Wahlen in Spanien: Podemos-Chef Pablo Iglesias. Bild: Imago/CordonPress
Spanien

Zwei Wutparteien in Madrid

Spanien vor schwieriger Regierungsbildung. Mariano Rajoys Volkspartei hat die Wahl gewonnen, aber die Mehrheit verloren. Die Sozialisten stürzen ab, die linksradikale Podemos holt sie fast ein. Eine stabile Mehrheit ist in Madrid nicht in Sicht. Das Land rückt nach links. Rajoys wirtschaftliches Rettungswerk ist in Gefahr.

Nur gut, dass Spaniens Noch-Premierminister Mariano Rajoy den Haushalt für 2016 schon unter Dach und Fach gebracht hat. Denn nach diesem Wahlergebnis wird es schwierig werden in Madrid – und womöglich auch langwierig. „Wir beginnen eine Periode, die nicht einfach werden wird“, rief Rajoy am Wahlabend vom Balkon der Madrider Zentrale der Volkspartei (PP) seinen jubelnden Anhängern zu. Das war, kurz vor Jahresende, womöglich Spaniens Untertreibung des Jahres.

Ende des Zwei-Parteiensystems

Denn in Spanien ist auf einmal alles anders: Wo über dreißig Jahre lang eine sehr konfrontative rechts-links-Zweierkonstellation zwischen Volkspartei und Sozialisten (PSOE) die politische Landschaft prägte, ist nun alle Klarheit beseitigt. Die beiden Großen, Volkspartei und Sozialisten, sind nicht mehr so groß und kommen zusammen gerade noch auf 50 Prozent der Stimmen. Vor vier Jahren hatte sie sich noch 73 Prozent geteilt. Zwei Protestparteien – die linksradikale Podemos (Wir können) und die mitte-links angesiedelte Ciudadanos (Staatsbürger) – erzielten aus dem Stand zusammen 34 Prozent, ein Drittel aller Stimmen.

Wir beginnen eine Periode, die nicht einfach werden wird.

Ministerpräsident Mariano Rajoy

Mit 28,7 Prozent der Stimmen und 123 von insgesamt 350 Parlamentsmandaten geht Rajoys PP zwar als stärkste Fraktion aus der Wahl, aber nicht wirklich als Sieger. Sie verliert nicht weniger als 63 Sitze – ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Die Sozialisten fuhren schon 2010 ihr schlechtestets Ergebnis ein – und unterboten das jetzt noch einmal dramatisch, fielen auf 22 Prozent und verloren weitere 20 Parlamentssitze. Als Sieger kann eigentlich nur die linksradikale Podemos gelten, die 20,7 Prozent der Stimmen und 69 Mandate gewann. Die zentristische Protestpartei Ciudadanos blieb mit 13,9 Prozent und 40 Mandaten hinter den Erwartungen zurück. Im Podemos-Triumph wird trotz der Katastrophe der Sozialisten so etwas wie ein Linksruck in Spanien sichtbar. Das Ciudadanos-Ergebnis weist zugleich darauf hin, dass der Unmut der Wähler das gesamte politische Spektrum erfasst hat: Zwei erfolgreiche Wutparteien auf einmal, das gibt es selten. Und die Wähler schwanken zwischen ihnen, obwohl sie gegensätzlich sind. Sicher ist nur eines: Spaniens Zwei-Parteien-System ist Vergangenheit.

Schwierige Mehrheitsfindung

Wie geht es nun weiter in Madrid? Zunächst einmal erhalten die Spanier und ihre Parteien etwas Zeit, um sich zu sortieren. Erst nach der Konstituierung des neuen Parlaments im Neuen Jahr, am 13. Januar, wird König Felipe VI. einen potentiellen Regierungschef benennen und mit der Regierungsbildung beauftragen. Das wird voraussichtlich Rajoy sein, der auch schon angekündigt hat, dass er weiterregieren will. Wenn er im Parlament sowohl eine absolute und in einer zweiten Abstimmung auch eine relative Mehrheit verfehlt, wird wohl PSOE-Chef Pedro Sanchez seine Chance erhalten. Er hätte dann zwei Monate Zeit dafür. Kommt auch dann keine Parlamentsmehrheit zustande, muss neu gewählt werden.

Für die Wähler, die eben sowohl PP wie Sozialisten herbe Abfuhren erteilt haben, wäre eine große Koalition ein Schlag ins Gesicht und für die Sozialisten wahrscheinlich der Anfang vom Ende.

Die aus deutscher Sicht einfachste Lösung einer großen Koalition aus Volkspartei und Sozialisten gibt es in Spanien nicht. Die beiden Parteien sind einander nach drei Jahrzehnten Konfrontation spinnefeind und haben die große Koalition auch ausgeschlossen. Für die Wähler, die eben sowohl PP wie Sozialisten herbe Abfuhren erteilt haben, wäre eine große Koalition ein Schlag ins Gesicht und für die Sozialisten wahrscheinlich der Anfang vom Ende.

Die Protestparteien können schlecht als Juniortpartner einer der „Systemparteien“ zur Macht verhelfen, ohne sich und ihre Wähler zu verraten.

Problem: Keine andere halbwegs plausible Zweier-Konstellation – Volkspartei und Ciudadanos oder Sozialisten und Podemos – kommt der absoluten Mehrheit auch nur nahe. Außerdem können die Protestparteien schlecht als Juniortpartner einer der „Systemparteien“ zur Macht verhelfen, ohne sich und ihre Wähler zu verraten. Ciudadanos-Chef Albert Riva hat denn auch ein direktes Zusammengehen mit der PP schon ausgeschlossen. Podemos-Chef Pablo Iglesias wollte vor der Wahl eine Koalition mit den Sozialisten nur in Betracht ziehen, wenn es ihm gelänge, die PSOE zu überflügeln. Iglesias will selber Ministerpräsident werden. Völlig ausgeschlossen ist nicht einmal, dass die Sozialisten ihm jetzt den Vortritt ließen. Aber die Rückkehr zur Macht, als Juniorpartner, käme für sie mit einem Risiko: Der spanischen PSOE könnnte das Schicksal der griechischen Pasok drohen, die von der linksradikalen Syriza schlicht ersetzt worden ist. In jedem Fall bräuchte auch die Linksverbindung weitere kleine Partner.

Verfassungsänderungen sind nur mit der Volkspartei möglich, die auch allein immer noch über mehr als Drittel der Mandate verfügt.

Dritte Möglichkeit: Rajoy und die PP führen eine Minderheitsregierung. Ciudadanos-Chef Riva schließt das nicht aus. Rajoy müsste sich dann für jede Entscheidung eine Mehrheit zusammensuchen. Nicht einfacher wird die Sache dadurch, dass zwei katalanische Separatisten-Parteien zusammen auf 17 Mandate kommen. Immerhin eine Gewissheit gibt es in Spanien vorläufig doch: Verfassungsänderungen sind nur mit der Volkspartei möglich, die auch allein immer noch über mehr als Drittel der Mandate verfügt.

Rajoy hat die Wende aus der Krise geschafft

Politisch wird es in Madrid jetzt schwerer, wirtschaftlich könnte es dafür etwas einfacher werden, theoretisch jedenfalls. Denn Rajoy hat für Spanien die Wende geschafft und das Land vom Rande des Abgrunds zurückgeholt. Als er 2011 antrat, ein Jahr nach Ausbruch der Euro-Schuldenkrise und dem Platzen einer spanischen Immobilienblase, stand das Land kurz vor dem Bankrott: Das Haushaltsdefizit betrug 9 und die Arbeitslosigkeit 26 Prozent. Rajoy handelte mit Brüssel eine 40 Milliarden Euro teure Bankenrettung aus, verschrieb seinem Land einen bitteren Sparkurs und vermied so, dass Spanien selber zum Rettungsfall wurde. Er hielt dann eisern an seinem Kurs fest. Mit Erfolg: Mit 3,2 Prozent fährt Madrid unter den großen EU-Ländern dieses Jahr mit Abstand das stärkste Wirtschaftswachstum ein. Das Haushaltsdefizit ist auf 4,4 Prozent geschrumpft. Die Arbeitslosigkeit sinkt wieder: In den vergangen zwei Jahren entstanden fast eine Millionen Arbeitsplätze.

Aber mit immer noch 21,6 Prozent Arbeitslosen kann man eben auch keine Wahl gewinnen.

Aber mit immer noch 21,6 Prozent Arbeitslosen kann man eben auch keine Wahl gewinnen. Und Spaniens Wirtschaftsleistung hat den Wert von 2007 immer noch nicht wieder erreicht. Rajoy hat es an der Wahlurne zu spüren bekommen. Die Spanier haben genug von der Sparpolitik und haben nun die Linkspopulisten stark gemacht. Gut möglich, dass die die Spanier nun um die Frucht der harten Spar- und Reformjahre bringen. Aber der Reform-Premier hat noch nicht aufgegeben. Rajoy: „Wir haben die Wahl gewonnnen. Und wer die Wahl gewonnen hat, muss auch die Regierung bilden.“ Vielleicht schafft er es doch, irgendwie.