Lieber Bomben statt Nahrung für die eigene Bevölkerung: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un unterzeichnet den Befehl für den Test einer Wasserstoffbombe. (Bild: Imago/Xinhua)
Nordkorea

Atombombentest zum Geburtstag

Ob Nordkorea tatsächlich eine Wasserstoffbombe getestet hat, ist vorläufig unklar. Sicher ist: Nordkoreas Atomwaffenprogramm wird immer gefährlicher, für die ganze nordostasiatische Region und darüber hinaus. Je mehr Atomwaffen das Regime in Pjöngjang baut, desto wahrscheinlicher wird es, dass es sie auch verkauft. Nur China hat Einfluss auf Nordkorea – aber große Angst vor dessen Zusammenbruch.

Kein gutes Omen für die koreanische Halbinsel und für ganz Nordostasien: Das stalinistische Regime in Nordkorea beginnt das neue Jahr mit einem Atomwaffentest. Nach eigenen Angaben will Pjöngjang bei dem unterirdischen Test auf dem Versuchsgelände Punggye-ri sogar seine erste Wasserstoffbombe gezündet haben – sozusagen als leicht verfrühtes Geburtstagsgeschenk für den „geliebten Führer“ Kim Jong-Un. Denn zum Geburtstag am 8. Januar und zum Start des neuen Jahres soll der sich angeblich einen „mitreißenden Explosionsknall“ gewünscht haben, das schreibt jedenfalls die normalerweise sachlich-zuverlässige Londoner Wochenzeitung The Economist auf ihrer Internet-Seite. Schon im Dezember hatte Diktator Kim Jong-Un geprahlt, sein Land sei „eine starke Atommacht, die bereit ist, eine Atombombe und eine Wasserstoffbombe zu zünden, um ihre Souveränität und die Würde der Nation zuverlässig zu verteidigen“. Dem nordkoreanischen Fernsehen zufolge geht der Atomtest auf eine „strategische Entscheidung“ Kim Jong-Uns zurück.

Vierter Atombombentest

Thermonukleare Wasserstoffbomben sind etwa hundert Mal stärker als herkömmliche Atombomben. Wenn Nordkorea sich tatsächlich die Technologie zum Bau von Wasserstoffbomben angeeignet haben sollte, wäre dies eine dramatische Entwicklung und Eskalation. Amerikanische, südkoreanische und japanische Mess-Stationen verzeichneten in der fraglichen nordkoreanischen Region allerdings nur ein Beben der Stärke 5,1 auf der Richterskala und schätzten die Kraft der unterirdischen Explosion auf etwa sechs Kilotonnen TNT – weniger als beim letzten vorhergegangenen Atomtest des Regimes im Jahr 2012. In Washington, Seoul und Tokio bezweifelt man darum, dass Pjöngjang tatsächlich eine Wasserstoffbombe getestet hat.

Nordkoreas jüngster Atomwaffentest bedeutet eine schwerwiegende Bedrohung unserer Sicherheit, und wir können das absolut nicht hinnehmen.

Japans Regierungschef Shinzo Abe

Wie auch immer. In jedem Fall handelt es sich um Nordkoreas vierten Atomwaffentest. Pjöngjang verstößt damit gegen ein innerkoreanisches Abkommen vom vergangenen August und gegen mehrere UN-Resolutionen, die dem Land Raketen- und Atomtests verbieten. Entsprechend deutlich fielen die Reaktionen aller regionalen Akteure aus: US-Außenminister John Kerry sprach von einem „hochprovokativen Akt“. China sei nicht über das nordkoreanische Vorhaben informiert gewesen und lehne Pjöngjangs vorgehen nachdrücklich ab, hieß es aus Peking: „China beharrt auf seiner Position, dass die Koreanische Halbinsel denuklearisiert sein sollte, um Frieden und Stabilität in Nordostasien zu erhalten.“

Unser Militär ist in Alarmbereitschaft. Sollte Nordkorea provozieren, wird es hart dafür bestraft werden.

Südkoreas nationaler Sicherheitsberater Cho Tae Yong

„Nordkoreas jüngster Atomwaffentest bedeutet eine schwerwiegende Bedrohung unserer Sicherheit, und wir können das absolut nicht hinnehmen“, erklärte Japans Regierungschef Shinzo Abe. „Moskau ist extrem beunruhigt über Informationen, dass Nordkorea eine Wasserstoffbombe getestet hat“, erklärte Kreml-Sprecher Dimitri Peskow. Südkoreas nationaler Sicherheitsberater Cho Tae Yong gab sich kampfbereit:  „Unser Militär ist in Alarmbereitschaft. Sollte Nordkorea provozieren, wird es hart dafür bestraft werden.“ Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Test in einer Dringlichkeitssitzung einstimmig und kündigte rasche Schritte an: Washington, Seoul und Tokio arbeiten an einer neuen Resolution, die sie gemeinsam vorlegen wollen.

Status als Atommacht in Erinnerung gebracht

Pjöngangs Atomtest – egal ob einer Wasserstoffbombe oder „nur“ einer „normalen“ Atombombe – ist eine Provokation für alle Mächte der Region, auch für Peking, Nordkoreas Schutzmacht und im Grunde einziger Verbündeter. Entsprechend unklar ist, was Pjöngjang damit bezweckt. Das Regime spricht von einer „Selbstverteidigungsmaßnahme“ gegen „Atomdrohung und Erpressung durch die USA“.

Gut gewählter Zeitpunkt: Weil sich in der Südchinesischen See der Konflikt zwischen China und den USA zuspitzt, sind Peking die Hände gebunden. Es kann jetzt kaum gegen seinen unberechenbaren nordkoreanischen Klienten vorgehen.

Manche Beobachter glauben, dass Pjöngjang Washington zu bilateralen Verhandlungen zwingen will und zum Abschluss eines großen Friedensvertrages. Denn offiziell herrscht zwischen beiden noch Kriegszustand: Der Koreakrieg (1950-1953) endete nur mit einem Waffenstillstand. Washington lehnt jedoch Zweier-Verhandlungen ab und will auch an den großen Sechsmächte-Verhandlungstisch nur zurückkehren, wenn das Verhandlungsziel eine „entnuklearisierte koreanische Halbinsel“ ist. Pjöngjang wiederum lehnt das Verhandlungsziel sowie die Sechsmächte-Verhandlungen zwischen den USA, China, Russland, Nordkorea, Südkorea und Japan ab.

Pekings Angst vor Nordkoreas Zusammenbruch

Richtig ist, dass Pjöngjang mit dem Test seinen Status als achte erklärte Atommacht mit Nachdruck in Erinnerung gebracht hat. Gut gewählt ist auch der Zeitpunkt für diesen Affront gegenüber seiner Schutzmacht China: Genau jetzt spitzt sich auch der Konflikt in der Südchinesischen See zwischen China auf der einen und den USA mit praktisch allen anderen Anrainerstaaten auf der anderen Seite zu. Peking sind die Hände gebunden. Es kann genau jetzt kaum gegen seinen unberechenbaren nordkoreanischen Klienten vorgehen.
Dennoch richten sich natürlich alle Augen auf Peking, das Nordkorea mit Energie, Lebensmitteln und anderen Dingen sozusagen am Leben erhält. Ob Sanktionen der USA oder der UN gegen Nordkorea etwas bewirken, hängt darum von China ab. Aber offenbar ist Pekings Einfluss auf Pjöngjang begrenzt. Die Beziehungen zwischen beiden scheinen ohnehin gespannt zu sein: Kim Jong-Un ist seit vier Jahren im Amt, hat aber Peking noch nicht besucht.

Ein Kollaps Nordkoreas würde nicht nur die koreanische Halbinsel völlig verändern, sondern auch die Konstellation aller Mächte der Region: China, USA, Korea, Japan, Russland.

Zudem klebt Peking am Status quo auf der koreanischen Halbinsel. China will den Zusammenbruch Nordkoreas und die dann unvermeidliche Wiedervereinigung Koreas unbedingt verhindern. Aus mehreren Gründen: Zum einen würde der Kollaps Nordkoreas nicht nur die koreanische Halbinsel völlig verändern, sondern auch die Konstellation aller Mächte der Region, China, USA, Korea, Japan, Russland. Der Einfluss der südkoreanischen Schutzmacht USA würde sich ausdehnen. Zum anderen muss China für den Fall einer Krise Nordkoreas mit Millionen nordkoreanischen Hungerflüchtlingen rechnen. Beobachtern zufolge wird in Peking auch folgende Überlegung angestellt: Südkorea ist schon lange einer der größten Investoren in China. Käme es zur koreanischen Wiedervereinigung, würde das für China wichtige südkoreanische Investitionskapital auf Jahrzehnte im Norden der koreanischen Halbinsel gebunden.

2020: Bis zu 100 nordkoreanische Atomwaffen

Wenig spricht also dafür, dass Peking so schnell am koreanischen Status quo rühren lässt. Aber bleiben kann er auch nicht. Denn Nordkorea wird immer gefährlicher. Seit 2003 habe Pjöngjang zehn bis 16 eher primitive Atomwaffen gebaut, schätzt die US-Tageszeitung The New York Times. Bis Ende diesen Jahres könnten es 20 werden. Wenn Nordkoreas Atomprogramm unbeschränkt blieb, könne das Land bis zum gar nicht mehr fernen Jahr 2020 über bis zu 100 Atomwaffen verfügen, berichtet The Economist mit Verweis auf eine aktuelle Schätzung. Ob Pjöngjang tatsächlich über eine Wasserstoffbombe verfügt, lässt sich schwer sagen. Sicher ist, dass drei Generationen der Kim-Familie über zwanzig Jahre hinweg ein Atomwaffen-Programm mit jetzt vier Atomtests verfolgt haben. Kein Zweifel, Nordkorea arbeitet intensiv an der Weiterentwicklung seines Atomarsenals und an der Miniaturisierung der Sprengköpfe. „Wir sollten nicht davon ausgehen, dass sie wieder und wieder nur die gleiche Bombe testen“, warnt ein US-Atomwaffen-Experte. Ebenfalls seit Jahrzehnten arbeitet das Land an Raketen mit immer größeren Reichweiten und an immer mobileren Abschussrampen, weiß The New York Times. Im vergangenen Dezember demonstrierte Nordkorea den Abschuss einer großen Rakete von einem U-Boot. Die unberechenbare Diktatur wird zur Bedrohung für die Region.

Kim Jong-Un könnte sehr wohl in der Lage sein, sein einziges Exportprodukt an den Islamischen Staat (IS) zu verkaufen, oder an andere Terrorgruppen, die eine Atomwaffe bezahlen können.

Le Figaro

Fast noch größere Gefahr weit über die Region hinaus enthält die Möglichkeit, dass Nordkorea Atomwaffen oder Know how verkauft. Pakistan und Iran haben schon vom Atom-Know how der Nordkoreaner und von deren Forschungsstätten profitiert, erinnert die Pariser Tageszeitung Le Figaro: „Der junge Diktator Kim Jong-Un könnte sehr wohl in der Lage sein, sein einziges Exportprodukt an den Islamischen Staat (IS) zu verkaufen, oder an andere Terrorgruppen, die eine Atomwaffe bezahlen können.“ Ähnlich sieht es die New York Times: „Je mehr Bomben und Raketen Nordkorea produziert, desto wahrscheinlicher wird es, dass es diese Waffen verkauft, um die Fremdwährungsgelder zu verdienen, die es so verzweifelt braucht.“