Im Dezember 2010 beginnt der „arabische Frühling“. Er beginnt, als sich Mohamed Bouazizi, ein 26-jähriger arbeitsloser Universitätsabsolvent aus der tunesischen Stadt Sidi Bouzid, selbst in Brand setzt und wenige Tage später stirbt.
Einen Monat nach der Verzweiflungstat ist das autoritäre tunesische Regime am Ende. Über die sozialen Medien wie Twitter, Facebook und YouTube verbreitet sich der Protest einer sich gegen Armut, Perspektivlosigkeit und Unterdrückung auflehnenden Massenbewegung in der gesamten arabischen Welt. Es folgen die Umstürze in Ägypten, Libyen, Bahrain und Jemen. Der einzige überlebende Alleinherrscher, der syrische Präsident Baschar-al-Assad, beugt sich den Demonstranten nicht: Tausende werden nach Schätzung von Menschenrechtsgruppen bei der blutigen Niederschlagung von Protesten in Syrien getötet.
Aber der noch andauernde Bürgerkrieg in Syrien wird nicht der letzte in der muslimischen Welt sein. Denn Mohamed Bouazizi und seine Nachfolger in den anderen islamischen Staaten gehören alle einer „verlorenen Generation“ an. Und die ist jung – über die Hälfte der Tunesier zum Beispiel ist jünger als 22 Jahre – und zum Großteil arbeitslos.
Die verlorene Generation: eine tickende Zeitbombe
Der emeritierte Bremer Professor und Völkermordforscher Gunnar Heinsohn weist schon seit Jahren auf diese demografische Zeitbombe in der arabischen Welt hin. Er hat sich die Statistiken der Vereinten Nationen (UN) über die demografische Entwicklung auf der Erde genauer angesehen. In diesen vom UN-Department of Economic and Social Affairs (Demografische und Soziale Abteilung) erhobenen und veröffentlichten Zahlen wird deutlich, dass in 40 Ländern der islamischen, asiatischen und schwarzafrikanischen Welt ein so genannter „youth bulge“ festzustellen ist, also eine untere Ausbuchtung der Alterspyramide.
Im Klartext heißt das: Der Anteil der 15- bis 24-jährigen an der Gesamtbevölkerung beträgt mindestens 20 Prozent – das Doppelte des normalerweise auftretenden Anteils. In den nächsten 15 Jahren wird dieser Quotient sogar auf 30 Prozent steigen. Spitzenreiter der Bevölkerungsexplosion sind die Länder Indien, Pakistan, Nigeria, Indonesien, Bangladesh und China. Schlusslicht ist die Europäische Union.
Von diesen überdurchschnittlich zahlreichen Jugendlichen werden die meisten männlichen Geschlechts sein. Schon heute wachsen 900 Millionen Knaben (unter 15 Jahren) außerhalb der 30 führenden Industriestaaten heran. Zum Vergleich: In den USA sind es gerade einmal 30 Millionen. In den arabischen Ländern kommen auf 1000 Söhne weniger als 800 Töchter. Das Erschütternde an diesen Statistiken ist auch, wie sie zustande kommen: So werden in Ländern, in denen die medizinische Versorgung gut ist und Schwangere das Geschlecht des Ungeborenen per Ultraschall feststellen lassen, also etwa in der islamischen Welt, weibliche Föten oft abgetrieben.
Diese „überzähligen Söhne“ der islamischen Welt, schreibt Heinsohn, kämpfen in den nächsten Jahren um Positionen und werden die Gesellschaften, in denen sie aufwachsen, tief greifend destabilisieren. Es werden nicht nur Ungebildete und Hungernde sein, die ums bloße Überleben kämpfen, sondern gut Ausgebildete, Ehrgeizige und Anspruchsvolle, die Anerkennung, Status und Macht wollen.
Beispiele aus der Geschichte
Im 14. Jahrhundert dezimierten immer wieder auftretende Pestepidemien sowie eine katastrophale Wetterlage (kleine Eiszeit) die Bevölkerung Europas. Als sich das Wetter wieder beruhigte, die Ernten wieder besser ausfielen, explodierte die Bevölkerung. Auch damals fehlte den überzähligen Söhnen die Perspektive. Sie wichen in die Fremde aus, suchten ab dem 15. Jahrhundert ihr Glück in anderen Teilen der Welt.
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts konnte die so genannte „Neue Welt“ das Ungleichgewicht auffangen. Danach machten sich nationalistische Politiker das Potenzial zu Nutze, sprachen – wie in Deutschland – vom „Volk ohne Raum“ und bedienten sich dabei einer Jugend, die in den bisherigen bürgerlichen Gesellschaften keine Zukunftschancen sah.
Sicherlich ist der „male youth bulge“, wenn also über Generationen zwei oder mehr Söhne pro Vater hinterlassen werden, auch verantwortlich für die Eroberung alter Reiche durch Völker aus deren Randzonen. Der Untergang des Römischen Imperiums durch den Überfall germanischer Horden oder die Attacken auf Mitteleuropa durch die Reiter Dschingis Khans sind gut dokumentierte Beispiele.