Katalonien sagt "Si" - aber nicht mal zur Hälfte: Befürworter der Unabahängigkeit in Barcelona nach dem Referendum, bei dem nur 42 Prozent der Wahlberechtigten gewählt haben. (Foto: Imago/ZUMA press)
Spanien

Mit der Mehrheit der Minderheit

Das Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens erreicht wegen der Polizeiaktionen aus Madrid nur eine Wahlbeteiligung von 42 Prozent. Doch die Regionalregierung reklamiert ein "Ja"-Votum von 90 Prozent. Die EU will sich heraushalten.

Am Tag nach dem von Polizeigewalt überschatteten Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien hat der Chef der Regionalregierung, Carles Puigdemont, mit seinen Verbündeten das weitere Vorgehen beraten. Die Regierung kam in Barcelona hinter verschlossenen Türen zusammen. Am Sonntagabend hatte sie mitgeteilt, 2,26 Millionen der 5,3 Millionen Wahlberechtigten hätten an der Abstimmung teilgenommen, also rund 42 Prozent. Von diesen hätten sich 90 Prozent für eine Abspaltung der wirtschaftsstarken Region ausgesprochen. Nach den Worten von Puigdemont hat Katalonien damit „das Recht gewonnen“, einen eigenen Staat zu gründen. Innerhalb der nächsten Tage will er es durchsetzen und seine Region in die Unabhängigkeit führen.

Wahlbeteiligung: 42 Prozent

Auch Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy, der eine Minderheitsregierung anführt, berief verschiedene Treffen ein, darunter vor allem mit der Opposition. Der Generalsekretär der stärksten Oppositionskraft, Pedro Sánchez von der sozialistischen Partei PSOE, hatte bereits am Sonntag vor Medienvertretern erklärt, Rajoy müsse nun unbedingt in einen Dialog mit der katalanischen Führung treten. „Er muss verhandeln, verhandeln, verhandeln und ein Abkommen erzielen, das ist seine Verantwortung.“

Wir haben getan, was wir tun mussten – um mit dem Gesetz zu handeln und nur mit dem Gesetz.

Mariano Rajoy, Ministerpräsident

Puigdemont hatte das Referendum trotz der Verbote der Justiz und der Zentralregierung durchführen lassen. Aus Madrid entsandte Polizeieinheiten hatten dabei hart gegen katalanische Bürger durchgegriffen, die auf die Öffnung der Wahllokale warteten. Nach Angaben des katalanischen Gesundheitsministeriums gab es fast 900 Verletzte. Videos mit Aufnahmen von blutenden Menschen, prügelnden Sicherheitsbeamten und weinenden Kindern machten schnell auch außerhalb Spaniens die Runde.

Die katalanische Vertreterin in Deutschland, Marie Kapretz, forderte die EU am Montag auf, zwischen Madrid und Barcelona zu vermitteln. „Kann es sich die EU leisten, klare Gewalt gegen die Bevölkerung zuzulassen?“, fragte Kapretz im „Deutschlandfunk“. Es sei wichtig, dass die EU „einen Vermittlungsausschuss dorthin schickt, das wünschen wir uns sehr“. Man sehe in der EU den Garanten für die Einhaltung der demokratischen Spielregeln, sagte Kapretz.

EU: „Interne Angelegenheit“

Die Europäische Kommission hat in einer Stellungnahme die Vorgänge rund um das Referendeum als „interne Angelegenheit“ klassifiziert. Allerdings ermahnte sie Rajoys Regierung: „Gewalt kann niemals ein politisches Instrument sein.“ An den europäischen Finanzmärkten hinterließ die turbulente Abstimmung Spuren. Der Kurs des Euro geriet am Montag unter Druck. An der spanischen Aktienbörse kam es im frühen Handel zu Einbußen.

Wie aber konnte es in Spanien zu einer solchen Eskalation des Konflikts kommen? Seit Mariano Rajoy und seine Partido Popular (PP) im Dezember 2011 an die Macht kamen, gab es kaum noch Gespräche der Zentralregierung mit der Region im Nordosten des Landes. Rajoy verfügte im Parlament über eine absolute Mehrheit und musste deshalb nicht mit Zugeständnissen auf Stimmenfang in Katalonien gehen. Er konzentrierte sich darauf, die 2008 ausgebrochene massive Wirtschaftskrise seines Landes in den Griff zu bekommen. Da passte der Wunsch nach mehr finanzieller Unabhängigkeit der Katalanen nicht ins Konzept.

Verhandeln, verhandeln, verhandeln.

Pedro Sánchez, Oppositionsführer

Die Menschen im wirtschaftsstarken Katalonien äußern sich vor allem wütend über die Korruptionsskandale der Regierung und wettern, Rajoy und seine Verbündeten verfolgten noch immer die gleichen Ziele wie die Franco-Diktatur. Unter der Herrschaft Francisco Francos, die bis Ende der 1970er Jahre dauerte, waren die katalanische Sprache und Kultur teilweise brutal unterdrückt worden.

Puigdemont fordert Abzug der Guardia Civil

Im Januar 2016 wurde Carles Puigdemont als neuer katalanischer Hoffnungsträger zum Chef der Generalitat (Regionalregierung) gewählt. Als er im Juni 2017 bekanntgab, am 1. Oktober ein Referendum über die Unabhängigkeit abzuhalten, sahen viele Katalanen ihre Stunde gekommen. Zwar war Umfragen vor der Abstimmung zufolge weniger als die Hälfte der Bevölkerung tatsächlich für eine Trennung, aber fast 80 Prozent wünschten sich ein Referendum über die Frage. Puigdemont fordert mittlerweile den Abzug der zentralspanischen Sicherheitsorgane Policia Nacionál und Guardia Civil aus Katalonien.

(dpa/BK)