Schonungsloses Vorgehen
Schließung der Grenzen, Ausnahmezustand und Razzien gegen die islamistische Szene im ganzen Land – das waren Frankreichs erste Antworten auf die grauenvollen Anschläge in Paris. Der Krieg gegen den Islamischen Staat in Syrien wird ausgeweitet: Schon am Tag nach dem Terror griffen französische Flugzeuge die IS-Hauptstadt Rakka an. Paris ahnt: Dieser Krieg gegen den Islamismus wird lange dauern.
Frankreichs Antwort

Schonungsloses Vorgehen

Schließung der Grenzen, Ausnahmezustand und Razzien gegen die islamistische Szene im ganzen Land – das waren Frankreichs erste Antworten auf die grauenvollen Anschläge in Paris. Der Krieg gegen den Islamischen Staat in Syrien wird ausgeweitet: Schon am Tag nach dem Terror griffen französische Flugzeuge die IS-Hauptstadt Rakka an. Paris ahnt: Dieser Krieg gegen den Islamismus wird lange dauern.

Schließung der Grenzen, das war die allererste Maßnahme von Frankreichs Staatspräsident Franςois Hollande, nur Stunden nach dem Terror: Der Präsident wörtlich: „Wir müssen sicherstellen, dass niemand (das Land) betreten kann, um welche Tat auch immer zu begehen.“ Tatsächlich hatte ein strengeres Regime just am Freitag schon eingesetzt – wegen des bevorstehenden Klima-Gipfels in Paris. Nur Stunden später begann in der französischen Hauptstadt das Massaker – Frankreichs 11. September. Keine drei Stunden später verhängte Hollande den Ausnahmezustand über das ganze Land und ließ alle Grenzen schließen. Später wurde das korrigiert: es handele sich nur um Grenzkontrollen.

Wir müssen sicherstellen, dass niemand (das Land) betreten kann, um welche Tat auch immer zu begehen.

Präsident Franςois Hollande

Bei scharfen Kontrollen an Frankreichs Grenzen wird es voraussichtlich länger bleiben. Hollande hat schon angekündigt, dass er den Ausnahmezustand auf mindestens drei Monate verlängern will. Interessant: Nach einem Treffen mit seinem belgischen Kollegen in Paris forderte Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve systematische und koordinierte Kontrollen an den Binnengrenzen in der Europäischen Union – also im Schengenraum. Denn die Anschläge seien im Ausland vorbereitet worden. Cazeneuve: „Sehr viele von denen, die in Belgien waren, und zur Organisation und Umsetzung dieser Attentate beigetragen haben, waren den französischen Diensten nicht bekannt.“ In den vergangenen Monaten habe Frankreich die Einführung von Kontrollen im Schengenraum schon mehrfach gefordert, so Cazeneuve.

Mindestens drei Monate Ausnahmezustand

Den Ausnahmezustand „für den Fall unmittelbarer Gefahr durch schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ oder „für den Fall von Ereignissen, die durch ihre Art und Schwere den Charakter einer öffentlichen Katastrophe darstellen“, beschließt in Frankreich der Ministerrat per Dekret (nach einem Gesetz vom 3. April 1955). Eine über 12 Tage hinaus dauernde Verlängerung des Ausnahmezustands, der jetzt für ganz Frankreich einschließlich der Insel Korsika gilt, braucht ein Gesetz. Das soll schon am kommenden Mittwoch dem Parlament vorgelegt werden.

Wer sich an der Republik vergreift, den wird die Republik einholen. Sie wird unerbittlich sein mit ihm und seinen Komplizen.

Innenminister Bernard Cazeneuve

Der Ausnahmezustand gibt vor allem dem Innenminister und den Präfekten – die höchsten Vertreter des Staates und Chefs der Gendarmerie in den Departements – weitreichende Polizeibefugnisse: Sie können Hausarreste verhängen und Vergnügungs- und Versammlungsstätten sowie Ausschankräume provisorisch schließen und  Tag und Nacht Hausdurchsuchungen vornehmen lassen. „Maßnahmen, um die Kontrolle der Presse zu sichern“ wären auch möglich, müssten aber eigens dekretiert werden, was jetzt nicht geschehen ist.

Landesweite Razzien in der islamistischen Szene

Polizeikräfte nutzen die Ausnahmebefugnisse sogleich zu einer gründlichen Aktion gegen Islamistenkreise und polizeibekannte islamistische Gefährder: Bis Montagfrüh wurden 104 Personen unter Hausarrest gestellt und im ganzen Land 168 Wohnungen durchsucht. 31 Personen wurden verhaftet und 31 Waffen sichergestellt – in Lyon etwa ein Raketenwerfer. Die Razzien weiter gehen, erklärte Innenminister Cazeneuve indirekt: „Wer sich an der Republik vergreift, den wird die Republik einholen. Sie wird unerbittlich sein mit ihm und seinen Komplizen.“ In den vergangenen Jahren sollen bis zu 1500 Dschihadisten aus Frankreich nach Syrien und Irak gereist sein, schätzen französische Sicherheitskräfte. Von Hunderten, die inzwischen nach Frankreich zurückgekehrt sind, gehe eine große Terrorgefahr aus, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Der Ausnahmezustand gibt nun die Möglichkeit, gegen sie vorzugehen.

Wir nutzen den gesetzlichen Rahmen des Ausnahmezustands, um Leute zu befragen, die Teil der radikalen Dschihadisten-Bewegung sind und all jene, die Hass auf die Republik befürworten.

Premierminister Manuel Valls

Der Minister kündigte außerdem an, dass Moscheen geschlossen werden sollen, „in denen Hass verbreitet wird“. „Hass predigende“ Imame sollen des Landes verwiesen werden, so Cazeneuve. Ministerpräsident Manuel Valls sprach von der Schließung von Moscheen und Vereinen, in denen „gegen die Werte der Republik verstoßen“ wird. Valls: „Wir nutzen den gesetzlichen Rahmen des Ausnahmezustands, um Leute zu befragen, die Teil der radikalen Dschihadisten-Bewegung sind und all jene, die Hass auf die Republik befürworten. Wir handeln an allen Fronten mit der größten Entschlossenheit.“ Es wird eng für Frankreichs Islamisten.

Wir wissen, dass Operationen vorbereitet werden, nicht nur gegen Frankreich, sondern auch gegen andere europäische Länder.

Manuel Valls

Die Maßnahmen sind offenbar dringend nötig: Französischen Erkenntnissen zufolge bereitet der Islamische Staat weitere Angriffe gegen Ziele in Frankreich und anderen europäischen Ländern vor. Valls: „Wir wissen, dass Operationen vorbereitet wurden und noch vorbereitet werden, nicht nur gegen Frankreich, sondern auch gegen andere europäische Länder. Wir werden noch lange mit dieser Bedrohung leben.“

„Ja, wir sind im Krieg“

Von einem „Kriegsakt“ hatte Präsident in seiner Ansprache an seine „lieben Landsleute“ gleich mehrfach gesprochen. „Ja, wir sind im Krieg“, bestätigte Premierminister Valls in einem TV-Interview. Unter Beobachtern führte das sofort zu der Frage, ob Paris Nato-Beistand nach Art. 5 des Nato-Vertrags einfordern wird. Bislang habe es das nicht getan, hieß es inzwischen vom französischen Botschafter in Berlin. Aber Weiterungen stehen bevor: Hollande will im Kampf gegen den Islamischen Staat jetzt den UN-Sicherheitsrat anrufen.

Präsident Hollande will im Kampf gegen den Islamischen Staat jetzt den UN-Sicherheitsrat anrufen.

In jedem Fall meint Frankreich das Wort vom Krieg trotzdem ernst: Keine 48 Stunden nach den Anschlägen in Paris flogen französische Jagdbomber massive Angriffe gegen die IS-Hauptstadt Rakka in Syrien: Kommandostellen, Waffen- und Munitionslager sowie ein Ausbildungslager sollen zerstört worden sein. Dabei wird es nicht bleiben: Paris erwägt, seinen Krieg in Syrien deutlich auszuweiten, deutet Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian an: „Die Lage hat sich verändert. Wir können Syrien als Hauptrückzugsgebiet des IS nicht länger als toten Winkel unserer Aktion in der Levante tolerieren.” Vom Einsatz von Bodentruppen ist noch keine Rede.

Krieg gegen die Demokratie

Präsident Hollande hat „schonungsloses Vorgehen“ gegen den Islamischen Staat versprochen. Die Stimmung im Lande erwartet genau das. Mit Zurückweichen und Untätigkeit könne man sich gegen diesen Gegner keine Sicherheit erkaufen, warnt die links stehende Pariser Tageszeitung Le Monde ihre Leser: „Das geht gegen die Natur des Feindes, mit dem wir es zu tun haben.“ Das Blatt weiter: „Zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts hat der religiöse Fanatismus islamistischer Prägung die großen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts ersetzt.“

Der islamistische Fanatismus bekämpft uns nicht für das, was wir tun oder nicht tun, sondern für das, was wir sind.

Le Monde

Der neue Gegner vergreife sich vor allem an den Demokratien: „Er  bekämpft uns ebenso sehr, wenn nicht mehr, für das, was wir sind, wie für das, was wir tun oder nicht tun.“ Genau so sieht es auch die bürgerlich-konservative Tageszeitung Le Figaro: „Das ist ein Krieg, der uns erklärt worden ist. Ein Krieg des islamistischen Fanatismus gegen Frankreich, Europa, die westliche Welt und gegen alle Werte einer Zivilisation, die sich der Demokratie verschrieben hat. Dieser Krieg, das hat inzwischen jeder verstanden, ist erst am Anfang.“

Der Schrecken soll sich unter den Terroristen ausbreiten, keine Atempause sei ihnen vergönnt, bis zur kompletten Ausmerzung.

Pascal Bruckner in Le Point

Für drastisches Vorgehen gegen den Islamischen Staat wirbt im Wochenmagazin Le Point und in der Neuen Zürcher Zeitung der französische Romancier und Essayist Pascal Bruckner: Frankreich müsste die Führung einer internationalen Koalition übernehmen, zu der die USA, Russland, der Irak, der Iran gehörten, und Mosul und Rakka bombardieren, die beiden Hauptstädte des IS im Irak und in Syrien. Der Schrecken soll sich unter den Terroristen ausbreiten, keine Atempause sei ihnen vergönnt, bis zur kompletten Ausmerzung.“