Deutschland tun, um die neue Entwicklung abzufedern?

Deß: Hinter der Entscheidung des Wegfalls der Milchquote steckt ja gerade der Grundsatz, dass sich der Staat aus dem Milchmarkt weitestgehend heraushalten soll. Insofern wird es nur noch wenige staatlich gelenkte Eingriffe in den Milchmarkt geben. Es gibt auf EU-Ebene Möglichkeiten, im Krisenfall vorrübergehend etwa Butter und Magermilchpulver aus dem Markt zu nehmen. Bayern unterstützt schon heute die Milchbauern mit von Brüssel und Deutschland mitfinanzierten Programmen, so bei Investitionen in tiergerechte Ställe und im Umweltbereich.

Beim Thema Erbschaftssteuer war es auf Bundesebene immer die CSU, die sich dafür eingesetzt hat, dass bäuerliche Betriebe ohne hohe Belastungen an die nächste Generation übergeben werden können.

Albert Deß

Bayernkurier: Wie ist die Position der CSU bei diesem Thema?

Deß: Es war immer die CSU, die sich für die Interessen unserer Bauern eingesetzt hat. Mir ist in ganz Europa keine Region bekannt, die ihre Bauern mehr unterstützt wie der Freistaat Bayern. Das Geld ist gut angelegt, da die Landwirtschaft unsere bayerische Kulturlandschaft prägt und unsere Bevölkerung mit hochwertigen Nahrungsmitteln versorgt. In Brüssel haben wir erstmals erreicht, dass kleinere Betriebe bei der Flächenförderung einen Zuschlag erhalten. Beim Thema Erbschaftssteuer war es auf Bundesebene immer die CSU, die sich dafür eingesetzt hat, dass bäuerliche Betriebe ohne hohe Belastungen an die nächste Generation übergeben werden können. Als agrarpolitischer Sprecher der größten Fraktion im Europaparlament konnte ich gegenüber Agrarkommissar Ciolos viele Verbesserungen für die bayerischen Bauern erreichen. Leider gab es keine Mehrheit für meinen Vorschlag einer unbürokratischen Agrarreform. Daran arbeite ich jetzt zusammen mit Bundesagrarminister Christian Schmidt und dem neuen Agrarkommissar Phil Hogan, der für das Thema sehr aufgeschlossen ist und mit dem mich eine hervorragende Zusammenarbeit verbindet.

Albert Deß war von 1995 bis 2011 Landesvorsitzender der CSU-Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaft und von 1990 bis 2004 als agrarpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 2004 ist der frühere Milchviehhalter, ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der Milchwerke Regensburg und seit 1995 Vorstand einer großen Milchgenossenschaft.